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Zum Tod der "Hand Gottes": Wem Maradona egal war, dem war Fußball egal


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Zum Tod der "Hand Gottes"
Wem Maradona egal war, dem war der Fußball egal


Aktualisiert am 26.11.2020Lesedauer: 4 Min.
Diego Maradona hat mit seinen Dribblings Millionen verzaubert, so viele Trophäen wie kaum ein Zweiter gen Himmel gestreckt – und Skandale am Fließband produziert. Am Mittwoch starb er nun im Alter von 60 Jahren.Vergrößern des Bildes
Diego Maradona hat mit seinen Dribblings Millionen verzaubert, so viele Trophäen wie kaum ein Zweiter gen Himmel gestreckt – und Skandale am Fließband produziert. Am Mittwoch starb er nun im Alter von 60 Jahren. (Quelle: Panoramic International/imago-images-bilder)

Vor 34 Jahren wurde sie zur Legende:

Die Sonne brennt über dem Aztekenstadion von Mexico City an diesem 22. Juni 1986. Als wäre dieses WM-Viertelfinale zwischen Argentinien und England nicht schon brisant genug. Der kurze, besonders für die Südamerikaner verlustreiche Krieg um die Falklandinseln ist gerade einmal vier Jahre her und besonders den Argentiniern noch in schlimmster Erinnerung, die Stimmung gereizt.

Auf dem Platz in der ersten Halbzeit sind die "Albiceleste" spielbestimmend, ohne zu richtigen Torgelegenheiten zu kommen. Nach der Pause aber wird Geschichte geschrieben vor 114.580 Zuschauern in der kolossalen Arena der mexikanischen Hauptstadt. Und diese Geschichte schreibt ein kleiner, stämmiger Lockenkopf im hellblauen Trikot der Argentinier, der schon längst Weltstar ist – und in wenigen Minuten mit erst 25 Jahren zur Legende werden wird.

Zwei Szenen fast direkt hintereinander sind es, die nun, da der große Diego Armando Maradona mit erst 60 Jahren nach jahrelangen, gesundheitlichen Problemen und einem turbulenten Leben gestorben ist, wieder herhalten werden, diesen Mann zu beschreiben. Und das zu Recht. Denn kein Fußballer, keine Persönlichkeit dieses Sports vereinte gleichermaßen Gut und Böse in sich wie dieser trotz nur 1,65 Metern fußballerisch vielleicht Größte unter den Großen.

"Ich wartete darauf, dass meine Mitspieler mich umarmen"

Minute 51 auf dem ramponierten Rasen des Aztekenstadions: In der gegnerischen Hälfte setzt "Diegito" zum Doppelpass mit Jorge Valdano an und stürmt in den Strafraum der Engländer. Valdano verpasst den Ball, Englands Steve Hodge aber fälscht ihn derart unglücklich ab, dass er sich in den Strafraum senkt. Maradona steigt gegen den herauseilenden Weltklasse-Torwart Peter Shilton – immerhin 20 Zentimeter größer – zum Kopfball hoch. Und tatsächlich: Der Ball fliegt ins Tor, die Argentinier führen mit 1:0.

Die englischen Spieler aber protestieren verzweifelt beim tunesischen Schiedsrichter Ali Bin Nassar – denn sie sahen, was erst in der Zeitlupe auch den Zuschauern klar wird: Maradona hatte den Ball mit der linken Hand über Shilton ins Tor bugsiert. Über die Szene wird er Jahre später einmal sagen: "Ich wartete darauf, dass meine Mitspieler mich umarmen, aber niemand kam zu mir. Ich sagte ihnen 'Kommt her und umarmt mich, oder der Schiedsrichter wird das Tor nicht zählen.'" Direkt nach der Partie aber schafft er mit einem anderen Satz Geschichte: "Es war ein bisschen Maradonas Kopf und ein bisschen die Hand Gottes".

Vier Minuten später: Maradona bekommt in der eigenen Hälfte den Ball und setzt zu einem fesselnden 60-Meter-Dribbling durch die gesamte englische Mannschaft an. Immer wieder Tempowechsel, immer wieder zieht er blitzschnell an, wechselt die Richtung, schnellt mit Ball an seinen Gegenspielern vorbei, als hätte er sie mit seiner Ballkontrolle in Trance versetzt. Er schiebt den Ball aus fünf Metern an Shilton vorbei zum 2:0 ins Tor. Das Kunstwerk wird 2002 zum "WM-Tor des Jahrhunderts" gewählt.

Will man noch heute, 34 Jahre später, eine Erklärung dafür liefern, warum Fußball Milliarden Menschen auf der Welt begeistert – es ist dieses Tor, das gezeigt werden muss.

Tag und Nacht, Genie und Wahnsinn, Jekyll und Hyde – dieser Diego Armando Maradona war all das und mehr. Hier der unaufhaltbare Dribbler mit dem dichten Lockenkopf, der Argentinien fast im Alleingang zum WM-Titel 1986 führte und die erfolgreichste Zeit in der Geschichte des SSC Neapel prägte. Da der Kokainsüchtige.

Hier der Alleinunterhalter, mit so viel Talent gesegnet, dass man ihm sogar verzieh, wenn er sich abfällig über, nun, fußballerisch eher dem Rustikalen zugeneigte Spieler äußert (oder, liebe Norweger und Schotten, Ihr "Robocops" mit den "viereckigen Füßen"?), da der selbst erklärte enge Freund der kommunistischen Diktatoren Fidel Castro und Hugo Chavez.

Wem Maradona egal war, dem war der Fußball egal.

Der überführte Dopingsünder, der Hitzkopf, der mit dem Luftgewehr auf Journalisten vor seinem Haus zielte, das mentale Wrack, das nur im Fußball, nicht aber im Leben zurechtkam. Der Alkoholkranke, immer wieder gezwungen zu Klinikaufenthalten und Entziehungskuren. Der traumhafte Techniker auf dem Platz, der Charakter, der religiös verehrte, das Idol, zu dem bis zuletzt (und noch darüber hinaus) Spieler aller Generationen aufschauen.

Wem Maradona egal war, dem war der Fußball egal. Denn zu diesem Sportler und Mensch Maradona hatte schon in der Peripherie des Fußballkosmos jeder eine Meinung. Eventuell konnte man ihn sogar zeitgleich lieben und hassen, bewundern und verachten, diesen kleinen Ballzauberer, der nie so ganz austrainiert, immer ein wenig verkatert, aber in den wichtigen Momenten doch hellwach schien. War er uns nicht mit all seinen Fehlern, all seinen Aussetzern, all seiner vulgären Wucht, seiner Unvollkommenheit doch näher, als es mancher gerne wahrhaben wollte?

Argentinien hatte nach Maradona viele begnadete Kicker. Ob Ariel Ortega und Marcelo Gallardo in den 90ern, Javier Saviola oder Juan Riquelme nach der Jahrtausendwende oder Lionel Messi, der begnadetste unter den Begnadeteten. Am Vergleich mit dem Spieler Maradona, an diesem genialen Künstler, diesem Magier, dem der Ball am Stiefel zu kleben schien, an diesem Vergleich mit dem Maradona auf dem Platz sind sie alle gescheitert.

Und vielleicht am Ende auch Maradona selbst.

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