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Türkei-Vorstand Hamit Altintop kontert: "Muss man schon vorsichtig sein"


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Türkei-Vorstand Hamit Altıntop
"Die Stimmung drohte zu kippen"

  • David Digili
InterviewVon David Digili

Aktualisiert am 19.11.2023Lesedauer: 8 Min.
imago images 1030897585Vergrößern des Bildes
Hamit Altıntop: Er spricht als Verantwortlicher der türkischen Nationalmannschaft. (Quelle: IMAGO/Jonathan Moscrop)
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Wie kam es zum Aus von Stefan Kuntz als türkischem Nationaltrainer? Hamit Altıntop erklärt im Interview die Entscheidung, verrät, was der Elf vom Bosporus noch fehlt – und reagiert auf Vorwürfe des 61-jährigen Kuntz.

Es soll auch ein Vorgeschmack sein auf die EM 2024 in Deutschland: Wenn am Samstagabend die Türkei zum Freundschaftsspiel gegen die DFB-Elf in Berlin antritt (ab 20:45 Uhr im Liveticker bei t-online), werden Tausende Fans der Mannschaft mit dem Halbmond auf der Brust das Olympiastadion in einen Hexenkessel verwandeln: Wohl in keiner Stadt außerhalb der Türkei wird die Elf auf mehr Unterstützung stoßen als in Berlin mit seiner großen Zahl türkischstämmiger Bürger.

Die Euphorie ist groß – denn die Mannschaft hat die Qualifikation für die EM bereits geschafft, wird im kommenden Juni in Deutschland auflaufen. Einer, der die Entwicklung aus nächster Nähe mit steuert, ist ein alter Bekannter aus der Bundesliga: Hamit Altıntop. Der frühere Mittelfeldakteur und türkische Nationalspieler (84 Länderspiele, 7 Tore) ist seit 2019 Vorstandsmitglied im türkischen Fußballverband TFF. Der gebürtige Gelsenkirchener beobachtet die Entwicklung genau und will seine Nationalelf international konkurrenzfähiger machen.

Zuletzt aber sorgte die Entlassung von Stefan Kuntz für Schlagzeilen – nach nur zwei Jahren im Amt war für den 61-Jährigen Mitte September Schluss als türkischer Nationaltrainer. t-online hat Altıntop vor dem Länderspiel im Berliner Mannschaftshotel der Türkei zum Interview getroffen. Im Gespräch erklärt er den Entscheidungsprozess, verrät, wie er die Türkei vom deutschen Markt unabhängiger machen will – und reagiert auf Vorwürfe des demissionierten Fußballtrainers.

t-online: Hamit Altıntop, Sie haben selbst erfolgreich für Schalke, für die Bayern, für Real Madrid und für Galatasaray gespielt. Wo ist der Druck höher: bei einem dieser Großklubs – oder bei der türkischen Nationalmannschaft?

Hamit Altıntop: Bei der türkischen Nationalmannschaft (lacht).

Wie erklären Sie das?

Zuerst einmal die Fakten, die auch für andere Nationalmannschaften gelten: Man hat nur zehn Spiele im Jahr, man trainiert davor nur drei Tage miteinander. Umso höher ist der Druck, direkt Ergebnisse zu liefern – und dann besonders in der Türkei, in der es noch mal eine ganz spezielle Rolle spielt, sein Land zu repräsentieren.

Wie gehen die Spieler damit um? Besonders junge Akteure kann so ein Druck doch lähmen.

Ich sage Ihnen: Junge Spieler müssen heute viel mehr und intensiver geführt werden als früher. Es zeigt sich dabei schnell: Wer ist schon bereit für diese Aufgabe, wer nimmt sie an – und wer nicht. Wir müssen dabei aber auch aufpassen, dass trotzdem keiner den Glauben an sich verliert. Ich sehe das, bin ja ganz nah dran an der Mannschaft, beobachte alle Trainingseinheiten.

Offiziell sind Sie Vorstandsmitglied des türkischen Fußballverbands und damit verantwortlich für die Nationalmannschaft.

Es war und ist für mich wichtig, dass ich mit meiner Erfahrung, auch aus meiner Ausbildung, die ich in Deutschland genießen durfte und die mich immer noch prägt, in der Türkei mithelfen kann, etwas aufzubauen. Ich sehe meine Aufgabe aber auch darin, den Lernprozess zu beschleunigen, dass gerade diese jungen Spieler das System verstehen lernen. Es geht doch nicht nur darum, ein gutes Spiel abzuliefern.

Sondern?

Es geht auch um die Außendarstellung, um Kommunikation mit den Medien, mit Sponsoren – und auch darum, im privaten Bereich geerdet zu bleiben. Da reicht der Verein nicht aus. Wir sprechen von 20-Jährigen, die toptrainiert sind, schon sehr viel Geld verdienen, in der Öffentlichkeit stehen – damit muss man erst umgehen lernen. So wird auch der Grundstein dafür gelegt, dass man dann auch nach der Karriere nicht nur körperlich, sondern auch mental ein gesundes Leben führt und nicht in ein Loch fällt.

In jungen Jahren klingt "nach der Karriere" noch ewig weit weg …

Dafür sind wir ja dann da, sie darauf aufmerksam zu machen und ihnen den Weg für einen gesunden Übergang zu bereiten.

An diesem Samstag steht für Ihre Spieler nun erst einmal das Länderspiel gegen Deutschland in Berlin an. Was ist von der Mannschaft zu erwarten?

Ich wurde im Vorfeld übrigens scharf für diese Spielansetzung kritisiert. Dabei bin ich überzeugt, dass es für die Entwicklung einer Mannschaft enorm wichtig ist, sich mit starken Gegnern zu messen. Wir spielen da gegen ein Land, das in sieben Monaten eine Europameisterschaft ausrichten wird. Dazu kommt: Wir haben hier so viele türkischstämmige Mitbürger, denen wollen wir Nähe demonstrieren. Sportlich wird unser neuer Trainer Vincenzo Montella auch einige Dinge ausprobieren wollen – und gleichzeitig wollen wir an unsere letzten Leistungen anknüpfen.

Sie konnten zuletzt 1:0 in Kroatien und 4:0 zu Hause gegen Lettland gewinnen.

… und es ist wichtig, dass wir diesen Schwung mitnehmen. Aber auch für mich persönlich ist ein Länderspiel in Deutschland immer etwas Besonderes – ich habe schließlich zwei Heimatländer: Deutschland und die Türkei. Gerade in diesen Zeiten, in denen so viel passiert, ist es doch wichtig, ein Zeichen der Einheit zu senden, Gemeinsamkeiten hervorzuheben, statt Unterschiede zu beklagen. Der Spruch "Fußball ist nicht mehr einfach nur Fußball" muss mit Leben erfüllt werden. Der Sport hat diese Kraft.

Nach einigen verpassten Turnieren hat die Türkei die Qualifikation für die EM 2024 geschafft. Was stimmt Sie an der aktuellen Mannschaft denn zuversichtlich für die Zukunft?

Die ist offen, hungrig, bereit zu lernen. Ob sich das dann auch in Erfolgen niederschlägt, das wird man sehen. Ich habe aber ein sehr gutes Gefühl, dass wir alles dafür tun, um erfolgreichen Fußball zu spielen.

Was fehlt der Mannschaft noch für dauerhaft erfolgreichen Fußball?

Die Erfahrung, das Selbstbewusstsein, die Konstanz, dauerhaft auf höchstem Niveau zu spielen. Aber daran arbeiten wir, und ich bin sehr optimistisch. Die fußballerisch schönsten Tage liegen noch vor uns.

Erreichen wollen Sie das mit einem Kader, in dem sieben Spieler stehen, die in Deutschland aufgewachsen sind. Wie erklären Sie diesen Zuspruch?

Es ist für alle Beteiligten eine Gelegenheit, sich auf internationaler Ebene zu beweisen. Wir haben es besonders in den letzten zwei Jahren geschafft, durch gute Kommunikation und eine bewusste, klare Herangehensweise davon zu überzeugen, unseren Weg mitzugehen.

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Sie haben mal gesagt, die Entscheidung, für die Türkei zu spielen, müsse vom Spieler selbst kommen, ohne Beeinflussung durch die Familie oder das Umfeld. Geht das überhaupt?

Nein. Nein, das ist nicht möglich.

Sie korrigieren sich?

Ich habe nur den Idealzustand beschrieben. Wir reden ja von 18-, 19-, 20-Jährigen, die da eine wichtige Entscheidung für den Lauf ihrer Karriere treffen. Es muss die persönliche Überzeugung den Ausschlag geben, genauso wie beim Spaß am Spiel selbst. Und da sehe ich heute zunehmend Probleme.

Welcher Art?

Junge Spieler werden zunehmend von ihren Beratern mit Zahlen, mit Begriffen wie "Image" und anderen konfrontiert. Diese Dinge zählen für viele von ihnen mehr als der Mensch, der dahintersteht. Dabei sollte gerade in diesem Alter die Begeisterung für den Fußball im Vordergrund stehen.

Es ist Ihnen mittlerweile zu sehr Geschäft geworden?

Es gibt doch nichts Anstrengenderes im Leben, als sich zu verstellen. Und dazu wirst du mittlerweile getrieben durch die Richtung, in die dich viele in jungen Jahren schicken wollen.

Die umfangreiche Rekrutierung in Deutschland ist aber auch nicht das beste Gütesiegel für die Jugendarbeit in der Türkei …

Wir haben ja begriffen und akzeptiert, dass wir da deutlichen Nachholbedarf haben. Daran arbeiten wir. Wir kooperieren enger mit dem Bildungsministerium, um auch die Zusammenarbeit mit den Schulen und Universitäten zu verbessern. So sollen talentierte junge Fußballer sowohl schulisch als auch sportlich gefördert werden.

Man will sich vom deutschen Markt unabhängiger machen?

Natürlich ist das ein ambitioniertes Projekt, das gerade noch in den Kinderschuhen steckt und Zeit braucht. Wir wollen aber erreichen, dass Talente quasi vom ersten Ballkontakt bis hin zur Elite begleitet werden. Wir haben auch bereits Deutschland besucht, Belgien, auch die Niederlande, in denen ja schon immer beeindruckende Jugendarbeit geleistet wird. Frankreich ist ein weiteres Vorbild, auch England, das vor 15, 20 Jahren in die Nachwuchsförderung investiert hat und jetzt davon profitiert. Einen ähnlichen Effekt erhoffen wir uns auch.

Und was ist mit der Phalanx der großen Vereine der Süper Lig? Galatasaray, Fenerbahçe, Besiktas und Trabzonspor sind nach Selbstverständnis Weltklubs.

Auch da muss die Kommunikation besser werden, kein Zweifel. Aber mittlerweile ist auch da der Grundstein gelegt, darauf wollen wir aufbauen. Natürlich haben gerade große Klubs wie Galatasaray oder Fenerbahçe ihre eigenen Interessen. Unsere Aufgabe ist es aber, eine gemeinsame Ebene zu finden, um darauf dann gemeinsam aufzubauen.

Nachwuchsförderung, verbesserte Kommunikation, den nächsten Schritt gehen – das sind Schlagworte für Veränderung, aber auch für mehr Substanz. Überraschend bodenständig …

Ich glaube, dass wir eine Authentizität rüberbringen, die so vorher nicht da war. Unser Trumpf ist unsere ehrliche Arbeit. Wir arbeiten Tag und Nacht daran, dass der türkische Fußball vorankommt.

Vorankommen soll auch die türkische Nationalmannschaft. Montella hat im September den Deutschen Stefan Kuntz abgelöst. Wie kam es dazu?

Zuallererst: Mit Stefan Kuntz haben wir zwei Jahre gut zusammengearbeitet. Seine Erfolge mit der deutschen U21 – drei Finalteilnahmen und zwei Titel in sechs Jahren – haben uns beeindruckt, auch die Kommunikation und seine Arbeitsmethoden haben uns imponiert. Mit unserer neuen Verbandsführung aber (seit Juni 2022 ist der Unternehmer Mehmet Büyükekşi Präsident des türkischen Fußballverbands, Anm. d. Red.) und den letzten Spielen (1:1 gegen Armenien, 2:4 im Test gegen Japan, Anm. d. Red.) hat sich die Erwartungshaltung in eine andere Richtung entwickelt.

Das müssen Sie erklären.

Derart, dass auch ich als Vorstandsmitglied sagen musste: Es muss ein wenig mehr Mut, ein neuer Impuls her.

Dabei sollte Kuntz doch Zeit gegeben werden …

Natürlich haben wir noch lange nicht eine Kontinuität und Beständigkeit wie beim DFB, wo Joachim Löw 15 Jahre lang Bundestrainer war. Das ist bei uns alles noch immer sehr kurzlebig. Das Ziel ist aber, endlich auch langfristig mit einem Trainer zusammenzuarbeiten. Wir sind Stefan Kuntz für seine Arbeit auch sehr dankbar. Aber wir wollten eine Veränderung, um den nächsten Schritt vorantreiben zu können. Das haben wir ihm auch offen kommuniziert und uns dann auf eine Trennung geeinigt.

Kuntz hat im Interview bei t-online über die Interaktion mit dem neuen TFF-Vorstand gesagt: "Egal ob es um Loyalität, Unterstützung oder Respekt ging: Ich hatte keinen Rückhalt." Können Sie seine Kritik verstehen?

Da muss man schon etwas vorsichtig sein. Er hat eine intakte Mannschaft hinterlassen, das rechnen wir ihm hoch an, und das haben wir ihm auch genau so gesagt. Wir haben ihm aber auch erklärt, dass sich unsere Erwartungen verändert haben und dass wir mit einem Trainerwechsel eine Veränderung herbeiführen müssen.

Woher kam diese Überzeugung?

Aus dem Eindruck heraus, dass allen guten Entwicklungen zum Trotz doch das eine oder andere fehlte oder gegen unsere Vorstellungen lief.

Was genau?

Schauen Sie sich nur mal Kuntz' Pressekonferenz nach unserem 2:4 gegen Japan Mitte September an. Er sprach von Unzufriedenheit und davon, dass die Spieler nicht 100 Prozent geben würden, sie müssten auf dem Platz Gas geben und nicht in Interviews. Wir hatten den Eindruck, dass die Stimmung im Team ins Negative kippt.

Hat er den sportlichen und öffentlichen Druck in der Türkei falsch eingeschätzt?

Das ist eine Frage, die Sie Stefan Kuntz stellen müssen. Ich kann nur sagen, dass wir einen gemeinsamen Weg eingeschlagen haben, der sehr vielversprechend war und anfangs auch sehr erfolgreich. Jedoch liegt es auch in meiner und unserer Verantwortung, eine mögliche negative Tendenz zu erkennen und dann zu handeln. Ich will aber trotzdem auch eins klarstellen …

Bitte.

Dieser Schritt ist mir persönlich sehr schwergefallen. Natürlich besteht immer das Risiko, dass man sich hinterher fragt: "War das wirklich der richtige Zeitpunkt?" Aber wir sind das Wagnis eingegangen, weil es uns richtig erschien.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Hamit Altintop
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