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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Endspiel für Deutschland Das könnte sie den Job kosten
Sieg, Unentschieden oder Niederlage: Jedes Szenario könnte für die DFB-Frauen zum Weiterkommen reichen. Die Marschroute vor dem Gruppenfinale ist klar. Und auch, was besser werden muss.
Aus Brisbane berichtet Noah Platschko
Immer wieder huschte der Bundestrainerin ein Lächeln über das Gesicht. Doch zwischen die weichen, gutmütigen Töne mischte sich auch eine Ernsthaftigkeit, die die Anspannung vor dem Endspiel gegen Südkorea offenbarte.
Denn ein solches ist das Duell der DFB-Frauen am Donnerstagabend (20 Uhr Ortszeit, 12 Uhr deutsche Zeit) mit dem Weltranglisten-17. Entsprechend fokussiert äußerte sich Martina Voss-Tecklenburg, Spitzname "MVT", auf der Pressekonferenz vor dem Match.
- Nach WM-Aus: Wie es mit Voss-Tecklenburg weitergeht
"Wir haben uns vorbereitet wie immer: Analyse des letzten Spiels, Vorbereitung auf den Gegner, was seine Stärken und seine Schwächen sind", beschrieb MVT gleich zu Beginn die Vorbereitungstage. Auf dem Trainingsplatz schmetterte die 55-Jährige am späten Nachmittag noch den Backstreet-Boys-Klassiker "I Want It That Way". Entspannte Coolness oder gespielte Lockerheit?
Mehrere Baustellen im DFB-Team
Die 55-Jährige weiß, was in Brisbane auf dem Spiel steht. Und auch, dass ein mögliches historisches Scheitern sie den Job kosten könnte. Noch nie ist eine deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft in der Vorrunde einer WM ausgeschieden. Damit das so bleibt, muss die Bundestrainerin gleich mehrere Probleme lösen. Denn die Pleite gegen Kolumbien hat gezeigt, wo es im Team der deutschen Mannschaft noch hapert.
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Baustelle 1: Das Abwehrproblem
Die Verletzungssorgen ziehen sich bei dieser WM durch die deutsche Defensive. Nach den Ausfällen von Carolin Simon und der (laut Trainerin Voss-Tecklenburg) nicht fit gewordenen Giulia Gwinn (beide Kreuzbandrisse), fehlen mit Linksverteidigerin Felicitas Rauch (Verstauchung des rechten Kniegelenks) und der zuletzt sehr stabilen Innenverteidigung Sara Dooursoun (muskuläre Läsion) zwei wichtige Anker in der deutschen Viererkette. Immerhin: Die noch zu Turnierstart angeschlagene Sjoeke Nüsken (Außenbanddehnung im Knie) ist ebenso fit wie Abwehrchefin Marina Hegering.
Es ist eine sehnsüchtig erwartete Rückkehr. Hegering bringt eine Robustheit und Zweikampfstärke mit, die für den weiteren Turnierverlauf noch von elementarer Bedeutung sein kann. "Das ist ein Mehrwert für jede Mannschaft", hob auch die Bundestrainerin die Wichtigkeit der 33-Jährigen hervor, die wegen einer Fersenprellung den WM-Beginn verpasst hatte.
Doch auch auf den Außenverteidigerinnen-Positionen muss das deutsche Team wieder mehr Zug nach vorne entwickeln. Was gegen Marokko noch problemlos klappte, entwickelte sich gegen Kolumbien zum Problem. Weder Svenja Huth auf rechts noch Rauch-Ersatz Chantal Hagel, eigentlich gelernte Mittelfeldspielerin, entwickelten Druck nach vorne – und ließen die eigentlich gewünschte Unterstützung der Vorderleute vermissen.
Baustelle 2: Das Hinterlaufen der gegnerischen Abwehrkette
Der fehlende Offensivgeist ihrer Außenverteidigerinnen im Kolumbien-Spiel war auch der Bundestrainerin nicht entgangen. "Es war gar nicht so geplant, dass wir so defensiv agieren", offenbarte "MVT" auf t-online-Nachfrage. "Es kommt aber auch immer darauf an, was die Gegnerin macht. Dann kommen die Vorwürfe, dass wir keine Konterabsicherung haben. Gegen Südkorea wird es jetzt hoffentlich so sein, dass wir ein wenig mehr Räume bekommen."
Räume in der Offensive, die auch Huth und Hagel bespielen sollen. Das Hinterlaufen der gegnerischen Abwehrkette war gegen die Südamerikanerinnen kaum vorhanden. Die offensiven Flügelspielerinnen Klara Bühl und Jule Brand liefen sich immer wieder fest – auch, weil die Unterstützung von hinten fehlte. An der Grundlinie suchte man die deutschen Spielerinnen vergebens.
"Das Thema Hinterlaufen ist eines, was wir schon sehr lange bearbeiten und versuchen. Und wir wissen, dass wir mehr tun müssen, um die Bälle dorthin zu spielen", nahm Voss-Tecklenburg ihre Spielerinnen in die Pflicht. Laut Mittelfeldspielerin Lena Lattwein habe sich das deutsche Team seiner eigenen Stärke beraubt, indem man das schnelle Kombinationsspiel vermissen ließ. Zu behäbig, zu langsam, zu viel mit dem Rücken zum Tor, was unweigerlich zum dritten Problem führt.
Baustelle 3: Das Kreieren von Chancen
Gegen Kolumbien hatten die deutschen Frauen kaum gefährliche Abschlüsse zu verzeichnen. So war es nur logisch, dass der einzige Treffer ein von Kapitänin Alexandra Popp geschossener Elfmeter war. Gepaart mit den fehlenden Läufen auf Außen klaffte auch im Zentrum eine Kreativlücke, die Bayern-Spielerin Lina Magull nicht zu schließen vermochte.
Die Finaltorschützin von Wembley scheint in einem Formtief zu sein, gegen Kolumbien passten weder Laufwege noch Pässe. Die 28-Jährige rieb sich für die Mannschaft auf, doch auch dem Trainerteam dürfte aufgefallen sein, dass Magull aktuell nicht an ihre eigentliche Topform herankommt.
Auch deshalb könnte am Donnerstag nun die Stunde von Lea Schüller schlagen. Die Bayern-Stürmerin könnte in die Sturmspitze rücken, während Alexander Popp die Zehnerposition besetzt. Und auch eine Doppelspitze ist denkbar, bei der das Duo Schüller/Popp mit Flanken gefüttert werden und das DFB-Team zu mehr Abschlüssen kommen soll.
Von denen soll auch Abräumerin Lena Oberdorf einige beisteuern. Voss-Tecklenburg fordert von ihr noch mehr Offensivdrang und Torgefahr. Eine Aufforderung, der "Obi" nur allzu gerne nachkommt. Auch sie deklarierte den Kombinationsfußball im letzten Drittel sowie das Herausarbeiten von Chancen als Baustelle im Team. Aber: "Wenn man uns im Training sieht, weiß man, dass es klappt. Wir müssen nur gucken, dass der Knoten platzt."
Am besten schon gegen Südkorea. Sonst könnte es ungemütlich werden.
- Eigene Beobachtungen bei der Pressekonferenz des DFB
- Statistiken aus dem Spiel gegen Kolumbien bei fotmob.com
- Eigene Recherche