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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Lothar Matthäus Darum kann der FC Bayern das Triple gewinnen
Der Rekordnationalspieler erklärt, welchen Spieler die Münchner unbedingt holen sollten, weswegen er Greta-Thunberg-Vergleiche bei Joshua Kimmich gut findet – und warum der BVB Emre Can viel früher hätte verpflichten müssen.
Lothar Matthäus ist ein Kind der Bundesliga: Sieben Mal Deutscher Meister, 464 Einsätze, 121 Tore in 17 Jahren. Als Experte des Pay-TV-Senders "Sky" ist der 58-jährige Franke bis heute hautnah dran.
Warum er ein großer Fan von Joshua Kimmich ist, wieso für den FC Bayern unter Hansi Flick alles möglich ist und welcher Spieler Borussia Dortmund komplett verändert: Im Interview mit t-online.de spricht der Rekordnationalspieler in Zeiten von Coronavirus und Ultras-Aufstand über das Wichtigste: den Fußball.
Herr Matthäus, stellen Sie sich einmal vor, Sie wären Sportdirektor des FC Bayern und hätten im Sommer knapp 200 Millionen Euro für neue Spieler zur Verfügung. In wen würden Sie das Geld investieren?
Lothar Matthäus (58): Gut, dass ich das nicht bin. Ich kenne auch nicht die Transfersummen, die der FC Bayern zur Verfügung hat. Sie reden von 200 Millionen Euro. Dafür würde ich zwei deutsche Nationalspieler verpflichten, einer spielt in Leverkusen und der andere bei Manchester City. Auch um Uli Hoeneß zu folgen, der irgendwann mal gesagt hat, dass alle jungen deutschen Nationalspieler bei Bayern München spielen müssen. Wenn das Gesamtpaket stimmt, es geht ja nicht nur um die Ablöse.
Leroy Sané, den Sie wohl meinen, war wegen seines Kreuzbandrisses monatelang verletzt, und Kai Havertz hat sich gerade erst aus einem Tief herausgekämpft.
Als junger Spieler soll er mal so ein Tief haben. Daran wächst er. Sané hatte eine Verletzung, die ich leider selbst erlebt habe. Wenn von Seiten der medizinischen Abteilung um Doktor Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt aber ein Haken dran ist, würde ich vorschlagen, beide Spieler zu verpflichten. Sie haben eine hohe Geschwindigkeit, sind fußballerisch hochklassig. Sané war ein Sunnyboy, ist dann aber Vater geworden. Auch das trägt zum Reifeprozess bei.
Kommt ein Fußballer demütiger aus solch einer Verletzung zurück?
Natürlich. Man strengt sich noch mehr an, lebt noch professioneller und achtet noch mehr auf seinen Körper.
Rund um den FC Bayern wird zudem oft die Frage nach einem reinen Stoßstürmer als Back-up für Robert Lewandowski diskutiert. Oder trauen Sie dem erst 18-jährigen Joshua Zirkzee diese Rolle zu?
Zirkzee weiß, wie man Tore macht. Ihn zu nehmen, wäre ein gutes Signal an das Nachwuchsleistungszentrum, das die Bayern für mehrere hunderte Millionen Euro im Norden der Stadt hingestellt haben. Es wäre ein Zeichen, dass wirklich aus dem eigenen Nachwuchs was nachkommen kann. So ein junger Spieler setzt sich in einer Saison auch mal 28 oder 30 Spiele auf die Bank, wenn er dafür immer ein paar Minuten bekommt. Ein erfahrener Spieler ist schnell unzufrieden, wenn er nur fünf Minuten ran darf. Deswegen ist es ja schwierig, einen hochqualifizierten Ersatz für Lewa zu finden. Er müsste damit rechnen, die ganze Saison auf der Bank zu sitzen, so wie bald Torwart Alexander Nübel, der von Schalke nach München wechselt. Zirkzee hat mit Hansi Flick zudem einen Trainer, der junge Spieler fördert.
Zirkzee soll allerdings auch ein großes Selbstbewusstsein haben. Förderlich oder eher nicht?
Gott sei Dank hat er das. Er ist bei Hansi Flick in sehr guten Händen. Er will junge Spieler auch menschlich weiterentwickeln. Gesundes Selbstvertrauen ist gut, wenn es zu viel ist, kann ein Führungsspieler das Gespräch mit ihm suchen, um ihm die richtige Balance zu geben.
Was ist mit der Defensive? Immer wieder fällt der Name Dayot Upamecano von RB Leipzig.
Vom Leistungsvermögen wäre er ein Spieler für den FC Bayern München. Sein Vertrag läuft bis 2021. Ich glaube, dass Upamecano RB Leipzig verlässt, aber nicht in Richtung München, sondern dass er zur Premier League tendiert.
Bleibt die Frage, warum die Bayern noch nicht mit Hansi Flick verlängert haben.
Sie wollen sich das nicht diktieren lassen und mit Hansi Flick verlängern, wann sie es wollen. Der Verein findet ihn gut, die Spieler finden ihn gut. Ich sehe keinen Grund, warum er nicht über die Saison hinaus Cheftrainer bleiben sollte. Für mich gibt es auch keine deutschsprachige Alternative auf dem Markt. Karl-Heinz Rummenigge ist ja ein Fan von Thomas Tuchel, doch der hat in Paris Schwierigkeiten, die ganzen Stars zu moderieren. In München hat Flick dagegen die Unterstützung aller Stars und selbst die unzufriedenen Spieler im Griff. Ein Philippe Coutinho und ein Corentin Tolisso können – gemessen an ihren Einsatzzeiten – ja nicht zufrieden sein. Flick ist ein Menschenfänger. So ruhig war es bei Bayern seit Jupp Heynckes nicht mehr.
Ist unter ihm sogar das Triple drin?
Alles ist möglich. Bayern ist nicht der Topfavorit auf die Champions League, es gibt fünf, sechs Mannschaften auf demselben Niveau. Da gehört auch Glück dazu. Wenn Bayern so spielt, wie bei Tottenham oder Chelsea, und alles nach Plan läuft, kann München die Champions League gewinnen. Warum nicht?
Bei Borussia Dortmund wird dagegen immer wieder über den Trainer diskutiert. Glauben Sie, dass Lucien Favre auch in der kommenden Saison Coach des BVB sein wird?
Er hat jetzt eine Mannschaft gefunden, die er einspielen lässt, und Positionen ideal besetzt, die in den eineinhalb Jahren davor Baustellen waren. Er hatte sich zum Beispiel lange dagegen gesträubt, eine richtige Nummer neun zu verpflichten. Ich hatte schon vor eineinhalb Jahren Mario Mandzukic angesprochen, eine Persönlichkeit vorne im Sturm. Haaland spielt nicht so dreckig, hat dafür aber Geschwindigkeit und ist ein Stoßstürmer, der den Ball festmachen kann und von der Körpergröße her präsent ist. Das hat Dortmund davor gefehlt. Und dann ist da noch Emre Can. Der BVB hatte einen Mentalitätsspieler vermisst. Favre steht auf diese beiden Spieler und war bereit, Kompromisse einzugehen, um vielleicht doch die Meisterschaft zu gewinnen.
Gibt es weitere Schlüsselspieler beim BVB?
Vor allem die Außenpositionen sind sehr stark besetzt mit Achraf Hakimi und Raphael Guerreiro. Guerreiro wurde lange unterschätzt, gerade ihn halte ich für einen Qualitätsspieler. Erst hat man ihm Marcel Schmelzer vorgezogen, dann Nico Schulz, dann hat man ihn auf die Acht geschoben. Diesem Spieler hätte Favre schon früher zeigen können, dass er unersetzlich ist.
Was auch für Mats Hummels gilt. Kommt Bundestrainer Joachim Löw am BVB-Abwehrchef noch vorbei?
Das Thema ist erledigt. Der Bundestrainer würde damit von seinem Weg abrücken. Wenn sich jetzt mehrere Spieler verletzen, würde Jogi Löw darüber nachdenken. So, wie es Berti Vogts 1998 bei mir getan hat. Damals gab es viele Verletzte auf meiner Position, deswegen hat Vogts bei mir angerufen. Zurzeit stellt sich die Frage aber nicht, auch wenn Mats ein überragender Innenverteidiger ist, von der Körpersprache her zwar kein Leader wie Can, aber als erfahrener Spieler für Dortmund Gold wert.
Can schießt mit seinen Grätschen jedoch gerne mal über das Ziel hinaus.
Er ist ein aggressiver Leader. Wenn der BVB ihn letztes Jahr gehabt hätte, wären die Dortmunder Meister geworden, weil sie nicht so viele Spiele in den letzten 20 Minuten hergegeben hätten. Das würde ich unterschreiben. Der Emre ist einer, der seine Mitspieler emotional wachrüttelt. Ab und zu musst du mal emotional werden. Fragen Sie bei Oliver Kahn nach (schmunzelt).
Sie sind offensichtlich ein Fan des Typus Führungsspieler.
Ja. Eine Mannschaft, die Erfolg haben will, braucht solche Spieler. Siehe Joshua Kimmich.
Der von Mehmet Scholl als Greta Thunberg des deutschen Fußballs bezeichnet wurde.
Mehmet Scholl hat schon Recht. Das kann man aber auch als Lob sehen. Kimmich ist einer, der Leistung zeigt, dann darf er auch mal was sagen. Wenn ich sein Trainer wäre, wäre ich froh, wenn ein junger Spieler den älteren auch mal die Meinung geigt. Er legt sich selbst Druck auf.