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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Effenberg über Umbau in München Bayern muss ihnen beibringen, dass es vorbei ist
Der FC Bayern baut seine neue Mannschaft, um nach einer missglückten Saison zurückzuschlagen – laut dem früheren Kapitän Stefan Effenberg allerdings unter erschwerten Bedingungen.
Als t-online-Experte und Kolumnist begleitet Stefan Effenberg die EM in Deutschland – und hat in Teil eins des großen Interviews vor dem Eröffnungsspiel die Chancen der Nationalelf eingeordnet sowie eine bemerkenswerte Einschätzung zur Situation von Torwart Manuel Neuer abgegeben. In Teil zwei spricht der 55-Jährige über die Bundesliga. Im Gespräch mit Philipp Michaelis und Florian Wichert erklärt er, warum Joshua Kimmich und Mats Hummels ins Ausland wechseln sollten. Und er geht hart mit zwei Institutionen des FC Bayern ins Gericht: Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge.
Herr Effenberg, wie viele Spiele darf Vincent Kompany als neuer Bayern-Trainer verlieren, bis es am Tegernsee wieder unruhig wird, also zu Hause bei Ehrenpräsident Uli Hoeneß?
Stefan Effenberg: So genau kann man das natürlich nicht beantworten, aber ich denke da an den Herbst. Wenn der Bundesliga-Start und die ersten Auftritte in der Champions League hinter Bayern liegen, dann wird eine Tendenz erkennbar sein. Im Oktober oder November wird die Art und Weise deutlich, wie Kompany spielen lässt und wie die Ergebnisse ausfallen. Es kann im Fußball sehr schnell ungemütlich werden. So wie das anderen Trainern in der vergangenen Saison auch abseits von Bayern ergangen ist, obwohl sie sich über Jahre einen Kredit erarbeitet hatten.
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An wen denken Sie?
Schauen Sie sich Union Berlin an: Jahrelang feiern alle Trainer Urs Fischer und Manager Oliver Ruhnert. Die holen Robin Gosens, Kevin Volland und Leonardo Bonucci, fast eine kleine Weltauswahl. Und ein paar Monate später ist der Trainer weg. Und dann irgendwann der Manager, der zurück ins Scouting geht. Und dann müssen sie sich komplett neu aufstellen. Wer weiß, wie viel Zeit Kompany bekommt? Und wer sagt, dass Xabi Alonso in einem Jahr noch Leverkusen-Trainer ist?
Moment. Sie glauben, dass Bayer Alonso feuern muss?
Nein.
Aber Sie sind der Meinung, dass das Beispiel Union eine Warnung für Leverkusen sein muss?
Nein, auch das möchte ich damit nicht sagen. Leverkusen hat schon andere Möglichkeiten als Union, eine andere Qualität, und wird die Mannschaft weitgehend zusammenhalten können. Ich gehe sogar davon aus, dass sie neben Leipzig und Dortmund mit Bayern um die Meisterschaft kämpfen werden.
Aber?
Es gibt einfach keine Garantie. Es kann alles schnell gehen. Man sollte sich nie zu sicher fühlen. Nur das will ich damit sagen.
Der FC Bayern hat in den vergangenen Monaten kein gutes Bild abgegeben. Schaden Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge dem Verein, wenn sie sich dauernd einmischen?
Sie meinen Rummenigge, weil er jetzt gesagt hat, dass Kompany sofort Erfolge liefern muss?
Ja, zum Beispiel.
In dem Fall hat er doch nur gesagt: Wir müssen wieder in die Erfolgsspur – und dafür ist der Trainer verantwortlich. Das finde ich nicht schlimm, sondern zutreffend. Aber klar: Das war nicht die einzige Wortmeldung.
Vor der Verpflichtung von Kompany hat Rummenigge eine Wasserstandsmeldung abgegeben, ohne dass der Wechsel fix war. Auch Hoeneß hat sich immer wieder zu Wort gemeldet, beispielsweise Ex-Trainer Thomas Tuchel vor einem wichtigen Champions-League-Spiel kritisiert.
Die beiden haben so viel Gutes getan für den Verein und den FC Bayern zu dem gemacht, was er ist. Aber: Sie sollten schon erkennen, dass sie der sportlichen Leitung und damit dem Verein keinen Gefallen tun, wenn sie sich immer wieder unabgestimmt äußern oder anderweitig eingreifen. Das erwarte ich einfach von den beiden. Wissen Sie, was das Problem ist?
Bitte!
Wer sitzt denn in der Hierarchie über den beiden? Wer könnte ihnen denn sagen, dass das gerade nicht hilfreich ist?
Wahrscheinlich niemand.
Genau. Da ist keiner, der sich traut, ihnen etwas zu sagen. Eigentlich müsste das Herbert Hainer als Präsident tun, aber der tut es nicht.
Zur Person
Stefan Effenberg (55) stammt aus Hamburg. Der Mittelfeldspieler gelangte über Borussia Mönchengladbach und die Münchner Bayern auch in die Nationalmannschaft, für die er 35 Länderspiele absolvierte. Mit Gladbach holte er den bis heute letzten Titel im DFB-Pokal 1995. Mit dem FC Bayern München gewann er 2001 als Kapitän die Champions League, darüber hinaus drei Deutsche Meisterschaften und zweimal den Pokal. In Florenz und Katar sammelte er Auslandserfahrungen. Nach dem Ende seiner Spielerkarriere machte der "Tiger" in Paderborn als Trainer und in Krefeld als Manager Station. Vor allem aber ist er als meinungsstarker Fußball-TV-Experte und regelmäßiger Kolumnist von t-online bekannt.
Müssen sie das nicht trotzdem selbst erkennen mit ihrer Erfahrung?
Wahrscheinlich ist das nicht einfach, wenn du erst mal in so einer Position bist wie Uli Hoeneß oder Kalle Rummenigge. Ob als Ehrenpräsident, nachdem du Spieler warst, Manager und Präsident. Ob als Aufsichtsratsmitglied, nachdem du Spieler und Vorstandsvorsitzender warst. Da entwickelt man natürlich ein gewisses Selbstverständnis, wenn man jede Position mal innehatte.
Aber sie machen Max Eberl das Leben damit schwer.
Sie machen ihm den Job schwer. Sie machen allen den Job schwer. Das sollten sie natürlich wissen. Ich würde sogar sagen: Das wissen sie auch. Die Frage ist, warum sie trotzdem so präsent sind. Können oder wollen sie die Anfragen für Auftritte und Interviews einfach nicht absagen? Ich kann mir vorstellen, dass man sich da aus alter Verbundenheit verpflichtet fühlt, Termine wie Podiumsdiskussionen wahrzunehmen. Und das macht die Sache nicht einfacher.
Wie soll die sportliche Leitung verhindern, dass sich Hoeneß und Rummenigge permanent einmischen?
Mit Ergebnissen. Gute Spiele. Erfolg. Meisterschaft zurückholen. Pokal gewinnen. Oder zumindest mal wieder weit kommen. In der Champions League so performen wie in diesem Jahr. Wenn nicht sogar noch ein bisschen besser.
Dann herrscht Ruhe?
Es ist ja nicht so, dass sich Uli Hoeneß und Kalle Rummenigge aus dem Nichts einmischen. Das ist meist auf schwache Leistungen oder Ergebnisse zurückzuführen. Sie haben sich schon immer die Bälle im Hintergrund zugespielt und vielleicht mal einen reingeschossen in der Hoffnung, die Mannschaft wachzurütteln. Das hat früher auch oft geklappt.
Bayern-Botschafter
Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: "Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander – auch und insbesondere mit dem FC Bayern."
Müssen die Bayern jetzt Leverkusen und Stuttgart leerkaufen, also die besten Mannschaften der abgelaufenen Saison? So wie sie schon früher die Konkurrenz kaputtgekauft haben?
Was sollen die Verantwortlichen dagegen machen, dass Coman sich zweimal im Jahr verletzt für jeweils drei, vier Monate? Das kann er auch gern künftig bei Real oder Paris. Oder dass Gnabry von einer Verletzung in die andere stolpert? Was ich sagen will: Ich bin mir sicher, dass der ein oder andere Impuls helfen wird, dass die neue Führung Spieler besser machen wird. Aber der FC Bayern hat immer noch eine große Mannschaft mit der höchsten Qualität in der Bundesliga – und Potenzial, das noch nicht gehoben ist.
Wo denn?
Winter-Zugang Bryan Zaragoza aus Spanien zum Beispiel kann und wird noch explodieren. Denken Sie an meine Worte. Der hat so viel Qualität, aber er braucht einfach das Vertrauen und eine gewisse Anlaufzeit. Pavlovic wird sich weiterentwickeln. Bayern muss jetzt nicht fünf, sechs oder noch mehr neue Spieler kaufen.
Sondern?
Sie müssen die Zukunft von Leroy Sané, Alphonso Davies und Joshua Kimmich klären, also von den Spielern mit einem Vertrag, der 2025 ausläuft. Sie müssen die Nachfolge von Manuel Neuer und Thomas Müller regeln – und den beiden in der kommenden Saison beibringen, dass es dann auch mal irgendwann vorbei ist. Das war bei mir damals genauso, als ich im fortgeschrittenen Fußballer-Alter war. Da haben sie mir in einem Gespräch mitgeteilt: Stefan, das war’s jetzt. Ich habe gesagt: Okay, das verstehe ich. Der Zeitpunkt ist dann bei Neuer und Müller sicher auch gekommen. Und dann müssen sie sich um die Spieler kümmern, deren Vertrag 2026 ausläuft. Dazu gehört übrigens Jamal Musiala.
Was würden Sie an Stelle von Kimmich machen – gehen oder bleiben?
Es kommt schon auch drauf an, wie Kompany mit ihm plant. Aber grundsätzlich würde ich immer einen Wechsel ins Ausland empfehlen, um sich auch persönlich weiterentwickeln zu können. Kimmich hat jetzt neun Jahre beim FC Bayern gespielt, alles erreicht, alles erlebt. Höhen, Tiefen. Hier stellen sich natürlich für jeden andere Fragen: Ist das für die Familie mit den Kindern vorstellbar? Wollen sie unbedingt in München bleiben oder einfach nach zwei, drei Jahren zurückkommen?
Wie sind da Ihre persönlichen Erfahrungen?
Ich bin dankbar für meine Auslandserfahrungen, ob in Katar oder gerade auch Florenz. Ich bin dankbar dafür, dass ich nach wie vor Italienisch spreche und mich unterhalten kann, wenn ich nach Italien komme. Ich habe noch die ein oder andere Freundschaft aus dieser Zeit. Ich fahre unwahrscheinlich gerne in den Urlaub nach Italien. Meine älteste Tochter wurde damals dort eingeschult. Das sind so Kleinigkeiten. Dinge, die man nicht vergisst. Darüber hinaus ist es eine herausragende, wunderschöne Stadt. Und ich bin auch stolz auf die acht, neun Monate in Katar. Das ist meine Lebenserfahrung. Und deshalb würde ich Kimmich einen Wechsel ins Ausland empfehlen.
Braucht Bayern noch einen Innenverteidiger? Jonathan Tah soll aus Leverkusen kommen, die Vereine verhandeln bereits über die Ablösesumme.
Ja, klar können sie grundsätzlich noch einen guten Innenverteidiger gebrauchen. Allerdings haben sie mit de Ligt, Kim und Upamecano eigentlich sehr starke Abwehrspieler, die nur in der vergangenen Saison nicht so stark gespielt haben oder die bei Bayern nicht so gut sind wie bei ihren ehemaligen Klubs. Das hat natürlich auch Gründe. Und da müssen sie Ursachenforschung betreiben.
Was glauben Sie, woran das liegt?
Vielleicht daran, dass sie drei Spiele bestritten haben und danach dreimal auf der Bank saßen. Das ist nicht gut für Spieler auf wichtigen Positionen. Das kann nicht sein. Gerade bei Führungsspielern. Führungsspieler sind ganz, ganz entscheidend im Fußball. Und wenn du sie immer wieder rausnimmst, dann strotzen sie natürlich auch nicht vor Selbstvertrauen, wenn es drauf ankommt. Ottmar Hitzfeld hat früher bei Bayern immer an seinen Führungsspielern festgehalten. Wenn ich mal in einem Loch über zwei, drei Spiele war, hat er gesagt: "Das ist mein Kapitän. Das ist mein Führungsspieler. Der bleibt unangefochten." Und was macht der Spieler?
Was macht er denn?
Der investiert alles, was er hat, um schnell wieder auf das Topniveau zu kommen. Der geht für seinen Trainer durchs Feuer. Und das ist es doch, worum es geht. Ein Trainer muss das erkennen. Und der neue Trainer muss das eben auf Strecke voll durchziehen. Alles andere hat doch nicht funktioniert, weder bei dem einen noch bei dem anderen Trainer. Und deswegen waren sie auch nie so stabil, wie sie hätten sein müssen. Es gab doch nur einen Spieler, der immer gespielt hat.
Harry Kane.
Ja. Drumherum wurde oft vieles umgebaut. Kimmich im Mittelfeld, Kimmich nach rechts, Pavlovic rein oder Goretzka oder wer auch immer. Laimer erst rechts, dann mal raus – dann war er plötzlich der wichtigste Spieler im Mittelfeld. Das waren einfach zu viele selbst aufgemachte Baustellen auf zentralen Positionen.
Leverkusen und Stuttgart haben das besser gemacht.
Die haben es verstanden, als Team im Kollektiv zusammenzuhalten, durch dick und dünn zu gehen und für den Trainer durchs Feuer. Die haben nicht mehr Qualität als Bayern, aber sie waren erfolgreicher.
Was ist mit Dortmund: Bekommen die das in der nächsten Saison wieder hin? Wird der BVB mit Edin Terzić als Trainer noch einen Titel holen?
Ich würde ihm das gönnen. Und ich gehe davon aus, dass er nach dem Einzug ins Finale der Champions League zumindest aktuell nicht infrage steht. Sie haben verloren gegen Real Madrid, aber sie haben ein gutes Spiel gemacht. Gegen Real darf man verlieren. Natürlich weiß er selbst, wie schnell es gehen kann und dass einem auch ein Finale keine Garantie gibt.
Was spricht für Terzić, was gegen ihn?
Im vergangenen Jahr hat er bereits mit Dortmund die Meisterschaft auf den letzten Metern verspielt – und sicher hat er auch das ein oder andere unglückliche Interview gegeben nach Spielen. Aber er hat weiterhin viele Fürsprecher mit Aki Watzke und Matthias Sammer. Auch ich war immer ein Fürsprecher. Die Art und Weise, wie er coacht, finde ich schon sehr gut. Ich würde bei Dortmund einfach an einer anderen Stelle ansetzen.
Wo denn?
Bei der Mannschaft. Da müssen sie schauen, von wem sie sich neben Marco Reus noch trennen und was sie verändern müssen, um eine konstant gute Saison zu spielen.
Wie ist da Ihre Meinung in Bezug auf Mats Hummels. Angeblich will er nur in Dortmund bleiben, wenn Terzić geht. Und vor dem Champions-League-Finale hat er sich sehr kritisch über seinen Trainer geäußert – und die Art und Weise, wie er hat Fußball spielen lassen in der Saison.
Er sollte sich einfach mal für einen Trainerschein anmelden und es dann in Zukunft selbst besser machen. Ich bin ein Freund davon, wenn ein Spieler etwas anregt und seine Meinung sagt. Aber ich bin auch ein Freund davon, das nicht alles öffentlich zu machen.
Nicht?
Nein. Natürlich kann es auch an der ein oder anderen Stelle helfen, etwas öffentlich anzusprechen. Das muss aber immer im Sinne der Mannschaft sein und niemals gegen irgendjemanden aus den eigenen Reihen gerichtet. Ich würde mich persönlich – und das habe ich ja auch gemacht – durchaus mit anderen anlegen. Aber doch nicht mit denen, die über meinen neuen Vertrag mitentscheiden.
Hat Hummels das Zeug zum Trainer – vielleicht sogar irgendwann für einen Topklub wie Bayern?
Warum ist Hummels denn nicht bei der Nationalmannschaft dabei?
Sagen Sie es uns – womöglich, weil ihm sein Image als Querulant vorauseilt?
Das mag sein. Und das wäre natürlich auch mit Eigenschaften verbunden, die als Trainer nicht optimal wären. Das Trainerdasein ist eine ganz andere Welt, in der du 26, 28 Spieler führen musst. Ich würde trotzdem sagen: Er soll es machen und probieren. Allerdings muss er dafür erst mal entscheiden, wie es nach dieser Saison weitergeht, ob er noch weiterspielt.
Was würden Sie an seiner Stelle machen?
Ich würde Hummels das Gleiche raten wie Kimmich: ins Ausland gehen und noch mal eine Erfahrung mitnehmen, die er bisher noch nicht gemacht hat.
- Interview mit Stefan Effenberg.