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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Helden des Monats" Die Straßenwächter stellen keine Fragen, sie verteilen nur Ratatouille
Sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr sind sie unterwegs auf den Straßen von Köln und kümmern sich um Obdachlose. Darum sind die "Straßenwächter" die "Helden des Monats". t-online hat sie begleitet.
Lange warten müssen Anja Warncke und Tina Telschow nicht auf ihre ersten Abnehmer. Vor einem Discounter am Habsburgerring machen die beiden Kölnerinnen mit ihrem schweren Bollerwagen Halt und werden bald umschwärmt von ihren "Klienten". Immer wieder schöpfen sie aus einem gut isolierten Behälter Ratatouille mit Reis in kleine Plastikschüsseln. Dazu gibt es Wasser aus großen Flaschen.
Es ist kurz nach 18 Uhr. Irgendwo im Hintergrund brüllt eine offenbar verwirrte Frau Unverständliches. Auf den Ringen hat es angefangen zu regnen. Wieder einmal sind Anja Warncke und Tina Telschow unterwegs, um Essen zu den Menschen zu bringen, die kaum Geld für warme Mahlzeiten übrighaben. Obdach- und Wohnungslose sind die "Klienten" der beiden Helferinnen des Kölner Vereins "Straßenwächter", der jeden Tag ein Versorgungsteam an den äußersten Rand der Gesellschaft schickt, der gleichzeitig mitten in der Stadt liegt.
Die immergleiche Tour der Ehrenamtlichen beginnt am Ladenlokal des Vereins an der Balduinstraße, wo sie nach zwei bis drei Stunden auch wieder endet. Dazwischen liegen bittere Schicksale und menschliche Abgründe, aber auch Hoffnung, Humor und Dankbarkeit.
Köln: Es gibt eine Menge Elend auf den Straßen
Tina Telschow ist seit zwei Monaten dabei, Anja Warncke hat ihr Ehrenamt vor drei Jahren begonnen. Dass ihnen eine Menge Elend begegnen würde auf den Kölner Straßen, sei ihnen vorher bewusst gewesen. Jeder, der mit offenen Augen durch die Stadt laufe, sehe doch die Menschen, denen es nicht gut gehe. "Trotzdem ist da noch viel Spaß und nicht nur Tristesse", so Anja Warncke. Wie viel gelacht werde rund um die Essensausgabe sei für sie am Anfang die eigentliche Überraschung gewesen: "Es gibt Leute, wenn ich die sehe, kriege ich gute Laune."
Klaus (Name geändert) wartet auf einer Bank auf der Breite Straße auf Anja Warncke, Tina Telschow und ihren Bollerwagen. Der 66-Jährige ist ordentlich gekleidet, rasiert und frisiert, die Schuhe sind geputzt. Dass er seit elf Jahren in einem Zelt lebt, das aktuell in einem Wald am Stadtrand steht, ist ihm nicht anzumerken. Gesundheitliche Probleme hätten ihn damals aus dem Berufsleben geworfen, sagt Klaus. Danach sei das Geld knapp geworden. Der Wahl-Kölner bezeichnet sich als "Ausnahme-Obdachlosen". Kontakt zu anderen in seiner Lage habe er kaum, die städtischen Unterkünfte meide er – zu viel Kriminalität.
Da er eine kleine Rente beziehe, nicht rauche und nicht trinke, könne er sich "auch mal für einen Zehner ins Restaurant" setzen. Aber ab und zu greife er gern auf das Angebot der Straßenwächter zurück: "Das Essen ist okay, vor allem abwechslungsreich. Und die Leute kommen immer, sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr, das muss erstmal einer nachmachen." Dann verabschiedet sich Klaus, der sich arrangiert zu haben scheint mit seiner Situation, aber irgendwann doch gern eine eigene Wohnung haben würde.
In Koblenz gestartet, in Köln weitergemacht
Gründer des Vereins Straßenwächter ist Dennis Bucek. In Koblenz fing der 37-Jährige an, nach Feierabend überschüssige Lebensmittel von Bäckereien an Bedürftige zu verteilen. In Köln, wo es ungleich mehr Wohnungs- und Obdachlose gibt, setzte er seine Arbeit fort: "Mir war es in erster Linie wichtig, den Überfluss an Lebensmitteln wegzubekommen", sagt er. Immer größer sei seine Initiative im Laufe der Zeit geworden, seit einem Jahr gibt es die Straßenwächter nun als Verein mit mehr als 230 Ehrenamtlichen.
Im Ladenlokal an der Balduinstraße kann sich Buceks Klientel montags bis samstags von 15 bis 20 Uhr neu einkleiden oder sich bei einem Kaffee aufwärmen. Außerdem können die Frauen und Männer für wenig Geld ihre Sachen waschen. Das alles werde über Spenden finanziert, so Dennis Bucek. Das Essen für den Bollerwagen kocht der Verein zum Teil selbst oder bekommt es von zwei Restaurants zur Verfügung gestellt.
Wie sehr die Menschen auf der Straße von dem kostenlosen Service abhängen, zeigte sich am Anfang der Corona-Pandemie. Aus Unsicherheit hätten die Straßenwächter damals zehn Tage lang Pause gemacht, sagt Dennis Bucek: "Das war scheinbar fatal, weil nicht nur wir das gemacht haben, sondern alle Organisationen." Aus purer Not hätten sich Klienten Essen stehlen müssen. Einige seien sichtbar abgemagert.
Die Straßenwächter fragen nicht, Hilfe bekommt jeder
Anja Warncke und Tina Telschow fragen nicht viel nach, welche Umstände die Menschen auf die Straße getrieben haben. Aber natürlich bekommen sie einige Geschichten zu Ohren. "Man muss schon aufpassen, dass man emotional nicht zu sehr reinrutscht, was aber auch nicht immer möglich ist", sagt Anja Warncke, von Beruf Art-Direktorin. Besonders nehme es sie mit, wenn sich der gesundheitliche Zustand der Obdachlosen verschlechtere. Wenn sich etwa die Gesichtsfarbe gelb verfärbt, weil etwas mit der Leber nicht stimmt. Oder wenn Drogenabhängige dünner und dünner werden. "Der körperliche Zerfall ist allgegenwärtig."
Wer an Obdachlose denke, habe in der Regel Männer und Frauen im Kopf, die vor dem Supermarkt um Geld bettelten: "Aber nicht die, die in den Ecken halb vor sich hinvegetieren." Manchmal müssen die Straßenwächter auf ihren Touren nachschauen, ob Personen überhaupt noch leben. Ihr Ehrenamt gibt ihnen trotz mancher Härten viel zurück. "Wir tun einfach einen wahnsinnig großen Schritt in die richtige Richtung", sagt Tina Telschow: "Ich bin ohne Erwartungen rangegangen und war positiv überrascht, es macht mir Riesenspaß. Ich freue mich, den Menschen etwas zu essen und zu trinken geben zu können und im Winter einen warmen Tee."
Auf der Ehrenstraße lässt sich ein Paar mit Ratatouille versorgen, das offensichtlich unter Drogen steht. Der junge Mann schafft es so eben, die Schüssel zusammen mit der Flasche Bier und der Zigarette in den Händen zu halten. Seine Begleiterin wirft ein paar Cents in die Spendenbox, die eigentlich nicht an die Bedürftigen gerichtet ist. Die beiden bedanken sich höflich und gehen ihrer Wege.
Dankbarkeit – meistens zumindest
So sei es meistens, sagen die Helferinnen: "Wir bekommen superviel Dankbarkeit." Manchmal aber auch nicht. "Shut up", ruft ein Mann mit langen verwilderten Haaren, als ihm Anja Warncke einen Becher Wasser anbietet: "Lass mich in Ruhe." Ein paar sexistische Sprüche schickt der Betrunkene noch hinterher. Anja Warncke kennt ihn schon: "Das war noch harmlos."
Die Frauen bleiben gelassen: "Wichtig sind Geduld, Freundlichkeit und Unvoreingenommenheit", sagt Tina Telschow. Angst spiele bei ihnen keine Rolle: "Wenn uns einer krumm kommt, kommen die anderen Betroffenen dazu und helfen uns", sagt Anja Warncke. "Weil sie Angst haben, dass wir keine Tour mehr machen." Für viele Bedürftige sei der Bollerwagen die einzige Möglichkeit, an eine warme Mahlzeit zu kommen.
Andrej, der auf der Hohen Straße sitzt, hat vor sich den Schriftzug "Lächeln" aufgestellt: "Durch Lächeln kriegst du auch Freundlichkeit zurück", sagt der 37-Jährige. Heute sei ihm aber weniger zum Lächeln zumute: "Das Wetter zieht mich runter." Vor sechs Monaten ging seine Beziehung in die Brüche, aus der gemeinsamen Wohnung flog er raus. Sie gehörte dem Vater seiner Freundin. Auch den Job verlor er anschließend.
"Was vorher normal war, ist jetzt Luxus"
Jetzt schläft er draußen, "mal da, mal da". "Sehr hart" sei das Leben auf der Straße: "Was vorher normal war, ist jetzt Luxus." Eine Wohnung finde er nicht, aber so könne es nicht bleiben. "Es muss demnächst etwas passieren, ich bin langsam erschöpft." Er wolle sein altes Leben zurückhaben, wieder arbeiten, Geld verdienen, in den Urlaub fahren. Unbedingt. "Ich gebe nicht auf. Wenn ich jetzt aufgebe, dann bin ich verloren. Dann werde ich enden wie die anderen, die rumlaufen und stinken und immer betteln. Das will ich nicht." Dann hat Andrej keine Zeit mehr, das Ratatouille wird sonst kalt.
Der Neumarkt ist die letzte Station von Anja Warncke und Tina Telschow. Es ist sicher nicht der einfachste Stopp für die Straßenwächterinnen, der Neumarkt ist bekannt für seine Drogenszene. Oft werde es laut und wuselig rund um die Essensausgabe, es gebe viel "Fressneid" unter den Bedürftigen: "Man muss sich schon sehr durchsetzen." Aber heute bleibt es ruhig, nur zehn Portionen wandern aus dem großen Behälter, der jetzt fast leer ist. Nach zwei Stunden machen sich die beiden Frauen auf den Weg zurück an die Balduinstraße. "Es war sehr lecker", ruft ihnen ein Mann noch hinterher.
Disclaimer: Das Nachrichtenportal t-online ist ein Angebot der Ströer Content Group, in deren Zusammenarbeit die "Held des Monats"-Aktion entstanden ist.
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