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Kölner Hooligan-Szene: Die Geschichte von „Vollstrecker“ Kalla


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Urgestein der Kölner Hooligan-Szene
"Egal wie oft es auf die Birne gab, die Lust auf Gewalt blieb"

Von Bülent Esmen

04.08.2024Lesedauer: 8 Min.
Karl-Heinz, genannt Kalla. Mit seinen über 60 Jahren zählt er zur grauen Hooligan-EminenzVergrößern des Bildes
Karl-Heinz, genannt Kalla. Mit seinen über 60 Jahren zählt er zur grauen Hooligan-Eminenz (Quelle: Bülent EXXSY Esmen)

Sie nennen ihn den "Vollstrecker". Karl-Heinz, genannt "Kalla", ist ein Urgestein der Kölner Hooligan-Szene. Was treibt einen Mann an, sein Leben dem Fußball und der Gewalt zu widmen? Eine Begegnung.

Und dann gibt es da noch die Geschichte mit dem Hammer, der Plastikplatte und dem Schalke 04, aber eigentlich will er nicht darüber sprechen. Karl-Heinz, 62, genannt "Kalla", eine Erscheinung von einem Mann, kahlrasiert, volltätowiert und muskelbepackt, hält kurz inne, schaut in die Leere, dann lächelt er und erzählt die Geschichte einfach doch. "Die haben mich fertig gemacht", sagt er und schüttelt den Kopf. "Obwohl ich bereits am Boden lag. Einfach unehrenhaft." Das war 1978. Er zeigt ein Foto von einem Hammer. "Mit so einem Ding haben sie mich niedergestreckt. Jetzt habe ich ne Plastik-Platte im Schädel." Kurze Ruhe. Dann lächelt er. "Aber ich hab’s überlebt. Normal. Schalker Schläge machen nichts."

"Kopfnuss Kalla" prägte Szene

Karl-Heinz kann einstecken. Aber er kann auch austeilen. Das hat er über viele Jahrzehnte bewiesen. Er ist eine der zentralen Figuren der Kölner Hooligan-Szene. Kaum jemand hat sie so sehr geprägt, wie der Mann, den sie alle nur "Kalla" nennen. Er gilt als graue Eminenz, war sehr eng befreundet mit Mitgliedern der Red Army Cologne und ist Gründungsmitglied der Cologne Streetfighters, der berüchtigtsten Hooligan-Truppe von Köln. Sein Spitzname: "Kopfnuss Kalla".

Eine Begegnung in Köln-Nippes. Bierflaschen stehen auf dem Tisch. Der Aschenbecher gefüllt mit Zigarettenstummeln. In der Luft steht Qualm, der Fernseher läuft im Hintergrund. Fußball. Bei jedem Tor steigt die Stimmung. Bei jedem Gegentor wird geflucht. Kalla hat ein paar Freunde eingeladen. Gelassenes Beisammensein, ein wenig Brauchtumspflege. "Es hat sich eigentlich nicht viel geändert", sagt Kalla. "Fußball begeistert mich heute noch genauso, wie vor 50 Jahren."

Die erste Stadion-Euphorie brennt sich ein

Karl-Heinz wird 1962 in das Kölner Arbeitermilieu geboren. Sein Vater ist leidenschaftlicher Schalke 04-Fan. Kalla wächst mit dem Fußball auf. 1974 kommt es zu einem einprägsamen Ereignis. Kalla ist 12 Jahre alt, in Deutschland wird die Heim- WM ausgetragen und zu seiner Überraschung hat es sein Vater irgendwie geschafft, Karten für das Spiel Deutschland gegen Schweden in Düsseldorf zu organisieren. Kallas erste Stadionerfahrung. "Die Atmosphäre war unglaublich. Ein Spiel gemeinsam mit 60.000 anderen Zuschauern zu sehen, das hat alles verändert." Am Ende des Tages gewinnt der Gastgeber mit 4:2, die Stadion-Euphorie nach dem Sieg brennt sich bei Kalla ein.

Er ist auf den Geschmack gekommen, will diese Live-Atmosphäre wieder und wieder erleben, besucht von jetzt an die Spiele des 1.FC Köln, was sich allerdings für einen 12-Jährigen, dessen Vater S04ler war, und der mit dem FC "nix anfangen" konnte, schwierig gestaltete. "Zu meinem Glück war mein Onkel aber auf meiner Seite und nahm mich des Öfteren mit. Ich muss allerdings zugeben, dass ich mich oft auch ohne Aufsichtsperson zum Stadion geschlichen habe. Frag mich nicht wie, man kam immer rein. Es waren die 70er.“

"Ich wollte dazu gehören, komme was wolle."

Es dauert nicht lange, und Kalla wird zu einem fanatischen Köln-Fan. Sein gesamtes Taschengeld investiert er in Vereins-Utensilien, sammelt alles, was er von den Geißböcken nur bekommen kann. "Zum Leidwesen meiner Mutter holte ich meine beste Jeansjacke aus dem Schrank, schnitt ihr die Ärmel ab und bastelte mir meine allererste Kutte." Seine Anfänge im Müngersdorfer Stadion verbringt er in der Südkurve, Stehplatz 19/21, Ticketpreis 5,00 DM, für damalige Verhältnisse "recht erschwinglich". Mit 15 Jahren dann sein erstes Auswärtsspiel. Eine weitere einschneidende Erfahrung. Es geht wieder nach Düsseldorf. Doch dieses Mal ist alles ganz anders.

Vom Kölner Hauptbahnhof fährt ein Sonderzug. Mit jedem Kilometer, dem man sich Düsseldorf nähert, veränderte sich die Stimmung. Am Bahnhof erwarten ihn bereits Hundertschaften der Polizei. Warum, das verstand er damals noch nicht. Dass aber von den Männern, die die Reisen organisierten, eine gewisse Aura der Bedrohung ausging, das nahm er bereits wahr. "Ich fühlte mich irgendwie zu diesen Männern hingezogen, obwohl mit denen nicht immer gut Kirschen essen war." Den Begriff Hooligan hatte er damals noch nie gehört. "Ich bekam nur mit, dass die Szene in Köln relativ unbeliebt und gewalttätig war. Die Kölner waren gefürchtet. Sie haben nie lange gefackelt, wenn es zu Auseinandersetzungen kam."

Wie ein Rausch

Von nun an dreht sich Kallas ganzes Leben nur noch um Fußball. Sein Wochenablauf wird von Bundesliga- und UEFA Pokalspielen getaktet. Im darauffolgenden Jahr, 1978, holt der "Effzeh" das Double, wird Deutscher Meister und Pokalsieger. Man ist viel unterwegs. Die Euphorie über die Siege schweißt zusammen. Nach und nach lernt Kalla die Leute, mit denen er sich umgibt, immer besser kennen. Auch diejenigen, die beim FC etwas zu sagen hatten. Die Hooligans. Kalla wollte mithalten. Und er wusste, dass er in die strikten Hierarchien nur reinkam, in dem er sich bewies. Und beweisen, musste man sich, Jahre später auch auf dem Acker. Dort verabredete man sich mit prügelfreudigen Fans der gegnerischen Vereine.

"Sich zu beweisen, war alles andere als einfach. Auch weil einige der Jungs echt krank waren", erzählt er. "Aber ich wollte dazu gehören, komme was wolle. Darum zog ich in den Kampf." Seinen Einstand sollte er nicht vergessen. "Im 78er-Pokalhalbfinale wurde ich auf Gelsenkirchen windelweich geprügelt", erinnert sich Kalla. "Aber das war für mich nur ein Anreiz, umso härter zuzuschlagen." Er lässt eine kurze Pause. "Egal wie oft es auf die Birne gab, die Lust auf Gewalt blieb." Mehr noch. Sie stieg an. Der Adrenalinrausch, den Kalla bei den verabredeten Schlägereien erlebte, machte ihn süchtig. Er wollte immer mehr davon. Für den Zeitraum einer Schlägerei brachen alle bürgerlichen Fesseln von ihm los. Man war nur noch auf seine einfachsten Instinkte reduziert. Irgendwie überleben. "Es war wie ein Rausch", beschreibt es Kalla. Die Jungs an seiner Seite, wurden zu seiner Familie. Der Rausch der Gewalt gab ihm das Gefühl, dass er so richtig am Leben war.

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Plötzlich war er jemand. Plötzlich bekam er die Aufmerksamkeit, die ihm bislang in seinem Leben gefehlt hatte. Es fühlte sich für Kalla an, als hätte er seinen Platz in seiner Welt gefunden.

Aus Kopfnuss Kalla dem Hool wurde Kalla der Vollstrecker

Kalla beginnt nebenbei eine Ausbildung als Kaufmann, bricht ab, wechselt dann ins Handwerk. Der Grund? Fußball. "Als Maler und Lackierer fiel der Hammer am Freitag bereits zur Mittagszeit.", sagt er. "Im Einzelhandel musste man auch an den Samstagen ran. Das ging nicht." Sein Leben gehörte dem Fußball, das Wochenende dem "Effzeh". Alles wurde untergeordnet. Viele Beziehungen gingen den Bach herunter, aber die Bindung an seine Hooligan-Freunde wurde enger. Durch seine ständige Präsenz bei Heim- und bei Auswärtsspielen gehört Kalla "so langsam zu der gefürchteten Cologne Firma. Vorerst. Dann kam es zum Scheidepunkt. "Das war die Geschichte mit dem Hammer", sagt Kalla. Oktober 1978. Es kam zu einer Auseinandersetzung zwischen Dortmundern, Schalkern und Kölner Hools. Für Kalla endet der Abend mit einer schweren Kopfverletzung, auf seiner Schädeldecke trägt er seitdem eine etwa 30 Zentimeter lange Narbe. Ein Grund kürzer zu treten? Nicht für Kalla. Sein point of no return war längst überschritten. Dass er trotz einer Nahtod- Erfahrung schon wenige Wochen später wieder Seite an Seite mit seinen Jungs weiterkämpft, macht ihn in der Kölner-Szene endgültig zu einer Legende. Er wird zu einem der Rädelsführer von damals ca. 300 Hooligans.

Wenn Kalla von seinen Kämpfen erzählt, dann spricht er von "Schlachten". Die besten Schlachten, so sagt er, fanden gegen Traditionsvereine statt. "Die konnten uns auch zahlenmäßig gut entgegentreten." An guten Tagen kam der Kölner Mob auf 300-400 Gewalttäter, und "da waren genug Brecher dabei, die man erstmal stoppen musste", erinnert er sich. "Durch die große Anzahl an verrückten Menschen und den großen Zusammenhalt fühlte man sich manchmal unbezwingbar." Aber seine persönlichen Erzfeinde, "das waren die Bauern aus Mönchengladbach." Köln gegen Gladbach – die rheinische Fußball-Rivalität schlechthin.

In der Zeit und den Jahren danach bekam Kalla seinen neuen Spitznamen. Fortan wurde er nur der "Vollstrecker" genannt. "Ich habe mich um diejenigen in den eigenen Reihen in der Komakolonne gekümmert, die erzieherische Maßnahmen gebraucht haben", sagt er ohne in Details zu gehen. In der Hooligan-Szene herrscht ein strenger Kodex, ähnlich wie etwa in Rockergruppierungen. Wer gegen ihn verstößt, der muss mit entsprechenden Strafen rechnen.

"Es ist eine Berufung fürs Leben. Einmal Hool, immer Hool"

Ein paar Wochen später. Kalla steht im Weidenpescher Park, einem der ältesten und bedeutendsten Fußballstadien des Landes. Der Himmel ist grau. Zahlreiche Hools finden sich ein, um ihm zum Geburtstag zu gratulieren. Ältere und jüngere. Kalla wird

60. Nachdem er von allen begrüßt wurde, zieht er sich ein wenig zurück und sitzt etwas abseits vom großen Treiben alleine auf einer der Tribünenränge. Er stützt sich auf einer quer hervorstehenden Eisenstange. In seiner Hand eine Zigarette. Er scheint in Erinnerung zu schwelgen. Sein Blick schweift in die Ferne, obwohl sein Kopf gesenkt ist. Geißbock auf dem Shirt, Köln-Emblem an einer Panzerkette am Hals.

"Hooligan wird man aus Überzeugung", sagt er. "Es ist eine Art Berufung fürs Leben. Einmal Hool, immer Hool." Die Gewalt spielt im Leben von Kalla heute keine große Rolle mehr.

Die Hooligan-Szene hat sich insgesamt mittlerweile verändert. In den 1980er und frühen 1990er Jahren galten die Hooligans als ernstes Problem im deutschen Fußball. Es kam zu regelmäßigen Ausschreitungen in und an den Stadien. Die Fanszenen wurden mehr und mehr von Rechtsextremen unterwandert, die Milieus verschmolzen. Köln bildete da eine gewisse Ausnahme. Die Kölner Hooligan-Szene war immer auch stark durchdrungen und geprägt von Migranten. Die Polizei schien machtlos. Mitte der 1990er-Jahre wurden die Vereine dann selbst aktiv, um die Gewalt rund um die Stadien einzudämmen. Man investierte hohe Summen in Fanprojekte - in dieser Zeit gründeten sich auch die Ultras. Eine neue Fanszene, die sich als bedingungslose Unterstützer für den eigenen Verein verstehen, sich aber klar von Gewalt distanzieren. Mit dem Aufkommen der Ultras wurden die Hooligans an den Rand gedrängt. Wirklich verschwunden sind sie aber nicht.

Kallas zweites Leben

"Wenn du dich in der Szene bewiesen hast, wirst du entsprechend behandelt und hofiert. Dann kommen sie zu dir und freuen sich, sich mit dir unterhalten zu dürfen und dir deine Hand zu schütteln", sagt Kalla. Dann lässt er eine kurze Pause. "Und das fühlt sich gut an." Er spricht leise und höflich und mit fast fragiler Stimme. Anschließend erzählt er von seinem anderen Leben. Von dem Leben, was er abseits des Fußballs führt. Seine Ehe scheiterte, weil er zu wenig Zeit für seine Frau hatte. Der Fußball ging vor. Momentan macht er sich viele Gedanken um seine Mutter. Sie wohnt im Pflegeheim. Er und seine Schwester besuchen sie regelmäßig. Gesundheitlich ist es schwierig, deutet er an. In diesem Moment wird zum ersten Mal in seinen Erzählungen deutlich, dass es für Kalla auch ein Leben fern des Fußballs gibt. Das allerdings hat wenig zu tun mit den epischen Schlachten, den großen Freundschaften und den großen Helden, von denen Kalla mit Begeisterung spricht. Nein, das Leben neben dem Fußball, das ist oftmals einfach nur sehr grau, so wie der Himmel über dem Weidenpescher Park. Als er sich verabschiedet, fallen die ersten Regentropfen.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
  • Eigene Recherchen
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