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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Aktivistin der "Letzten Generation" "Für einen Deal mit der 'Letzten Generation' braucht man Mut"
In Hannover blockieren die Aktivisten der "Letzten Generation" nicht mehr. Hier wurde im Februar ein Deal geschlossen. Wie zufrieden sind die Klimaaktivisten noch damit?
Rund neun Monate ist es her, dass die "Letzte Generation" und die Stadt Hannover eine Vereinbarung getroffen haben: Die Landeshauptstadt unterstützt die Ziele der Klimaaktivisten, dafür kleben sich diese dort nicht mehr auf die Straßen.
Wie blicken die Aktivisten heute auf den Deal? Welche Rolle spielte er für andere Städte? Und warum gelang er gerade in Hannover? t-online hat mit Aktivistin Lena Schiller gesprochen, die Teil der Gruppe war, die im Februar mit Oberbürgermeister Belit Onay verhandelt hat.
t-online: Sind Sie weiterhin mit dem Deal mit der Stadt Hannover zufrieden?
Lena Schiller: Mich macht es immer noch glücklich, wenn ich daran denke, dass sich Hannover als erste Stadt solidarisch hinter die Ziele der "Letzten Generation" gestellt und in der politischen Kommunikation Unterstützung zugesagt hat, auch mit der Bundesebene. Wir haben erlebt, dass hinter der offenen Solidarität einer ersten Person auch die Solidarität vieler anderer steckt.
Welche anderen Personen oder Städte haben sich denn angeschlossen?
Wir haben in den vergangenen Monaten mit den Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen ganz vieler Städte gesprochen – beispielsweise in Remscheid, Greifswald, Lüneburg, Bielefeld, Marburg, Wuppertal, Leipzig und Rostock. Einige sind dem Beispiel von Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay gefolgt und haben ihre Unterstützung öffentlich vertreten, andere haben weniger öffentlich ihre Solidarität mit unseren Zielen zum Ausdruck gebracht.
Welche Rolle spielte der Hannover-Deal für andere Städte?
Hannover hatte auf andere Städte eine besondere Wirkung, weil es eine Landeshauptstadt ist. Und weil diese Stadt in Sachen Klimaschutz sehr fortschrittliche Ansätze vertritt. So etwas hat Orientierungswirkung.
Haben Sie es sich zum Ziel gesetzt, alle Landeshauptstädte auf Ihre Seite zu ziehen?
Eigentlich nicht. Zwar ist die Solidarität eine Möglichkeit, um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen. Gleichzeitig haben wir aber entschieden, die Proteste wieder auf die Hauptstadt Berlin zu konzentrieren und auf diese Weise den Druck zu erhöhen.
Zur Person
Lena Schiller ist Klimaaktivistin bei der "Letzten Generation". Die 44-Jährige lebt in der Nähe von Oldenburg und arbeitet als Therapeutin.
Unter welchen Umständen würden Sie die Proteste in Hannover wieder aufnehmen? Was könnte zu einem Bruch des Deals führen?
Das ist für mich schwer zu beantworten, da ich nicht für die Protestplanung zuständig bin. Im Moment hält der Deal, da uns Belit Onay seine Unterstützung zugesagt hat.
Hat sich in Hannover aus Ihrer Sicht seit dem Deal schon etwas getan fürs Klima?
Belit Onay übernimmt Verantwortung für die Umsetzung in Hannover und ist damit auf dem richtigen Weg. Es braucht aber die Unterstützung des Bundes, um den notwendigen Klimaschutz zu erreichen. Deshalb zielten unsere Proteste immer schon auf die Bundesregierung ab – sie muss endlich angemessen auf die Klimakrise reagieren.
"Andere Bürgermeister wollten sich nicht in dieser Weise angreifbar machen und haben deswegen keinen Deal gewollt."
Lena Schiller, Aktivistin der "Letzten Generation"
Warum hat der Deal gerade in Hannover funktioniert, was macht Hannover in Ihren Augen besser als andere Städte?
Hannover war einfach besonders schnell. Die Stadt hat sich als Erstes entschlossen solidarisch gezeigt und einen Schritt auf uns zu gemacht. Belit Onay hatte die Absicht, den Protest von der Straße zu holen und in politisches Wirken umzuwandeln. Und das, könnte man sagen, macht Hannover besser als andere Städte. Onay hat uns ein Gegenangebot gemacht. Und vielleicht hat er besonderes Verhandlungsgeschick, weil er den Vorteil für Hannover herausgehandelt hat.
Später wurde ihm nachgesagt, dass er sich von Ihnen hat erpressen lassen.
Wir haben diese Kritik zum Anlass genommen, unsere Formulierungen zu schärfen. Die erste Version unseres Briefes an die Oberbürgermeister und Oberbürgermeisterinnen haben wir korrigiert, die Passage zur Nicht-Erfüllung unserer Forderungen herausgenommen. Wir wollten so die künftigen Gespräche mit ihnen von jedweder Bedingung freistellen. Denn genau das Framing "Erpressung" hat dazu geführt, dass viele andere OBs gesagt haben: Wir zeigen uns solidarisch mit der "Letzten Generation", aber wir wollen keinen Deal. Sie hätten alle einen Deal haben können.
Wollten sie nicht, weil sie gesehen haben, wie es danach Belit Onay erging?
Ja, es lag an dem medialen Echo und an der Kritik an ihm. Andere Bürgermeister wollten sich eben nicht in dieser Weise angreifbar machen und haben deswegen keinen Deal gewollt. Es bedarf eines besonderen Mutes, um sich dieser medialen Antwort entgegenzustellen.
Den die anderen Bürgermeister und Bürgermeisterinnen nicht hatten?
Genau. Somit gab es einen Deal derart, dass keine Blockaden mehr stattfinden, in keiner anderen Stadt. Viele Oberbürgermeister und Oberbürgermeisterinnen haben aber ohne Gegenleistung unsere Forderungen erfüllt, etwa in Marburg, Lüneburg, Bonn, Tübingen und Greifswald. Sie schrieben Olaf Scholz persönliche Briefe nach dem Vorbild Belit Onays.
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Wie muss man sich diese Verhandlungen mit Belit Onay vorstellen?
Wir kamen im Alten Rathaus zusammen, wir waren neun Frauen – vier von der "Letzten Generation" und fünf von der Verwaltung – und Belit Onay. Dann haben wir uns über Inhalte ausgetauscht. Schnell waren wir uns einig darüber, dass die Erderwärmung das dringlichste Thema der aktuellen Gesellschaft ist und sofortiges Handeln erfordert. Auch darüber, dass die bisherigen Maßnahmen der Bundespolitik nicht ausreichen, sind wir uns einig gewesen. Insofern brauchte es nicht viel von der Aufklärungsarbeit, die wir sonst leisten müssen. Onay versteht die Dringlichkeit der Krise sehr gut und auch seine Verantwortung, zu handeln.
Wie ging es weiter?
Wir haben über unsere Forderungen gesprochen. Im Anschluss hat Belit Onay das Angebot gemacht, uns für Gespräche die politische Unterstützung zu geben. Ich denke, er wollte zeigen, dass es möglich ist, mit uns zu sprechen und den Protest so zu beenden.
In welchen Punkten waren Sie sich nicht einig?
Es gab keine großen Uneinigkeiten. Allerdings haben wir auch nicht über die Protestform diskutiert, die Onay ablehnt. Er hat seine volle Unterstützung bei gleichzeitiger Diskrepanz zur Protestform ausgedrückt.
Also hat der Oberbürgermeister alle Ihre Forderungen erfüllt?
Ja, die Forderungen wurden erfüllt. Sie bestanden damals in dem offenen Brief an Olaf Scholz und einer solidarischen Erklärung zu unseren Zielen – zum Neun-Euro-Ticket, zum Tempolimit und zu einem Gesellschaftsrat.
Das waren alles Dinge, die bereits auf Belit Onays Agenda standen. Hätten Sie sich dann in Hannover nicht gleich die ganzen Blockaden sparen können?
Unsere Proteste richten sich nicht gegen den jeweiligen Oberbürgermeister oder die Oberbürgermeisterin, sondern gegen die Bundesregierung. Aber möglicherweise war es für Belit Onay kein Problem, sich hinter die Ziele der "Letzten Generation" zu stellen, weil es sowieso seine Ziele sind. Gleichzeitig war es dennoch ein bedeutender Sieg für die "Letzte Generation".
Warum?
Es hat die kommunale Bereitschaft zum Klimaschutz sichtbar gemacht. Zum einen als Unterstützung für die kommenden Gespräche auf der Bundesebene, zum anderen für die Gesellschaft. Denn auch für die Gesellschaft hat es Orientierungswirkung, wenn Bürgermeister und Bürgermeisterinnen sagen: Die Ziele der "Letzten Generation" sind richtig.
Wie haben Sie Belit Onay bei den Gesprächen erlebt?
Ich habe ihn als charismatischen und aufrichtigen Menschen mit Verantwortungsgefühl erlebt. Der auch den Mut hat, sich unbeliebt zu machen. Und der gleichzeitig ein großes Verantwortungsgefühl besitzt.
Wenn ich das jetzt so höre, wäre Belit Onay für Sie wohl ein guter Klimakanzler?
Ich würde ihn wählen. Aber angesichts der Zeit, die wir nicht haben, muss Olaf Scholz der Klimakanzler sein, der er versprochen hat zu sein. Diese Legislaturperiode ist bereits entscheidend für das Fortbestehen der Menschheit.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Schiller.
- Telefoninterview mit Lena Schiller