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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Aktivist der "Letzten Generation" "Das tut uns leid"
Die "Letzte Generation" sorgt für Ärger bei Autofahrern und kostet die Steuerzahler mit ihren Farbaktionen viel Geld. Schadet die Gruppe am Ende dem Klimaschutz?
Die "Letzte Generation" hat die Weltzeituhr in Berlin orangefarben beschmiert, ebenso das Brandenburger Tor. Auf den Straßen reagieren Bürger zunehmend aggressiv auf die Aktivisten und ihre Störaktionen. Wer dringend zur Arbeit muss, hat oft kein Verständnis, wenn ihm selbst ernannte Klimaschützer den Weg blockieren.
Auf der anderen Seite müssen die Aktivisten der "Letzten Generation" auch selbst viel aushalten. Sie werden beschimpft und körperlich angegangen. Sie müssen sich Prozessen stellen, neben Geldstrafen auch mit Gefängnis rechnen. Viele von ihnen geben ihre Jobs auf. Alles für das Ziel, die globale Erwärmung zu stoppen und mehr Menschen und die Regierung dazu zu bringen, sich stärker für den Klimaschutz einzusetzen. Aber gefährden sie nicht gerade dieses Ziel, wenn die Bevölkerung nur noch genervt ist?
Simon Lachner, Aktivist der "Letzten Generation", äußert sich im Interview mit t-online zu diesen Fragen.
t-online: Herr Lachner, die "Letzte Generation" blockiert, stört, beschädigt. Sehen Sie nicht, dass Sie damit die Bevölkerung abstoßen?
Simon Lachner: Für mich und auch die anderen Aktivisten der "Letzten Generation" ist es enttäuschend und angsteinflößend, wie sehr die Bundesregierung die große und wichtige Aufgabe des Klimaschutzes verdrängt und nicht ausreichend behandelt. Dass wir durch unsere Proteste immer wieder stören müssen, damit die Klimathemen weiter diskutiert werden, damit wir in dieser Debatte vorwärtskommen können, ist auch für uns wahnsinnig anstrengend.
Glauben Sie wirklich, dass durch Ihre Aktionen Begeisterung für den Klimaschutz entsteht?
Es ist für die Menschen, die von Staus durch Straßenblockaden betroffen sind, störend und nervig. Das können wir absolut verstehen, aber wir müssen weiterhin auf die Klimathemen aufmerksam machen, denn die Regierung hat die Klimakrise bisher immer noch nicht ausreichend wahrgenommen und handelt noch nicht entsprechend.
Laut einer SWR-Umfrage lehnen 85 Prozent der Befragten, d. h. die Mehrheit der Deutschen, Straßenblockaden ab.
Ich bin auch kein Fan von Straßenblockaden, aber es ist eine effektive Form, auf die große Katastrophe des Klimakollapses aufmerksam zu machen. Es wird manchmal vorgeschlagen, dass wir vor Ministerien oder direkt zu den Verursachern dieser Katastrophe gehen. Aber andere Protestformen führen nicht zu den weitreichenden Diskussionen, die wir wünschen. In einer Demokratie müssen wir auch über unangenehme Themen sprechen können.
Apropos unangenehm: Die Schäden, die Ihre Aktionen anrichten, kosten die Steuerzahler viel Geld, auch in Berlin. Manche Bezirke sprechen von vier- oder fünfstelligen Reparaturkosten. Das Geld könnte man auch in den Klimaschutz stecken.
Natürlich verursachen die Proteste, die wir organisieren, Kosten. Das tut uns leid. Aber wir sehen, dass wir uns nur so Gehör verschaffen können. Wenn Kosten anfallen, schauen die Menschen hin.
Es werden in der Diskussion aber gleichzeitig viel höhere Kosten ausgeblendet, nämlich die, die durch den Klimawandel entstehen. Der Verlust der Artenvielfalt etwa kostet: Die Bestäubungsleistung auf unseren Feldern geht verloren, weil sich die Anzahl der Insekten reduziert.
Wir sollten auch über Tausende Hitzetote in Europa sprechen. Wenn man es ganz kaltblütig auf Arbeitsleistung herunterbrechen würde, was ja für manche anscheinend der einzig relevante Faktor ist, entstehen auch Ausfälle für unser Bruttoinlandsprodukt. Und: Die Luftverschmutzung durch den Autoverkehr führt jährlich zu einem Schaden von insgesamt 166 Milliarden Euro in Europa. Das hat eine Studie der European Public Health Alliance (EPHA) im Jahr 2020 gezeigt. Das sind 1.468 Euro pro Stadtbewohner, die wir jedes Jahr beispielsweise als Gesundheitsleistungen aufbringen müssen.
Um eine Mehrheit für den Klimaschutz zu begeistern, könnten Sie doch auch mit positivem Beispiel vorangehen. Sie könnten zum Beispiel Aktionen starten, um mehr Bäume zu pflanzen.
Es gibt Bewegungen, die versuchen, den Klimaschutz vorzuleben. Ich selbst bin in einer solidarischen Landwirtschaft. Wir bauen dort gemeinsam Gemüse an und bezahlen unseren Gärtnern einen fairen Lohn. Aber niemand achtet darauf. Deswegen protestieren wir so, dass der Fokus darauf gerichtet wird. Auch wenn es nervig ist und Kosten verursacht.
Sie haben Ihren Job als Ingenieur für den Klimaaktivismus aufgegeben. Durch Ihre gelernte Arbeit könnten Sie daran mitwirken, Wärmepumpen zu verbreiten und so die Energiewende zu unterstützen. Ist das "Opfer", das Sie brachten, effektiv genug, um Ihre Ziele zu erreichen?
Ich habe mein Leben schon seit Jahren darauf ausgerichtet, die Lebensgrundlage für uns Menschen auf dem Planeten zu erhalten. Zuerst in verschiedenen anderen politischen Bewegungen, nach meinem Studienabschluss durch meinen Beruf, also der Planung und Entwicklung von Nahwärmenetzen und Fotovoltaikanlagen. Aber es ist wichtig, dass die großen Weichen gestellt werden. Die Arbeit in einer Firma an Einzelprojekten wäre in diesem Zusammenhang leider der viel kleinere Hebel. Ich versuche, auf unsere Bundesregierung Druck auszuüben, damit sie eben die großen Weichen so stellt.
Was sind denn die großen Weichen?
Wir müssen massive Veränderungen einleiten. Das hieße zum Beispiel, energisch die öffentlichen Verkehrsmittel zu fördern und aus dem Individualverkehr auszusteigen. Wir müssen ernsthafter darüber reden, wie lange wir uns das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas leisten wollen. Aber solange nicht darüber debattiert wird, sondern darüber, welche Kosten unser Protest verursacht, werden wir unsere Proteste fortsetzen müssen.
Herr Lachner, vielen Dank für das Gespräch!
- Persönliches Telefoninterview mit Simon Lachner
- tagesschau.de: "Deutsche lehnen Straßenblockaden mehrheitlich ab"
- bmwk.de: "Habeck: Klimaschutzziele rücken erstmals in Reichweite"
- twitter.com: Letzte Generation bei X (vormals Twitter) - @AufstandLastGen