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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Grünen-Minister zur Heizungswende "Wäre ein Fehler, sich jetzt eine Öl- oder Gasheizung einzubauen"
Die Grünen in Hessen ziehen mit Tarek Al-Wazir erstmals mit einem eigenen Ministerpräsidenten-Kandidaten in den Landtagswahlkampf. Ein Gespräch über Klimapolitik und die Protestformen der "Letzten Generation."
Tarek Al-Wazir, Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, will für die Grünen die Nummer eins in der hessischen Landespolitik werden. Knapp vier Monate vor der Landtagswahl am 8. Oktober spricht der 52-Jährige im Interview mit t-online über das geplante Gebäudeenergiegesetz, warum er den zehnspurigen Ausbau der A5 bei Frankfurt nicht priorisieren will und weshalb er den Protestformen der "Letzten Generation" nichts abgewinnen kann.
t-online: Herr Al-Wazir, Sie bezeichneten kürzlich die Aktionen der "Letzten Generation" als "elitär und selbstgerecht". Was stört Sie an den Aktivisten?
Tarek Al-Wazir: Bäume vor dem Kanzleramt absägen, den Arbeitsweg der Bevölkerung blockieren oder schwarze Farbe auf das Grundgesetz-Denkmal kippen – das ist das Gegenteil von dem, was wir für mehr Klimaschutz und mehr Akzeptanz brauchen. Da darf man sich nicht wundern, wenn die Leute sich gegen einen wenden.
Sie kritisieren also die Methodik. Was halten Sie von ihren Forderungen?
Die Forderungen selbst sind ja nicht gerade revolutionär: Tempolimit, ein Gesellschaftsrat und 9-Euro-Ticket. Natürlich hat in einer Demokratie jede und jeder das Recht, das zu fordern. Aber die Aktionsformen der "Letzten Generation" führen dazu, dass die allerwenigsten Menschen überhaupt wissen, was die Aktivisten erreichen wollen. Weil nur noch darüber geredet wird, wie sie es tun.
Immerhin hat die "Letzte Generation" erst kürzlich erreicht, dass sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) mit Mitgliedern getroffen hat.
Und hat es was geändert?
Herr Wissing hat noch kein Tempolimit angekündigt.
Genau das ist der Punkt. Man braucht für Veränderungen in der Demokratie Mehrheiten – im Parlament, aber auch in der Bevölkerung.
Aber mal ehrlich: Hätte der junge Tarek Al-Wazir denn nicht auch bei der "Letzten Generation" mitgemacht?
Nein, ganz sicher nicht. Klar, die Grünen haben eine Geschichte von zivilem Ungehorsam und von symbolischen Aktionen, um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Aber wir haben uns auch immer überlegt: Wie kommt das an und hilft das eigentlich? Es ist ein Unterschied, ob ich einen Castortransport blockiere oder den Arbeitsweg der Bevölkerung und mich danach wundere, dass die Leute sauer auf mich werden.
Um den Klimawandel einzudämmen, muss auch Hessen die Energiewende schaffen. Doch obwohl die Grünen in der Regierung sind, kommt der Ausbau der Windkraft nicht voran. Woran liegt das?
Wir sind neben Schleswig-Holstein das einzige Land, das die Ziele bei der Ausweisung von Windkraft-Vorrangflächen schon jetzt erfüllt – 1,9 Prozent der Landesfläche sind konkret beschlossen. Jetzt kommt es darauf an, dass man dort auch wirklich Windräder baut. Die EEG-Reform 2016 hat allerdings dafür gesorgt, dass der Zubau der Windkraft in ganz Deutschland fast zum Erliegen gekommen ist. Dazu haben wir in Hessen als waldreichstes Bundesland eine etwas schwierigere Situation. Wir liegen nicht an der Küste, wo ein 50-Meter-Windrad auf einen Acker gestellt werden kann, bei uns sind es dann 150-Meter-Windräder im Wald.
Die Energiewende kann aber nicht nur an der Küste stattfinden.
Deswegen arbeiten wir daran, den Windkraft-Ausbau auch in Hessen wieder in Gang zu bringen und haben massiv Personal aufgestockt. Wir haben außerdem gemeinsam mit Naturschutzverbänden und Projektierern einen Leitfaden für die Genehmigungsbehörden entwickelt, damit beides geht: Artenschutz und Ausbau der Windenergie. Allerdings wird in Hessen gegen einen Großteil der Windräder, die genehmigt werden, geklagt. Deswegen wurde ein neuer spezieller Senat am Verwaltungsgerichtshof geschaffen, um auch dort für mehr Tempo zu sorgen.
Wie kann in der Bevölkerung mehr Akzeptanz für Windenergie geschaffen werden?
Die Akzeptanz dafür ist mehrheitlich immer da gewesen. Das wissen wir aus Umfragen – und dort, wo Windräder schon stehen, steigt sogar die Akzeptanz, weil die Menschen merken, dass davon die Welt nicht untergeht. Das Problem ist nur, dass die Mehrheit sich nicht geäußert, sondern eine laute Minderheit den Diskurs bestimmt hat.
Die Mehrheit der Menschen ist aber gerade auch massiv verunsichert vom Gebäudeenergiegesetz. Die Ampelkoalition streitet seit Monaten darüber. Viele Eigentümer haben Angst, für viel Geld die Heizung austauschen zu müssen. Was sagen Sie denen?
Ich verstehe, dass viele verunsichert sind. Es wurde einfach auch viel Unsinn verbreitet: Denn keine funktionierende Heizung muss rausgerissen werden. Wir sprechen über die Frage, was passiert, wenn eine Heizung ans Ende ihrer Lebenszeit kommt. Wir können nicht ewig neue Öl- und Gasheizungen einbauen. Die Zeit von billigem russischem Gas ist vorbei. Und selbst wenn es wiederkäme: Die Preise für Öl und Gas würden steigen. Deswegen kann ich nur sagen: Wer sich jetzt eine Öl- oder Gasheizung einbaut, macht sehr wahrscheinlich langfristig einen ökonomischen Fehler.
Aber auch eine Umrüstung auf Wärmepumpen oder Alternativen ist teuer und überfordert viele.
Wir Grünen sind deshalb sehr dafür, dass diejenigen, die davon finanziell überfordert sind, auch einen höheren Zuschuss erhalten. Die FDP fordert, dass alle gleich viel bekommen sollen. Das kann nicht der richtige Weg sein. Das muss in den nächsten Wochen geklärt werden.
Die FDP sträubt sich generell gegen die Gesetzesvorlage, fordert weitreichende Nachbesserungen. Ist der Zeitplan, dass das Gesetz bis Januar 2024 startet, überhaupt noch zu schaffen?
Ich bin sehr dafür, dass wir dieses Gesetz noch vor der Sommerpause beschließen. Ob das dann bedeutet, dass alles zum 1. Januar 2024 in Kraft tritt, ist eine andere Frage. Die Grundidee ist ja entscheidend. Ich glaube daher, dass es klug wäre – aus Gründen von Planungssicherheit, Lieferfristen und Ähnlichem – das Gesetz schrittweise in Kraft treten zu lassen. Es ist daher richtig und konstruktiv, dass Robert Habeck das Heizungsgesetz verbessern und über genau diese Punkte sprechen will. Denn es geht darum, ein gutes Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Wärmewende in Deutschland einläutet und die richtigen Weichen für eine klimaneutrale Zukunft stellt.
Auch Sie kämpfen in Hessen gerade gegen große Widerstände bei Projekten – etwa dass Tausende Tonnen ehemals radioaktiven Bauschutts aus dem AKW in Biblis auf der Mülldeponie in Büttelborn entsorgt werden. Wird es trotzdem so kommen?
Wer A wie Abschalten sagt, muss auch B wie Bauschutt sagen. Wir haben lange dafür gekämpft, dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Nun hat der Abriss in Biblis begonnen und natürlich gibt es dann auch Bauschutt. Wenn es strahlende Abfälle gibt, müssen die in ein Endlager. Und wenn es Bauschutt gibt, der nicht strahlt, dann muss der woanders hin. Punkt.
Die Büttelborner sehen das anders. Sie fragen sich: Warum vor unserer Haustür?
Ich habe großes Verständnis für Fragen. Aber man muss einfach sagen: Das ist Bauschutt, der nicht strahlt. Es wurden sehr viele Fragen gestellt und auch beantwortet. Irgendwann sollte man dann auch mal sagen: Ok, so ist es dann.
Kritisiert wird auch, dass Sie den zehnspurigen Ausbau der A5 westlich von Frankfurt nicht priorisieren. Sehen Sie nicht, wie hoch dort das Verkehrsaufkommen ist?
Wir haben jedes einzelne der insgesamt 30 hessischen Projekte im Bundesverkehrswegeplan sehr genau angeschaut und zurückgemeldet, was aus unserer Sicht besonders dringlich ist und was vielleicht gar keinen Sinn ergibt. Ich frage mich: Wie kann man ernsthaft einen zehnspurigen Ausbau der A5 wollen? Ja, wir haben im Rhein-Main-Gebiet eine hohe Belastung, wir müssen deshalb auch an manchen Stellen Straßen ausbauen, aber wir sind halt in Deutschland und nicht in Los Angeles. Und ich bin sehr sicher, dass das viele Menschen so sehen wie ich.
Die Menschen, die täglich mit dem Auto von Frankfurt nach Wiesbaden im Stau stehen, sehen das anders.
Wir haben den Pendlerinnen und Pendlern gute Alternativen zu bieten. Beispielsweise soll der Ausbau der S6 bis Bad Vilbel noch bis Ende des Jahres fertiggestellt sein. Und durch die "Wallauer Spange" soll die Fahrzeit von Wiesbaden bis zum Frankfurter Flughafen halbiert werden.
Zum Abschluss: Die Umfragewerte der Grünen sind im Keller, bei den Wahlen in Bremen verloren sie fünf Prozentpunkte. Haben Sie Angst, dass Herr Habeck, die Querelen in seinem Ministerium und die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz Ihnen die Landtagswahl vermasseln?
Nein, habe ich nicht. Schauen Sie doch mal nach Kiel. In Schleswig-Holstein waren bei der Kommunalwahl am gleichen Tag mehr Menschen wählen als in Bremen – dort haben die Grünen ein Rekordergebnis erzielt und sind damit stärkste Kraft vor Ort geworden. Ohne jetzt Bremen zu nahe treten zu wollen, aber: Wenn ich sehe, dass die Grünen in der Landeshauptstadt Kiel 27 Prozent bekommen, stärkste Kraft werden und am selben Tag in Bremen ein Minus von 5 Prozent einfahren und bei 12 Prozent landen, muss es wohl lokale Ursachen dafür geben.
Sie sehen also noch Chancen, erster Ministerpräsident Hessens in Turnschuhen zu werden?
Wenn die Wählerinnen und Wähler das so wollen. Das ist ja das Schöne an einer echten Demokratie, dass man vor der Wahl nicht weiß, wie sie ausgeht. Da stehen die Schuhe. (Deutet auf einen Schuhkarton im Bücherregal.) Sie warten.
Herr Al-Wazir, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Tarek Al-Wazir