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"Tag des Sieges" in Berlin: Ehrenvolles Gedenken – aber auch eine Feier für Putin


"Tag des Sieges" in Berlin
Ehrenvolles Gedenken – aber auch eine Feier für Putin


Aktualisiert am 09.05.2022Lesedauer: 4 Min.
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Russischstämmige Berliner gedenken ihren Angehörigen aus der Roten Armee: Der 9. Mai ist in Berlin dieses Jahr ein Politikum.Vergrößern des Bildes
Russischstämmige Berliner gedenken ihren Angehörigen aus der Roten Armee: Der 9. Mai ist in Berlin dieses Jahr ein Politikum. (Quelle: Jannik Läkamp/t-online)

Am Tag des Sieges über Nazi-Deutschland gedenken Nachkommen von Rotarmisten gemeinsam in Berlin – viele zeigen aber unverhohlen ihre Unterstützung für den Krieg in der Ukraine. Handgemenge bleiben dabei nicht aus.

Der Sieg über den Faschismus – in Russland ist der 9. Mai einer der wichtigsten Feiertage. Auch in Berlin wird er traditionell groß gefeiert. Vor allem Einwohner aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion gedenken der Rotarmisten aus ihren Familien. Der Großväter, die im Krieg gegen Nazi-Deutschland ihr Leben oder ihre Gesundheit ließen. Es ist ein Tag für den Frieden – eigentlich.

Denn in diesem Jahr steht der Gedenktag unter dem Stern des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Und tatsächlich, auf dem Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten wird der Konflikt im Kleinformat ausgetragen. Eine Diskussion zwischen prorussischen und proukrainischen Teilnehmern entbrennt zum Streit, wird zum Handgemenge. Zwar greift die Polizei schnell und rigoros ein, aber eines ist offensichtlich: Durch die Menge der Gedenkenden am Ehrenmal verläuft eine unsichtbare Bruchlinie.

An diesem 9. Mai soll in Berlin niemand Flagge zeigen. Mit einer Allgemeinverfügung verbietet die Polizei das Tragen von russischen oder ukrainischen Fahnen und Symbolen. Die meisten der vielen Hundert Demonstranten nehmen das ernst. Statt Flaggen oder Bannern haben sie Blumen und Bilder ihrer Großväter dabei, Orden und Sowjet-Insignien meist brav abgeklebt.

Das überrascht Daniel Saldivia Gonzatti. Er ist Protest- und Extremismusforscher, war schon bei vielen solcher Demonstrationen vor Ort. "Ich hätte erwartet, mehr russische Flaggen zu sehen, mehr Plakate mit Forderungen", so der Experte. Die Stimmung ist friedlich, es wird gesungen, vereinzelt getanzt. Viele alte Menschen sind gekommen, aber auch einige Kinder. Beinahe alle halten Bilder ihrer Verstorbenen hoch.

Berlin: Flaggenverbot wird kreativ missachtet

So auch Marina Chervakov. Die 45-Jährige lebt seit 25 Jahren in Berlin, ursprünglich stammt sie aus Kasachstan. Sie gedenkt jedes Jahr am 9. Mai ihres Großvaters Ivan. Dass die Flaggen verboten wurden, findet sie schade. Trotzdem ist sie froh, dennoch gedenken zu können. "Es ist einer unserer wichtigsten Feiertage", erklärt Chervakov. "Fast jede Familie in der Sowjetunion hat der Weltkrieg getroffen." Mit dem Krieg in der Ukraine habe das nichts zu tun, sagt sie.

Fast wirken die vielen Polizisten fehl am Platz. Einige Demonstranten versuchen allerdings durchaus, das Flaggenverbot zu umgehen. Mit bedruckten Kleidungsstücken oder Sneakern in den Farben Russlands. Eine von ihnen ist Jevgenija Wenzel. Die gebürtige Kirgisin kam vor 30 Jahren nach Deutschland, damals war sie sieben Jahre alt.

Zu dem Gedenkmarsch ist sie in einem sehr russischen Outfit gekommen. Auf dem Oberteil prangen der Name ihres Heimatlandes und die weiß-blau-roten Farben, ihre Schuhe sind ebenfalls in weiß-blau-rot gehalten, und auch auf einem mitgebrachten Pulli ist die Flagge zu sehen. "Ich bin eben ein Russland-Fan", erklärt die 37-Jährige. Probleme mit der Polizei habe sie deswegen nicht bekommen.

"Sie haben sich mein Outfit zwar angeschaut, aber ich kann ja auch nicht nackt rumlaufen", scherzt sie. Sie ist zwar Deutsche, habe aber eine "russische Seele". Dass sie die russische Flagge so stolz trägt, während Putin in der Ukraine einen blutigen Krieg führt, findet sie keineswegs unsensibel.

Ihrer Auffassung nach sei der russische Angriffskrieg lediglich eine "Spezialoperation", um die Ukraine von angeblichen Faschisten zu befreien. Eine weitverbreitete Verschwörungstheorie, so der Extremismusexperte Saldivia Gonzatti, der russischen Staatspropaganda entsprungen. Gegenteilige Informationen oder Beweise würden von ihren Anhängern oftmals schlicht nicht zugelassen, als Propaganda abgetan. Außerdem biete dieser Irrglaube eine einfache Lösung für ein komplexes Problem, eine bequeme Lösung, sich für "die Guten" zu halten.

"Einschränkung der Meinungsfreiheit mitten in Berlin"

Auch Miro und Vole mit ihrem Hund Lucky sind prorussisch. Auf seiner Sportjacke trägt Vole die russischen Farben. Beide stammen ursprünglich aus Serbien, sie wollen heute der sowjetischen Soldaten des Zweiten Weltkriegs gedenken. Dass sie keine sowjetischen Flaggen zeigen dürfen, findet Miro traurig: "Das ist eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, mitten in Berlin, mitten in Europa."

Er hält den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine für einen "Bruderkrieg". Er befürworte ihn zwar nicht. "Aber ich glaube, dass er notwendig war." Profitieren würden am Ende die USA und die Nato. Was er damit meint, erklärt er nicht.

Eines wird auf der Gedenkfeier am Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten schnell klar. Es ist auch eine Feier für Putin, für seine Propaganda. Mitten in Berlin. Viele der Gedenkenden äußern sich ähnlich wie Jevgenija, Miro und Vole – auch wenn sie nicht so offensichtlich Flagge zeigen. Eine Frau hält sogar die ganze Veranstaltung mit ihren rund 500 Teilnehmern für eine Hommage an den Kremlchef, für einen Erfolg seiner Propaganda.

Doch nicht alle Gedenkenden sind sich darin einig. So wie Sutan Achmaev. Der 63-Jährige stammt aus Tschetschenien – und wurde vor über 20 Jahren infolge einer russischen Invasion von dort vertrieben. Auch er ist gekommen, um zu gedenken. Aber auch, um Präsenz zu zeigen: "Für Freiheit, Demokratie und Europa. Und wir sind viele." Denn als es zum Tumult zwischen den verschiedenen Lagern kommt, ist er mittendrin – auf Seiten der Ukrainer. Für Freiheit, Demokratie und Europa.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Gespräche
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