Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Flaggenverbot am "Tag des Sieges" Das war peinlich
Ausgerechnet am Gedenktag zum Ende des Zweiten Weltkriegs kommt es in Berlin zu tumultartigen Szenen, ausgelöst durch ein fragwürdiges Verbot. Eine Blamage für die Stadt, die leicht hätte verhindert werden können.
Erinnert sich noch jemand an den Sketch von Loriot mit dem schiefen Bild? Ein Mann sitzt im Wartezimmer und starrt auf die Wand gegenüber. Irgendetwas stimmt da nicht. Ein Bild hängt schief. Beim Versuch, es wieder gerade zu hängen, fliegt ein zweites Bild aus dem Rahmen. Und dieses Malheur löst eine Kettenreaktion aus, die damit endet, dass in dem Salon am Ende nichts mehr dort steht, wo es mal war. Der Raum sieht aus, als habe dort eine Bombe eingeschlagen.
Die Botschaft des Videos ist klar: Der Deutsche mag es, wenn die Dinge ihre preußische Ordnung haben. Um diese herzustellen, zahlt er mitunter einen hohen Preis. Zum Beispiel den, dass er damit genau das Chaos anrichtet, das er eigentlich vermeiden wollte.
Dasselbe Dilemma erlebt die Stadt Berlin ausgerechnet an den beiden Gedenktagen zum Weltkriegsende am 8. und 9. Mai. Das schiefe Bild, es sind in diesem Fall gewissermaßen die russische und die ukrainische Flagge. Eigentlich dürfen beide überall in der Stadt öffentlich an den Gedenktagen gezeigt werden, aber nun sieht eine Sonderregel der Polizei für 15 besonders symbolträchtige Orte ein Verbot von Flaggen und militärischen Symbolen vor.
Berlin: Das Verbot hat den Streit erst provoziert
Der Grund klingt einleuchtend: Streit oder gar Handgreiflichkeiten zwischen Putin-Freunden und Ukraine-Anhängern sollen um jeden Preis vermieden werden. Nichts fürchtet der Innensenat mehr als schiefe Bilder.
Doch die hat er jetzt mit seinem Verbot selbst produziert. Im Treptower Park stellten Polizisten am Sonntag eine 25 Meter lange ukrainische Flagge sicher, die Landsleute dekorativ vor dem sowjetischen Ehrenmal ausgerollt hatten. Ein Verstoß gegen die Flaggen-Ausnahmeregel?
Nein. Denn für den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk gilt eine Ausnahme von der Ausnahme. Melnyk gilt als cooler Typ. Er pfeift notfalls auf Konventionen, wenn es darum geht, die Interessen seines Landes zu vertreten. Bei der Polizei heißt es, er habe die Träger der Flagge kurzerhand zu Mitgliedern seiner Delegation erklärt – und damit eine ähnliche Kettenreaktion ausgelöst wie Loriot im Sketch mit dem schiefen Bild. Um Unruhe zu vermeiden, musste die Polizei jetzt nämlich auch ein Auge bei kleineren ukrainischen Flaggen zudrücken.
Eine Blamage für Berlin
Anhänger kommunistischer Splittergruppen reagierten empört. Demonstrativ jubelnd begrüßten sie Egon Krenz, den einstigen Generalsekretär des Zentralkomitees der SED. Das wiederum empörte Ukrainer, die anfingen zu singen. Das Ende vom Lied? Die Polizei musste die Demonstranten beider Parteien auf die andere Straßenseite drängen. Eine Blamage für die Stadt Berlin. Der ukrainische Botschafter spricht von einer "Ohrfeige an die Ukraine und einem Schlag ins Gesicht des ukrainischen Volkes".
Wohl wahr. So nachvollziehbar das Verbot des russischen Symbols "Z" ist, weil es als Billigung des Angriffskriegs gegen die Ukraine gewertet werden kann, so absurd ist das Verbot des Zeigens der ukrainischen Flagge. Deutschland unterstützt das angegriffene Land, inzwischen hat sich auch der Bundeskanzler in einer TV-Ansprache zur Verteidigung der Ukraine mit schweren Waffen bekannt. Die Mehrheit der Deutschen steht hinter diesem Kurs, auch wenn die Zustimmung zur Lieferung schwerer Waffen gesunken ist.
Das Zeigen einer Flagge ist auch ein Akt der Meinungsfreiheit. Verbote sind da im Zweifelsfrei eher kontraproduktiv. Das haben schon die Demonstrationen der Maskengegner und Querdenker gezeigt. Der Innensenat wäre gut beraten, die Ausnahmeregel für Flaggen wieder zurückzunehmen. Einen entsprechenden Antrag hat der Berliner CDU-Generalsekretär Stefan Evers am Montag beim Verwaltungsgericht eingereicht – allerdings nur für ukrainische Flaggen.
Evers war am Sonntag selbst bei der Demo am sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park. Ihm war untersagt worden, eine ukrainische Flagge als Zeichen der Solidarität mit den Kriegsopfern in der Ukraine mitzuführen. "Unerträglich", schrieb er auf Twitter. Stattdessen dürften Putins Anhänger fröhlich die russische Fahne schwenken. Schuld daran sei die regierende SPD. Evers spricht von einer schlimmen Blamage für die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey.
Der CDU-Vorstoß ist zu kurz gedacht
Geht es ihm wirklich um die Meinungsfreiheit? Das darf getrost bezweifelt werden. Hier nutzt einer die Gelegenheit, um der SPD eins auszuwischen. Evers' Vorstoß geht zwar in die richtige Richtung, aber er greift zu kurz. Schließlich leben wir in einer Demokratie, nicht in einer Diktatur. Meinungsfreiheit gilt auch für Putin-Freunde. Es braucht nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, was passieren würde, wenn die Polizei russische Flaggen beschlagnahmte, aber die blau-gelben Flaggen duldete. Es käme wieder zu denselben tumultartigen Szenen.
Manche schiefen Bilder werden eben noch schiefer, wenn man versucht, sie geradezurücken. Diese Lektion lehrte uns schon der wunderbare Loriot.
- Eigene Beobachtungen und Recherche