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Besuch auf Berliner Corona-Intensivstation : "Die Toten waren das Schlimmste"


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Besuch auf Corona-Intensivstation
"Danach mussten wir sie in schwarze Säcke schieben. Grauenhaft"

Von Katharina Weiß und Stefanie Herbst (Fotos)

Aktualisiert am 17.11.2021Lesedauer: 6 Min.
Behandlung eines Corona-Intensivpatienten in Berlin: Besonders das Wenden der Menschen, die beatmet werden müssen, ist ein Kraftakt.Vergrößern des Bildes
Behandlung eines Corona-Intensivpatienten in Berlin: Besonders das Wenden der Menschen, die beatmet werden müssen, ist ein Kraftakt. (Quelle: Herbst/t-online)
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Sie kämpfen immer weiter: Auf den Intensivstationen ringen Mediziner um das Leben von Corona-Kranken. Bei einem Besuch in Berlin sprechen Pfleger über den harten Klinikalltag – und was sie in der Pandemie gelernt haben.

Für Marek Ronkowski waren die Toten das Schlimmste. "Menschen, die den Kampf gegen das Virus verlieren und oft einsam und ohne Angehörige an ihrer Seite versterben", erinnert sich der Stationspfleger. "Danach mussten wir sie in schwarze Säcke schieben. Grauenhaft."

Der 58-Jährige arbeitet in einem Spandauer Klinikum, seine Abteilung heißt schlicht "Innere Intensivstation". Mit seiner markanten Brille und der energiegeladenen Stimme wirkt der Stationspflegeleiter wie einer, der auch in Krisensituationen den Humor nicht verliert. Anders ist es wohl auch kaum möglich, einen Job zu meistern, der seit zwanzig Monaten im Ausnahmezustand erledigt werden muss.

t-online wird ihn und Oberarzt Dr. Hendrik Müller-Ide (45) einen Vormittag lang durch ihre Schicht auf der Intensivstation des Vivantes Klinikums Spandau begleiten. Nach einem schnellen Corona-Test und der Ausgabe von Schutzkleidung geht es los.

Berliner Intensivpfleger bis zu 12 Stunden in Schutzausrüstung

Dieser Mikrokosmos, der für die beiden Alltag bedeutet, ist auf eine hässliche Art unpersönlich, dennoch zeitlos. Statt sterilem Futurismus mutet die Inneneinrichtung eher chaotisch an. Es ist überraschend ruhig. Schon im Gang reihen sich Kabel, in Folien verpackte Kanülen und anderes Zubehör sowie große Maschinen auf Rollen aneinander. Grelles, steriles Röhrenlicht wechselt sich mit dunklen Nischen ab.

Auf der ganzen Station stehen so viele Maschinen bereit, in den Zimmern, den Gängen, dass es überall fast schon unangenehm eng ist.
Dazwischen wandeln die Pfleger und Ärzte durch die Gänge, alle unter hygienischem Plastik – sie sind kaum zu erkennen. Sie tragen Kittel, Masken, Visiere, Handschuhe und Schutzbrillen. Einzig kleine Aufkleber auf den Schutzvisieren unterscheiden sie. Unter den Schichten fühlt es sich an wie ein Saunabesuch. Schon nach 30 Minuten klebt der Schweiß unter dem Plastik. Bis zu zwölf Stunden müssen die Pflegekräfte so arbeiten.

Mit dem immer kollegialen, manchmal scherzhaft, manchmal dramatisch klingenden Ton ihrer Unterhaltungen bilden sie das Gegenstück zu den Patienten, die still in ihren Betten liegen. Um sie dreht sich hier alles. Um ihr Wohlbefinden und Überleben. In diesem Zustand kann man nur wenig von der Person hinter dem Patienten erahnen. Obwohl sie durch große Glasscheiben eigentlich gut zu sehen sind, kann man von den Kranken kaum etwas erkennen, so sehr sind sie von medizinischem Gerät umgeben.

Einige sind völlig ohne Bewusstsein, sie alle hängen an unterschiedlichsten Maschinen, sind an dicke Schläuche angeschlossen. Reglos liegen die Patienten da, ihren Körpern ist der innere Kampf anzusehen. Die modernen, blinkenden und piepsenden Geräte bilden einen erschreckenden Kontrast.

"Ein Großteil sind Ungeimpfte"

Die Covid-Intensivstation ist separat abgetrennt. Hier liegen die, die besonders schwer an dem Virus erkrankt sind. Während in den anderen Zimmern noch der eine oder andere Patient müde auf den Gang hinausblickt, ist es hier beinahe totenstill. Einige Patienten wurden zu ihrem Schutz in ein künstliches Koma versetzt.

Am Morgen des Besuchs von t-online befinden sich in der Spandauer Niederlassung fünf schwer an Corona erkrankte Menschen an Beatmungsgeräten. Neun weitere liegen auf der regulären Covid-Station in einem anderen Stockwerk. Ein Großteil davon seien Ungeimpfte, erklärt Oberarzt Dr. Müller-Ide. Die anderen betroffenen Patienten seien häufig Teil jener Risikogruppen, die sich als erste impfen lassen durften.

"Doch nun liegt die zweite Impfung Monate zurück, der Impfschutz lässt nach. Das Virus hat sich verändert, nun herrscht die Delta-Variante vor." Das führe zu vielen der schweren Verläufe hier, erklärt Dr. Müller-Ide, während er ein Krankenzimmer betritt und den Monitor überprüft. "Deshalb empfehle ich dringend die Booster-Impfung."

In den vergangenen Tagen warnten mehrere große Krankenhäuser, allen voran die Berliner Charité, vor einer erneuten Überfüllung der Intensivstationen. Wegen steigender Infektionszahlen müssen sowohl das Universitätsklinikum als auch die Vivantes-Gruppe mit insgesamt acht Krankenhäusern in der Hauptstadt einen Großteil der geplanten Operationen verschieben. Denn die Pflegekräfte und Mediziner müssen aktuell immer mehr Corona-Patienten versorgen. Dabei sind sie ohnehin schon am Limit, wie Stationsleiter Marek Ronkowski schildert.

Mitarbeitende von Angehörigen bedroht

Oberarzt und Stationsleiter schildern dasselbe Bild: In den ersten beiden Wellen herrschte auf Seiten der Krankenhausmitarbeiter Angst. Die Sorge, nicht mehr genug Schutzausrüstung geliefert zu bekommen, blieb zum Glück unbegründet. "Und wir wissen mittlerweile auch, dass einem das Virus nicht am Hosenbein entlang krabbelt", scherzt Oberarzt Dr. Hendrik Müller-Ide. Man wisse inzwischen deutlich mehr über die Krankheit als zu Beginn der Pandemie.

Doch das Unwohlsein, mit dem die Vivantes-Angestellten über Wochen und Monate hinweg zur Arbeit gehen mussten, steckt den Klinik-Kollegen noch in den Knochen. Besonders im Gedächtnis bleiben werden vielen von ihnen wohl auch die Szenen mit aggressiven Angehörigen, die teilweise mit Gewaltandrohungen zu ihren schwer kranken Familienmitgliedern vordringen wollten.

"Psychologische Hilfe ist mit einem Stigma belastet"

Doch auch die dritte und die aktuell aufkommende vierte Welle hätten ihre Tücken. "Die Unsicherheit, nicht zu wissen, wann sich der Arbeitsalltag wieder normalisiert, ist sehr belastend", sagt Ronkowski. Genug Zeit für seine Familie aufzubringen, werde immer schwerer. Sein Ausgleichs-Hobby, an alten Motorrädern herumzuschrauben, schlafe zur Zeit immer weiter ein.

Sein Team beobachte er mit wachsender Sorge. Zwei Mitarbeiter seien schon mit Burn-out krank geschrieben gewesen. Das Risiko von Kündigungen hänge ständig über ihnen, viele können einfach nicht mehr. Zudem bedauert Ronkowski, dass psychologische Hilfe oft mit einem Stigma belastet sei. "Es gibt psychologische Angebote von Vivantes, klinikeigenen Psychologen, aber kaum einer nimmt sie an."

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Fast verzweifelt wirken da die ständig wiederholten Impfaufrufe. In ihrem Kern wollen die Mediziner damit vor allem verhindern, dass Menschen, egal ob jung oder alt, in einer deutschen Intensivstation um ihr Leben ringen müssen und die Belastung für das Personal weiter steigt.

Intensivbehandlung von Covid-Patienten ist "Kraftakt"

In den letzten Monaten mussten sich die Mitarbeitenden des Spandauer Klinikums eine traurige Fachexpertise aneignen. Gerade die Lagerungstherapie laufe mittlerweile viel reibungsloser ab, als noch im Frühjahr 2020. Denn für die meisten Covid-Schwersterkrankten sei es unbedingt notwendig, sie regelmäßig umzulagern. Ronkowski erklärt: "Nur so können die verschiedenen Lungenpartien belüftet und Sekret gelöst werden. Vor allem die regelmäßige, 16-stündige Bauchlage ist hierfür zentral."

Die Niederlassung in Spandau gehört zu Deutschlands größtem kommunalen Krankenhauskonzern. Auch hier ist die Belastungsgrenze der dort arbeitenden Frauen und Männer erreicht. Denn so einen Patienten drehe man nicht einfach mal schnell um. "Mit Vorbereitung dauert der Vorgang etwa eine Stunde. Neben einem Arzt am Kopfende müssen drei Pflegekräfte dabei helfen. Besonders herausfordernd ist es, die sogenannten Lebensleinen zu sichern," erklärt Ronkowski. Denn die Schläuche, an welche unter anderem die Beatmung der Patienten angeschlossen ist, dürfen keinesfalls verrutschen. Schon alleine dieser Prozess erfordert viel Personal. Dr. Müller-Ide beschreibt ihn zudem als physischen Kraftakt.

Auf der anderen Seite hätten Herausforderungen wie diese das Team enger zusammengeschweißt und die Beziehung zwischen Pflegekräften und Ärzten verdichtet. Die beiden erzählen dies mit der sichtlichen Bemühung, der Krise wenigstens ein klein wenig Positives abzugewinnen.

Wut über fehlende Impfbereitschaft

Doch am wichtigsten, da sind sich Müller-Ide und Ronkowski einig, wäre es, die Belastung der Intensivstation durch die Vermeidung schwerer Krankheitsfälle reduzieren zu können.

Auf der Intensivstation des Vivantes in Spandau seien etwa 97 Prozent der Beschäftigten durchgeimpft. Mit pragmatischer Leidenschaft erklärt der Oberarzt Müller-Ide, warum eine Impfung immer noch der beste Weg sei, einen Besuch auf der Intensivstation zu vermeiden. Seine Argumente sind hinreichend bekannt. Kollege Ronkowski erklärt deshalb: "Viele aus dem Team ärgert es deshalb, wenn sie sich so überarbeiten müssen, weil so viele Menschen einfach nicht den medizinischen Sinn der Impfung akzeptieren."

"Wir behandeln auch Ungeimpfte, die es besser wissen könnten"

Das ändere jedoch nichts an der Behandlung, welche den ungeimpften Patienten zuteil werde. Müller-Ide versichert: "Wir versorgen und pflegen alle Menschen gleich gut und gründlich. Das gilt für einen Lungenkrebspatienten, der sein Leben lang starker Raucher war. Oder für einen 150-Kilo schweren Diabetiker mit Herzerkrankung, der immer gut gelebt hat. Und eben auch für einen ungeimpften Menschen, der es vielleicht hätte besser wissen können."

Anstatt Moralpredigten zu halten, frage er eher bei den Angehörigen nach den Gründen für die Impfskepsis.

"In dieser lebensbedrohlichen Situation rennt hier sowieso kein Angehöriger mit einem Demonstrationsschild durch die Gänge", sagt Müller-Ide. Stattdessen gebe es eher geläuterte Impfgegner unter den Besuchern. Wer einen Partner oder Elternteil so daliegen sähe, käme oft ganz von selbst auf die Idee, vielleicht doch noch einen Impftermin zu vereinbaren.

Das Trauma der Intensivstation sei für viele nicht in dem Moment vorbei, in dem sie zurück auf die normalen Stationen, die sogenannte Peripherie, verlegt werden können. Neben den gesundheitlichen Schwierigkeiten litten viele unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Auch die langen Gedächtnislücken des Komas seien für viele Menschen schwer zu ertragen. Trotz des immensen Drucks, dem die Mitarbeiter jeden Tag ausgeliefert sind, starten sie gerade ein gemeinsames Projekt: Das "Vivantes-Tagebuch" für Intensivpatienten soll nach und nach in beinahe täglicher Routine von Klinikangestellten und Angehörigen mit kurzen Notizen gefüllt werden, welche zum Beispiel erklären: "Heute hat es geschneit und wir haben versucht, Sie auf die Bettkante zu setzten, dabei flackerten Ihre Augen." Die verlorene Zeit soll so festgehalten werden und den Patienten bei der Traumaverarbeitung helfen.

Eine berührende Idee, die trotz der Anonymität des Komas aufzeigt, dass hier am Ende jeder mit seinen individuellen Geschichten und Träumen liegen könnte.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche und Beobachtungen vor Ort
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