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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Polizei in Berlin "Das Misstrauen mancher Politiker besorgt uns"
Hohe Arbeitsbelastung und Personalmangel sind nur einige von vielen Herausforderungen, denen Berliner Polizisten täglich begegnen. Benjamin Jendro, Sprecher der Berliner GdP, äußert sich dazu im Interview.
Ständige Angriffe auf Einsatzkräfte, rechte Chat-Gruppen und frustrierte Beamte: Die Berliner Polizei hat in der Hauptstadt häufig keinen leichten Stand. Allein bei einem Einsatz zur Absicherung der Brandschutzbegehung im teilbesetzten Haus Rigaer 94 wurden 80 Beamte verletzt. Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin hat mit t-online über Klientelpolitik, kooperative Linksradikale und Wünsche an den künftigen Senat gesprochen.
t-online: Herr Jendro, vor zwei Wochen waren über 1.000 Berliner Polizisten im Einsatz, um eine Brandschutzbegehung im teilbesetzten Haus in der Rigaer Straße 94 abzusichern. Barrikaden brannten, Steine flogen, zwei Tage lang war Ausnahmezustand. Die linksradikale Szene wollte laut eigenen Angaben die Kosten des Einsatzes in die Höhe treiben – was ihnen gelang. Ein Sieg für die Autonomen?
Benjamin Jendro: Im Gegenteil. Die Polizei hat den Rechtsstaat erfolgreich durchgesetzt. Auch wenn uns überrascht hat, wie schnell es den Extremisten gelang, am Tag vor der Begehung netzwerkartig etwas aufzubauen und den Einsatz vorab massiv zu stören.
Für die Polizei gab es danach nicht nur Lob. Politiker beklagten, die Einsatzkräfte hätten die Wohnungen durchsuchen oder wenigstens die Personalien feststellen müssen, da offensichtlich Straftaten verübt wurden. CDU-Fraktionschef Burkard Dregger sprach von einer "Kapitulation des Rechtsstaats".
Die Diskussion ist verständlich, aber etwas ärgerlich. Es gab keine Rechtsgrundlage für Durchsuchungen. Ich kann auch nicht wahllos Identitäten überprüfen, nur weil Beamte zuvor von einem Vermummten mit dem Feuerlöscher besprüht wurden, ich die Tat aber keiner bestimmten Person und Wohnung zuordnen kann. Manch einer versteht da offenbar nicht, wie der Rechtsstaat funktioniert. Die Polizei war nur da, um den Gutachter zu schützen. Die Bewohner haben sich kooperativ gezeigt, also hat man auf Identitätsfeststellungen verzichtet.
Der Anwalt des Eigentümers spottete hinterher: "Unterwürfiger als dieser Staat kann man nicht handeln."
Im Umfeld der Rigaer 94 werden immer wieder Straftaten gegen unsere Kollegen verübt. Allein an den zwei Tagen wurden über 80 Beamte verletzt. Da braucht doch keiner zu glauben, dass die Polizei da nicht reingehen würde, wenn sie die rechtlichen Möglichkeiten dazu hätte. Wenn der Eigentümer meint, wissen zu wollen, wer sich in den Wohnungen aufhält, dann soll er sich um einen entsprechenden juristischen Beschluss kümmern. Die Polizei hält sich an geltendes Recht, daran sollten sich vielleicht auch einige Kommentatoren orientieren.
Aus dem Umfeld der Rigaer 94 wurde der Vorwurf laut, der Brandschutz sei nur ein Vorwand, um das Haus schlussendlich zu räumen.
Der Auftrag vom Bezirk lautete, den Brandschutzgutachter bei der Begehung zu schützen und diese zu ermöglichen. Nicht mehr, nicht weniger. Alleine dafür waren über zwei Tage mehr als 1.000 Polizisten notwendig. Weil ein Gutachter in ein Haus muss. Das zeigt schon, worüber wir überhaupt reden.
Es mussten Kitas und Schulen geschlossen werden, weil die dortige Leitung berechtigte Angst um die Sicherheit der Kinder hatte. Insofern finde ich den Vorwurf etwas anmaßend. Die Begehung hat gezeigt, dass keine gravierenden Brandschutz-Mängel vorliegen. Dann ist das so.
Das Verhältnis zwischen den Aktivisten und der Staatsmacht ist, milde gesagt, angespannt. Anwohner klagen über ständige Polizeieinsätze, Polizeiwannen und Hubschrauber, die nachts über das Viertel kreisen. Wie blicken Beamte auf einen anstehenden Einsatz in der Rigaer?
Keiner will sein Kind in die Kita bringen und ständig Polizeiwannen sehen müssen. Das ist verständlich. Die Kollegen sind aber da nicht, um zu schikanieren, sondern weil Straftaten begangen werden. Die Rigaer 94 ist ein Dauerthema, auch viele Beamte wünschen sich, dass das Kapitel endlich zu Ende geht. Niemand arbeitet gerne für den Papierkorb. Wenn man zu einem Einsatz fährt und mal wieder nichts bei rumkommt, frustriert das natürlich.
Gibt es Beamte, die mit falschem Eifer in den Einsatz gehen?
Kein Polizist fährt dorthin und freut sich, weil er alles kurz und klein hauen kann. Die Polizei ist von der linksextremistischen Szene ganz klar als Feindbild markiert. Es hat auch eine Entmenschlichung stattgefunden. Polizisten werden als Vertreter der Staatsmacht zum legitimen Ziel von Gewalttaten erklärt. Das widerspricht meinem demokratischen Weltbild, weil es sind Mütter und Väter, Brüder, Schwestern, Lebenspartner. Man darf nicht vergessen, dass da Menschen in der Uniform stecken.
Funktioniert das Feindbild auch in die andere Richtung? Empfinden manche Beamte inzwischen Hass auf die Bewohner der Rigaer 94?
Von Hass würde ich nicht sprechen. Aber klar ist die Situation rund ums Haus frustrierend. Ich habe auch noch keinen Polizisten in der Rigaer gesehen, der einen Stein auf einen Menschen geworfen hat. Wir sind nicht mehr in den 80ern, wo der Schlagstock sicher noch lockerer saß und man seitens Polizei auch mal provoziert hat, offene Straßenschlachten damit auch ein Stück weit mitverschuldet hat. Das sind Fehler der Vergangenheit. Heute hat Berlin eine andere Polizei.
Die Debatte um die Rigaer 94 wird dominiert von der Auseinandersetzung zwischen Polizei und Autonomen, politische Inhalte geraten oft in den Hintergrund. Können Sie nachvollziehen, worum es der Szene geht?
Mit den Zielen dieser Extremisten kann sich jeder normal denkende Demokrat identifizieren: für bezahlbare Mieten, gegen Gentrifizierung, gegen Ausbeutung. Wir leben in einer offenen Gesellschaft, da gehört der Kampf für Freiräume gewissermaßen zu unserer DNA. Aber das sind nur Slogans, die scheinheilig nach vorne geschoben werden. Wenn Feuerwehrleute mit Steinen beflankt werden, weil sie brennende Barrikaden löschen, geht es offenbar um etwas anderes. Dann ist das nur linke Symbolik, die man benutzt, um Gewalttaten zu legitimieren. Aber es reicht, um Teile der Politik für sich zu begeistern.
Befeuert die Politik die Auseinandersetzung?
An der Rigaer 94 kann man wunderbar Klientelpolitik betreiben. Im linken Lager gibt es Politiker, die Gewalt gegen Polizisten verharmlosen und gerne mal die Polizei als eigentlichen Provokateur hinstellt: Wäre man nicht ständig vor Ort, würden auch keine Steine oder Farbbeutel mehr auf die Polizei fliegen. Eine merkwürdige Logik und eine schöne Täter-Opfer-Umkehr.
Auch die Gegenseite versteht es, mit der Rigaer 94 Politik zu machen.
Im konservativen Lager sieht es nicht besser aus: Da wird immer mal wieder nach einem "scharfen Schwert" oder einer "harten Hand" gerufen, ganz so, als gebe es keinen Rechtsstaat. Von der CDU hört man Sätze wie: "Wir müssen das Nest der Linksfaschisten endlich ausräuchern." Das möchte ich von keinem Demokraten hören.
Sind Sie zufrieden mit dem rot-rot-grünen Senat?
Ich denke nicht in Schubladen und der jetzige Senat hat einige Verbesserungen erzielt. Aber wenn eine Gewerkschaft zufrieden wäre, bräuchte es sie nicht. Mit der Linkspartei und den Grünen haben wir zwei Parteien an der Macht, die nicht unbedingt immer polizeifreundlich sind, wie es wohl die CDU wäre. Allerdings war es unter Schwarz-Rot nicht besser.
Ist es polizeifreundlich, wenn ein CDU-Innensenator seine Polizei rechtswidrig zur Teilräumung in die Rigaer 94 kommandiert, wie 2016 im Vorfeld der Wahl zum Abgeordnetenhaus geschehen?
Nein, natürlich nicht. Das war ein Bärendienst. Wenn der Rechtsstaat gebrochen wird, ist das schlecht. Aber über die Bilanz des früheren Innensenators Frank Henkel brauchen wir eigentlich gar nicht zu reden. Da lief vieles schief. In der jetzigen Regierung hätten wir keinen besseren Innensenator finden können als Andreas Geisel. Es wurde massiv in Personal und Schutzausrüstung investiert, auch bei der Besoldung ist einiges passiert. Geisel hat auch vieles menschlich richtig gemacht. Er geht an keinem Polizisten vorbei, ohne die Hand zu geben.
Das klingt jetzt eher nach Lob für Rot-Rot-Grün als nach Kritik.
Man muss das einordnen: Der Terroranschlag am Breitscheidplatz hat in vielerlei Hinsicht die massiven Investitionen in die Polizei erst ermöglicht. Geisel hat darüber hinaus einiges angeschoben, ist aber oft auch an der Koalition gescheitert. So ist auch vieles liegen geblieben oder wurde erschwert: Der flächendeckende Einsatz von Bodycams wurde nicht vorangetrieben, man sperrt sich gegen temporäre Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten. Das Versammlungsfreiheitsgesetz macht es für Extremisten auf Demos einfacher.
Der Senat nennt es eines der liberalsten Versammlungsgesetze des Landes.
Das mag sein, aber wenn Vermummung grundsätzlich nicht mehr verboten ist oder mein dreijähriges Kind aus dem Ausland eine Demo anmelden kann, weil man keine Versammlungsleitung mehr bestimmen oder diese vor Ort sein muss, ist das aus polizeilicher Sicht ein Problem. Wir haben in Berlin eine historisch gewachsene linksgerichtete Regierung, das ist rechtsstaatlich auch völlig in Ordnung. Aber das Misstrauen mancher Regierungspolitiker gegenüber der Polizei besorgt uns.
Gibt es nicht gute Gründe, der Polizei genau auf die Finger zu schauen? Opferverbände berichten immer wieder von Fällen von Polizeigewalt, bei denen Täter straffrei bleiben.
Natürlich muss man solche Fälle untersuchen. Wir hatten auch im Zuge von George Floyd die Debatte um rechtswidriges Polizeiverhalten und Rassismus. Aber es gibt eben manche Politiker, die auf Biegen und Brechen polizeiliches Fehlverhalten erkennen wollen, aber sehr leise werden, wenn Polizisten angegriffen werden. Ich möchte aber gar nicht drum herumreden: Es gibt 26.000 Berliner Polizisten, darunter befinden sich Extremisten, Straftäter, Drogensüchtige, Rassisten, Menschen mit Fehlern. Das ist in der Gesellschaft nicht anders, aber es betrifft aber nicht die Mehrheit der Kollegen.
Von Rechtsextremisten in der Berliner Polizei wissen wir spätestens seit Herbst 2020, als eine WhatsApp-Gruppe enttarnt wurde, in der Polizeistudenten rechtsextreme Inhalte geteilt haben. Kommt da noch mehr?
Es gibt diese Fälle, vermutlich gibt es mehr, die wir bisher noch gar nicht auf dem Schirm haben. Ich sage es mal so: Das, was bisher bekannt wurde, ist sicher nur die Spitze des Eisbergs. Die bisherigen Fälle zeigen, dass wir nicht nur ein Problem mit Beamten haben, die extremistisches Gedankengut besitzen, sondern auch mit denjenigen, die das nicht melden. In diesen Chatgruppen posten ja meist nur eine Handvoll, aber was machen die anderen 50?
Was machen die?
Oftmals nichts. Das ist das Problem. Die machen sich genauso strafbar.
Weil sie Angst haben, als Kollegenschwein oder "Verräter" abgestempelt zu werden, wenn sie sowas melden?
Vielleicht denken sich einige junge Beamte, dass sie sich dadurch etwas verbauen. Ansonsten deckt sich das nicht mit meiner Erfahrung. Das scheint in anderen Bundesländern so zu sein, aber in Berlin habe ich nicht den Eindruck, dass man deswegen als Kollegenschwein abgetan wird. Wer extremistisches Verhalten meldet, darf nichts zu befürchten haben.
Das ist schwer nachvollziehbar: Wenn ich keine Angst vor Repressalien haben muss und auch nicht als Kollegenschwein gelte – welcher Grund bleibt dann noch, solche Vorfälle nicht zu melden?
Das können wir momentan nicht beantworten, aber anscheinend herrscht in einzelnen Polizeien immer noch ein Klima, in dem sich viele nicht trauen, was zu sagen. Allerdings werden solche Fälle auch medial aufgebauscht. Die meisten Beamten stehen fest auf dem Boden des Grundgesetzes.
Welche Konsequenzen fordern Sie?
Die letzten Jahre haben deutlich gezeigt, dass wir das Thema Politische Bildung wieder stärker in den Fokus rücken müssen. Wir brauchen mehr Aufklärung über Demokratie und Rassismus in der Polizei, etwa in der Aus- und Fortbildung. Mit dem Aufstieg der AfD hatten wir uns das als Gewerkschaft ohnehin auf die Fahnen geschrieben. Es gibt Kollegen, die mit Strömungen sympathisieren, die sich nicht mit dem vereinbaren lassen, für was wir als GdP stehen wollen, eine weltoffene und demokratische Bürgerpolizei.
Im September wird das Abgeordnetenhaus neu gewählt. Was erhoffen Sie sich vom künftigen Senat?
Die Innere Sicherheit steht und fällt mit dem Personal. Wir brauchen einen Aufwuchs, momentan fehlen etwa 3.000 Kollegen. Dazu gehört es aber auch, mal eine ordentliche Aufgabenkritik vorzunehmen, also zu klären, was Polizei in dieser Stadt bewältigen soll.
Wichtig für Kollegen ist zudem die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Die Arbeitszeitmodelle müssen flexibler sein. Überstunden sind das eine, aber viel belastender sind die fehlende Planbarkeit und die Belastung. Es passiert immer wieder, dass jemand erst am Abend um 20 Uhr erfährt, dass am nächsten Tag sein Dienst nicht wie geplant um 10 Uhr, sondern früh um 4 Uhr beginnt. Fehlende soziale Kontakte und kaum Freizeit- und Familienleben machen die Kollegen krank. Bereitschaftspolizisten haben zum Beispiel nur sechs geschützte Wochenenden im Jahr, und selbst die werden nicht eingehalten.
Dann reden wir noch über die Themen Bezahlung und auch Digitalisierung: Es kann nicht sein, dass im öffentlichen Dienst immer noch die Aktenwagen herumgekarrt werden. Grundsätzlich wäre es ein erster Schritt, wenn alle gewählten Volksvertreter unsere Kolleginnen und Kollegen mal als das bewerten, was sie sind – der Grundpfeiler für das demokratische Zusammenleben in der Hauptstadt.
- Gespräch mit Benjamin Jendro