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Berlin: Die "Querdenken"-Bewegung und ihr Protestcamp am Großen Stern


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Protestcamp an der Berliner Siegessäule
"Querdenken wird es immer geben"


10.08.2024Lesedauer: 4 Min.
Zelte beim Querdenken-Camp nahe der Siegessäule in Berlin-Tiergarten: Unter dem Motto "Frieden, Freiheit, Freude & Veränderung» campen Anhänger der Querdenker-Bewegung vom 03.08.24 bis 13.08.2024.Vergrößern des Bildes
Das "Querdenken"-Camp nahe der Siegessäule in Berlin: Unter dem Motto "Frieden, Freiheit, Freude und Veränderung" campen die Demonstranten vom 3. bis zum 13. August. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa)
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Nach einer Demo mit 9.000 Teilnehmern steht am Großen Stern in Berlin ein Camp der "Querdenken"-Bewegung. Corona ist vorbei, was wollen sie jetzt? t-online war vor Ort.

Fünf Menschen im Alter von 40 bis 70 Jahren sitzen in ihren Campingstühlen auf dem Bürgersteig und lehnen sich zurück, einer tippt auf seinem Handy herum. Ihnen gegenüber steht ein Mann mit Vollbart auf der heruntergefahrenen Klappe eines Lkw und hält eine Rede gegen den Kapitalismus. Im schmalen Freiraum zwischen der improvisierten Bühne und dem Publikum schlängeln sich immer wieder Passanten hindurch, denn das Camp hat Fuß- und Radweg in Beschlag genommen.

Sie sind noch da. Das ist die Botschaft, welche die "Querdenken"-Bewegung mit ihrem Protestcamp nahe der Siegessäule in Berlin vermitteln will. Vom 3. bis zum 13. August sind sie vor Ort – viele sind sie allerdings nicht. Ungefähr 20 Leute, ein Dutzend Fahrzeuge sowie ein paar Zelte und Pavillons stehen am Freitagmittag am Großen Stern. Auf der Seite des Lkw prangt das Logo der Splitterpartei "Die Basis". Zwischendrin liegen ein paar Klangschalen und Wandteppiche mit Mandala-Muster.

Das Camp ist als Fortsetzung der Demonstration vom 3. August gedacht, als rund 9.000 Menschen unter dem Motto "Freiheit, Frieden, Freude und Veränderung" durch die Stadt gezogen waren. Anlass war der vierte Jahrestag der großen "Querdenken"-Demonstration gegen die damaligen Corona-Maßnahmen. Mehr zur Demo lesen Sie hier. Organisiert hat die Demonstration und das Camp Michael Ballweg, der Gründer von "Querdenken". Er steht ab Oktober vor Gericht, wie Sie hier nachlesen können.

"Wir sind gekommen, um zu bleiben"

Wichtig für "Querdenken" sei der kontinuierliche Widerstand gegen die Regierung, sagt der Demonstrant Norman Schmid. Er ist 61 Jahre alt, Rentner und war bereits 2020 im Protestcamp vor dem Bundeskanzleramt. "Wir sind gekommen, um zu bleiben. 'Querdenken' wird es immer geben", fügt er hinzu.

Er sei hier, weil die Deutschen die Weltmeister im Abschaffen der Demokratie seien. Vor ungefähr zehn Jahren sei er "erwacht", da habe er erkannt, dass Deutschland eine Diktatur und der Rechtsstaat eine Marionette der "dahinter liegenden Geldinteressen" sei. Auf die Frage, wer oder was diese Interessen genau seien, hat er allerdings keine konkrete Antwort.

Als Lösung schlägt er vor, dass die Menschen möglichst viel ihres Vermögens in die Kryptowährung Bitcoin investieren, wodurch sie dem "ungesunden" Wirtschaftskreislauf das Geld entziehen und so eine "heilerische Wirkung" erzielen würden. Zudem halte er den menschengemachten Klimawandel für einen Mythos, weshalb er zurzeit mit der AfD sympathisiere. Diese behauptet fälschlicherweise, der Mensch habe keinen nennenswerten Einfluss auf das Klima der Erde.

Er hat trotzdem Zweifel, ob er wirklich richtig liegt

Schmids Gesellschaftsbild ist zwar geprägt von esoterischen und haltlosen Verschwörungstheorien, frei von Zweifeln oder völlig unreflektiert ist er allerdings nicht. Ihm sei bewusst, dass die große Mehrheit der Deutschen seine Ansichten ablehnt, und so sei es ihm bisher nur selten gelungen, seine Mitmenschen "aufzuklären", wie er es nennt. Daher frage er sich bisweilen: "Wer ist hier eigentlich der Geisterfahrer auf der Autobahn?" Bis jetzt ist er aber offensichtlich zu dem Schluss gekommen, dass die anderen falsch abgebogen sind.

Den Demonstranten im Camp geht es laut Schmid vor allem um die Veränderung der Gesellschaft, und dafür brauche es zunächst Frieden in der Ukraine. Zwischen den Zelten sind allerdings zahlreiche unterschiedliche politische Botschaften zu sehen. Überall hängen Plakate und Transparente mit Parolen wie "Nein zur Impfpflicht!", "Liebe gewinnt", "Für Frieden und Freiheit" oder "Deutschland stirbt!".

Das wirkt auf viele Außenstehende so konfus und widersprüchlich wie schon 2020, als die "Querdenken"-Bewegung startete. Wichtig dabei ist: Die Tagespolitik mag heute eine andere sein, nicht mehr Corona beherrscht die Schlagzeilen, sondern die Kriege in der Ukraine und Gaza. Aber die grundsätzliche Sicht der "Querdenker" auf die Gesellschaft, ihr Gesellschaftsbild, ist im Kern das gleiche.

Wie "Querdenker" die Welt sehen

Ihr Gesellschaftsbild ist von tiefem Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen und den klassischen Medien geprägt, weshalb die "Querdenker" meistens grundsätzlich davon ausgehen, dass hinter gesellschaftlichen Problemen eine Verschwörung gegen die Bürger steckt. Dazu kommt teilweise auch esoterisches Denken, da Esoterik mit der Vorstellung von verlorenem oder verborgenen Wissen arbeitet, und daher ähnliche Erklärungen bietet wie Verschwörungstheorien.

Dass die Bewegung in sich so widersprüchlich wirkt, hängt auch damit zusammen, dass sie sich dagegen wehrt, sich auf dem politischen Parteienspektrum als "links" oder "rechts" einordnen zu lassen. Das zeigt sich im Camp am Großen Stern etwa an einem Plakat, auf dem steht: "Weder links noch rechts, sondern entsetzt". Auf einem anderen findet sich der Ausspruch: "Es lebe die Freiheit!"

Ein Passant kritisiert die "Querdenker"

Diese Freiheit des Individuums ist nämlich der wichtigste Wert der Bewegung. Links oder rechts zu sein kommt nur an zweiter oder dritter Stelle, weswegen auf "Querdenken"-Demos linksextreme Anarchisten zusammen mit rechtsextremen Reichsbürgern marschieren. Der gemeinsame Wille zur absoluten Freiheit und Unabhängigkeit vom Staat verbindet sie am Ende.

Ihre Mitmenschen von dieser Sicht auf die Welt zu überzeugen, gelingt den "Querdenkern" am Freitagmittag aber kaum. Passanten und abgestiegene Radfahrer quetschen sich zwischen Zelten und der improvisierten Lkw-Bühne hindurch und bleiben nur selten stehen, um den Reden zuzuhören oder einen Flyer mitzunehmen. Ein Jogger ruft dem t-online-Reporter im Vorbeilaufen zu: "Lass dich bloß nicht von denen anstecken!" Und so bleibt das "Querdenken"-Camp, zumindest an diesem Tag, vor allem eines: eine kleine Verkehrsbehinderung.

Verwendete Quellen
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