Überraschendes Armuts-Ranking Berlin: "Die klare Gewinnerin"
Viele können sich keinen Urlaub leisten, manche nicht einmal angemessen heizen. Eine Armuts-Kennzahl in Berlin überrascht jetzt jedoch.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband stellt in seinem Armutsbericht 2024 eine beachtliche Entwicklung in Berlin fest: War im vergangenen Jahr die Armutsquote im Bundesländer-Vergleich noch am zweithöchsten, ist sie nun auf ein Niveau nur knapp über dem bundesweiten Durchschnitt gesunken.
17,4 Prozent der Berliner gelten demnach aktuell als arm, 16,8 Prozent der Menschen sind es in Gesamtdeutschland. "In der Gesamtschau des Länderrankings 2022 ist Berlin damit die klare Gewinnerin", heißt es im Bericht. "Der mit Abstand stärkste Armutsrückgang ist mit 13 Prozent in Berlin zu verzeichnen."
Dennoch: Auch in der Hauptstadt herrscht nach wie vor ein deutliches Ungleichgewicht. Auf der einen Seite stehen rund 1.200 Einkommensmillionäre, die zuletzt gemeinsam 3,2 Milliarden Euro beim Finanzamt als zu versteuerndes Einkommen anzeigten. Auf der anderen Seite gibt es Hunderttausende Habenichtse, die nur mit größten Mühen über die Runden kommen – in diesen Haushalten leben zahlreiche Kinder und Rentner.
Arm trotz Arbeit: Millionen Erwerbstätige unter den Betroffenen
Brisant an der Entwicklung in Deutschland ist unter anderem, dass im gesamten Bundesgebiet zwar sowohl die Arbeitslosenquote als auch die "Bürgergeld"-Quote tendenziell sinken, dies aber nicht auf die Armutsquote durchschlägt. Obwohl es mehr Erwerbstätige gibt und weniger Menschen Grundsicherung für Arbeitsuchende (früher Hartz IV, heute Bürgergeld) erhalten, gibt es bundesweit rund 14,2 Millionen von Armut betroffene Menschen.
Das heißt: Arbeit schützt in Deutschland nicht vor Armut. "Mehr als ein Viertel der einkommensarmen Menschen ist erwerbstätig, ein weiteres knappes Viertel ist in Rente und mehr als ein Fünftel sind Kinder", hält der Armutsbericht 2024 dazu fest. Besonders häufig von Armut betroffen sind in Deutschland Alleinerziehende (43,2 Prozent Armutsquote), Personen mit geringer formeller Bildung (39,0 Prozent Armutsquote), Paare mit drei oder mehr Kindern (32,1 Prozent Armutsquote) und Menschen mit Migrationshintergrund (28,1 Prozent Armutsquote).
"Eine gleichere Gesellschaft wäre erheblich resilienter"
Der Paritätische Wohlfahrtsverband ruft die Politik zum Handeln auf. Unter anderem fordert der Verband eine Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro, eine einkommens- und bedarfsorientierte Kindergrundsicherung, eine Reform der gesetzlichen Rentenversicherung mit armutsfester Mindestrente und eine konsequente Mietpreisdämpfungspolitik. Das Bürgergeld reiche auch nach der Anhebung zu Jahresbeginn nicht aus, um den Mindestbedarf zu decken.
Es sei das hohe Maß an Ungleichheit, das Deutschland so anfällig für Krisen mache. Wenn fast die Hälfte der Einwohnerschaft keine nennenswerten Geldreserven habe und jeder fünfte Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor tätig sei, würden steigende Lebenshaltungskosten schnell zum armutspolitischen Problem von besonderer Brisanz: "Eine gleichere Gesellschaft ohne oder mit deutlich weniger Armut wäre erheblich resilienter."
Wann gelte ich als arm?
Die im Armutsbericht 2024 veröffentlichten Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2022. Es sind die derzeit aktuellsten Daten, die verfügbar sind. Am höchsten ist die Armutsquote demnach in Bremen, am niedrigsten in Bayern.
Wer als "arm" gilt, ist laut Mikrozensus nach Haushaltstypen und verfügbarem Nettoeinkommen gestaffelt. Jede Person, die mit ihrem verfügbaren Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt, wird als einkommensarm eingestuft. Ein Single-Haushalt ohne Kinder erreicht die Armutsschwelle demnach bei weniger als 1.186 Euro verfügbarem Einkommen im Monat. Eine Alleinerziehende mit einem Kind unter 14 Jahren gilt als arm, wenn sie weniger als 1.542 Euro monatlich zur Verfügung hat, und ein Paar mit zwei Kindern unter 14 Jahren, wenn das Haushaltsnettoeinkommen unter 2.490 Euro liegt. Zum Haushaltsnettoeinkommen zählen auch sämtliche Transferleistungen wie etwa Wohngeld, Kindergeld oder Kinderzuschlag.
22,2 Prozent: Kein Geld für eine Woche Urlaub
Weil sich die Zahlen auf Medianeinkommen in Deutschland beziehen, ist von relativer Armut die Rede. Alle Haushalte werden nach ihrem Einkommen der Reihe nach sortiert, wobei das Einkommen des Haushalts in der Mitte den Medianwert darstellt: 50 Prozent der Haushalte haben ein höheres Einkommen, 50 Prozent ein niedrigeres.
Andere Untersuchungen als die des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zeigen, dass relative Armut in Deutschland mit tatsächlichem Mangel einhergeht. 22,2 Prozent der Menschen können sich keinen einwöchigen Jahresurlaub leisten, 5,9 Prozent sind nicht in der Lage, ihre Rechnungen für Miete, Hypotheken oder Versorgungsleistungen zu bezahlen, und 6,7 Prozent können ihre Wohnung nicht angemessen warm halten.
- der-paritaetische.de: "Armut in der Inflation. Paritätischer Armutsbericht 2024" (PDF)
- destatis.de: "Einkommensteuerpflichtige mit einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Million Euro und mehr nach Bundesländern"
- destatis.de: "Kriterien der materiellen und sozialen Entbehrung der privaten Haushalte im Zeitvergleich"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa