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Zum journalistischen Leitbild von t-online.t-online exklusiv – "Nur stören hat keinen Sinn" Das Hintergrundnetzwerk der "Letzten Generation"
Die "Letzte Generation" macht viel mehr, als nur zu blockieren. Doch nicht alles passiert in der Öffentlichkeit. Exklusive t-online-Informationen zeigen: Es gab von Anfang an eine Strategie im Hintergrund.
Die "Letzte Generation" sorgt für Wirbel. Schon seit über einem Jahr. Ihre Aktionen polarisieren, viele Deutsche lehnen sie strikt ab. Von Klebeblockaden und Schmieraktionen sind viele genervt. Daher klingt es verwunderlich, wenn Aktivisten erzählen, ihr Ziel sei es, den Klimaprotest in die Mitte der Gesellschaft zu tragen.
Doch ein Blick durch das Schlüsselloch auf die bislang geheimen Strukturen der Gruppe zeigt: Genau das ist schon seit Gründung ihr Plan. Denn die Aktivisten setzen nicht nur darauf zu stören: Sie streben nach den "tragenden Säulen der Gesellschaft" wie "Kirchen", "Kunst und Kultur" oder "Journalismus". Von ihnen könnte das Bestehen der Gruppe abhängen.
Bislang unveröffentlichte, interne Dokumente, die t-online vorliegen, zeigen außerdem: Die Gruppe ist heterogener als gedacht. In ihren Reihen stehen neben Studenten auch Polizisten, Professoren und Kulturschaffende.
Wie die "Letzte Generation" mit deren Unterstützung die "Säulen der Gesellschaft" erreichen will, erklären drei Aktivistinnen der "AG Vernetzung" exklusiv t-online. Mit dabei auch eine Mitbegründerin der "Letzten Generation", die 26-jährige Lea Bonasera. Ebenfalls Teil der "AG Vernetzung" sind Noemi Mundhaas, 28, Studentin am Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam und angehende Physikerin, sowie Irma Trommer, 27, Schauspielerin. Ihr Spezialgebiet: Vernetzung mit Kunst und Kultur. Seit einigen Monaten arbeitet sie Vollzeit in der AG.
"Letzte Generation": Einfluss der Straßenblockaden maximieren
Irma Trommer schätzt vor allem den Austausch mit anderen Akteuren der Gesellschaft. "Der ist für einen demokratischen Diskurs unabdingbar", sagt die Schauspielerin. Ziel der "AG Vernetzung" sei es, den größten Nutzen aus den Aktionen der "Letzten Generation" zu ziehen, also den gesellschaftlichen Einfluss von etwa Straßenblockaden zu maximieren. "Nur zu stören hat gar keinen Sinn, das würde nur nerven."
Gelingen solle dies, da "diese gesellschaftlichen Gruppen eine wichtige Aufgabe haben, eine Vorbildfunktion und den Menschen Orientierung geben", so Bonasera. "Eben auch in der Klimakrise. Kommunikation ist ein kraftvolles Instrument."
Entscheidend für die Zukunft der Bewegung sei, wie diese "tragenden Säulen der Gesellschaft" die Proteste und die Aktivisten beurteilen oder darstellen, sagt Bonasera. "Es wird auf diese Rollen geschaut. Sie haben eine große Strahlkraft in die Gesellschaft hinein. Und das hat einen Einfluss darauf, inwiefern wir kriminalisiert werden oder Unterstützung erfahren." Kein Protest könne ohne diese Unterstützung dauerhaft funktionieren. Vergleichbar sei das mit den Protesten in der damaligen DDR, die dann zur Wende geführt hätten. Diese hätten auch in den Kirchen ihren Anfang genommen, so Bonasera.
Exklusiver Einblick: Wöchentliche Meetings und Rollenspiele
Insgesamt arbeiten 40 Mitglieder der "Letzten Generation" in Vollzeit daran, Kontakt herzustellen mit den wichtigen Bereichen der Gesellschaft. Unterstützt werden sie von weiteren Aktivisten, die ehrenamtlich oder in Teilzeit Kontakte suchen, pflegen und aufbauen.
Die AG teilt sich in elf Untergruppen auf, die jeweils Kontakt zu einer der "tragenden Säulen der Gesellschaft" herstellen sollen, wie es die Aktivisten nennen. Das seien "die Gruppen, die in unserer Gesellschaft viel Einfluss haben und eine große Rolle spielen", erläutert Mundhaas. Diese hätten jeweils eigene Ziele und Vorgaben, so die Aktivistin.
Wöchentlich gebe es Gruppenmeetings, aber auch Treffen der gesamten "AG Vernetzung". Besprochen würden neben den Zielen vor allem die Fragen: "Wie arbeiten die Menschen in diesem Bereich? Was bewegt diese Menschen? Wie denken sie über die Klimakrise?", so Mundhaas. Zweimal die Woche gebe es zudem Rollenspielübungen. "Da versetzen wir uns in das entsprechende Gegenüber, üben Gespräche. Das sorgt dafür, dass wir immer Argumente parat haben, souverän auftreten und uns inhaltlich fortbilden können", erzählt Mundhaas.
Aus jedem Bereich arbeiten auch Vertreter der jeweiligen Berufssparte in der "AG Vernetzung". Eine vollständige Liste der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft liegt t-online vor.
Vielfalt bei der "Letzten Generation": Eine Übersicht der Gruppen
"Kirche" ist die größte Gruppe, sie besteht aus 25 Mitgliedern. Außerdem gibt es die Themenbereiche "Klimagerechtigkeitsgruppen und NGOs", "Gesundheitswesen und Sozialverbände", "Polizei", "Politik", "Kunst und Kultur", "Prominente", "Journalismus", "Landwirtschaft" sowie "Bildung".
Unter den Mitgliedern der Arbeitsgruppe befinden sich neben sechs Pfarrern und dem Leiter eines Klosters Studierende, Ärzte, Professoren, Schauspieler, Wissenschaftler, ein Medienexperte und mehrere Polizisten. Eine davon ist Chiara Malz, sie leitet den Kontaktbereich "Polizei". Mehr dazu lesen Sie hier.
Eine Polizeikommissarin aus Nordrhein-Westfalen ist ebenfalls Teil der Gruppe "Polizei". Diese hat Noemi Mundhaas mit aufgebaut. Gründerin Lea Bonasera ist Teil der Gruppe "Politik", sie ist Doktorandin und forscht im Bereich ziviler Ungehorsam. Schauspielerin Irma Trommer ist in der Gruppe "Kunst und Kultur".
Aktivistin: "AG Vernetzung" ein voller Erfolg
Wichtig für die "Letzte Generation" ist die Vernetzung an Schulen und Universitäten. Hierfür gibt es allerdings kein eigenes Personal in der AG. Der Kontakt läuft laut den Dokumenten vor allem über "Menschen, die Vorträge halten".
Die Aktivistinnen sagen, die Arbeitsgruppe sei ein voller Erfolg. "Wir bekommen unglaublich viel Unterstützung, auch wenn sie nicht öffentlich gezeigt wird. Etwa wenn uns Räume zur Verfügung gestellt werden, wie damals in Berlin die Thomaskirche", so Bonasera. Wissenschaftler würden zudem der "Letzten Generation" Forschungsergebnisse zukommen lassen, mit denen sie argumentieren könnten.
"Wir werden weiter blockieren."
Lea Bonasera – Mitbegründerin der "Letzten Generation"
Auch sei die Zusammenarbeit mit verschiedenen Museen oder der Volksbühne in Berlin direkt auf die Arbeit der "AG Vernetzung" zurückzuführen. "Die Einladung auf die Kirchentage war eine großartige Chance für uns. Das hat uns die Möglichkeit gegeben, mit Leuten zu sprechen, die uns sonst nur aus den Medien kennen", sagt Mundhaas. "Außerdem standen wir dort auf einer Bühne mit Robert Habeck." Eine Einladung zum Jahrestreffen von "Netzwerk Recherche" sei ebenfalls ein Ergebnis der Arbeitsgruppe gewesen.
Zusätzlich habe sich die Arbeit der AG inzwischen stark verändert. "Als wir damals angefangen haben, mussten wir sehr aktiv auf andere zugehen", erzählt Bonasera. "Mittlerweile ist es aber so, dass wir uns vor Anfragen gar nicht retten können." Das werde jedoch nichts an der Strategie der "Letzten Generation" ändern, so die Gründerin. "Wir werden weiter blockieren."
Was für einen Erfolg die "AG Vernetzung" in der Vergangenheit hatte, zeigt auch ein Artikel der "Welt". Die "Welt" gibt an, im Besitz von internen Dokumenten der Aktivisten zu sein. Aus ihnen soll hervorgehen, dass sich mehrere Politiker mit der Gruppe getroffen haben, einige sollen sogar Zusagen an die Aktivisten gemacht haben. Genannt wurden etwa Grünen-Bundestagsabgeordnete Katharina Beck, aber die auch andere Grünen-Abgeordnete.
Interne Dokumente "unterstreichen Dialogbereitschaft"
Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) soll mit der "Letzten Generation" in Kontakt gewesen sein, wie auch die saarländische Ministerpräsidentin Rehlinger (SPD). Laut "Welt" hätten alle drei die Treffen bestätigt, ohne jedoch weiter auf Gesprächsinhalte einzugehen. Auch ein Treffen mit dem Journalisten Tilo Jung soll es laut "Welt" gegeben haben. Auf Anfrage von t-online bestätigte die "Letzte Generation", dass es die Treffen gegeben habe. Dazu, was besprochen wurde, machten die Aktivisten jedoch zunächst keine Angaben.
Die Veröffentlichung der internen Dokumente ist für die Mitglieder der "Letzten Generation" und auch der "AG Vernetzung" jedoch alles andere als ein Rückschlag, wie sie sagen.
"Der Dialog ist das wichtigste Werkzeug in der Demokratie. Immer wieder wird uns vorgehalten, wir sollten doch mal mit Politikern reden und Überzeugungsarbeit leisten", erklärt Mundhaas. Genau das würden die Aktivisten von Beginn an tun. Das Leck in der "AG Vernetzung" würde das nun offenlegen. "Die 'Welt' hat mit ihrem Artikel unsere Dialogbereitschaft unterstrichen. Es ist klar, dass wir uns in der jetzigen gesellschaftlichen Notlage an alle demokratischen Parteien wenden."
- Interview mit Lea Bonasera, Noemi Mundhaas und Irma Trommer
- Anfragen bei Pressevertretern der "Letzten Generation"
- Dokumente der "Letzten Generation"
- welt.de: "'Die feiern uns' – Was die "Letzte Generation" mit Politikern und Journalisten bespricht
- Anfrage bei der Pressestelle der "Letzten Generation"