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Rammstein in Berlin – Aktivistin zu Till Lindemann: "Lass dich verurteilen"


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Aktivistin gegen Till Lindemann
"Sag die Konzerte ab, lass dich verurteilen"

InterviewVon Jannik Läkamp

Aktualisiert am 31.07.2023Lesedauer: 6 Min.
Till Lindemann (Archivbild): Er war am Sonntag im Kitkat.Vergrößern des Bildes
Till Lindemann (Archivbild): Hat er sich an jungen Frauen vergriffen? (Quelle: Gonzales Photo/Sebastian Dammark/imago-images-bilder)
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Der Fall Lindemann schlägt hohe Wellen. Dennoch geht die Konzerttour von Rammstein weiter. Eine Berlinerin hat etwas dagegen – und viele Unterstützer.

Mehr als 60.000 Menschen haben sie schon unterschrieben: Die 34-jährige Britta Häfemeier hat eine Petition gegen die kommenden Rammstein-Konzerte in Berlin gestartet. Drei Mal soll die Band im Olympiastadion auftreten. Rammsteins Frontmann, Till Lindemann, sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert, die er dementiert. Es geht um Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe. Es gilt die Unschuldsvermutung.*

Häfemeier, feministische Aktivistin und Social-Media-Redakteurin bei der Organisation Campact, die Onlinekampagnen und Petitionen organisiert, um politischen Druck auszuüben, ist jedoch überzeugt: An den Vorwürfen ist etwas dran. Deshalb hat sie die Petition gestartet.

Die gesammelten Unterschriften wollte die Berlinerin am Dienstagvormittag der Innensenatorin Iris Spranger übergeben. Doch die ließ sich nicht blicken. Davon ließ sich Häfemeier jedoch nicht abschrecken und gab die Petition bei einer Pförtnerin ab. t-online hat mit der Initiatorin über den Fall und ihre Motivation gesprochen.

t-online: Wann war der Punkt erreicht, an dem Sie gemerkt haben, Sie wollen im Fall Lindemann etwas tun?

Britta Häfemeier: Das war schon zu Beginn, als Shelby Lynn die Vorwürfe publik gemacht hat. Spätestens, als das Thema mit Kayla Shyx nach Deutschland kam, als die Medien es aufgegriffen haben. Till Lindemann ist kein Einzelfall. Sexismus ist einfach überall. Sobald Männer große Macht und Geld haben, können sie diese Macht missbrauchen. Und das ist hier passiert. Gleichzeitig wurde Lindemann von vielen Menschen geschützt. Da hängt viel Geld dran, da hängen Jobs dran, da hängt ein ganzes Konstrukt dran. Das ist ja nicht aus Versehen und durch ihn alleine passiert. Es wurden Frauen rekrutiert, daran waren super viele Menschen beteiligt. Mir war klar, dass ich dagegen etwas tun muss.

Hat besonders die Musikbranche ein Sexismusproblem?

Das ist symptomatisch für unsere ganze Gesellschaft, würde ich sagen. Wir sehen das im Film, wir sehen es im Journalismus, wir sehen es aber natürlich auch im Privatleben. Wir leben in einer sexistischen Gesellschaft, und das sind genau die Symptome, die auftreten, wenn Sexismus mit Macht kombiniert wird.

Aber es geht ja in der Causa Lindemann nicht nur um Machtmissbrauch.

Genau. Es geht um Machtmissbrauch, aber auch um Vorwürfe der Vergewaltigung mit K.-o.-Tropfen, auch um sexualisierte Gewalt. Und ich finde die Anschuldigungen und die Geschichten der Frauen zu 100 Prozent glaubwürdig. Man muss sich ja auch nur mal angucken, was von ihm vorher für Texte und Gedichte veröffentlicht wurden. Ich glaube, das lyrische Ich und das echte Ich kann man hier nicht trennen. Ich glaube, das ist bei ihm ein und dasselbe.

Man sollte also in diesem Fall Kunst und Künstler nicht trennen?

Ich finde, wenn ein Mann, wie jetzt in diesem Fall Till Lindemann, aus so vielen Richtungen beschuldigt wird und es schwerwiegende, bedrückende Indizien gibt, kann man das nicht trennen. Und ich finde es verantwortungslos, ihn dreimal im Olympiastadion spielen zu lassen. Das ist kein sicherer Ort für Mädchen und Frauen. Wie wir gesehen haben.

Hören Sie jetzt noch Rammstein?

Nein. Ich höre es nicht. Habe ich aber vorher auch nicht.

Sollte man die Band überhaupt noch hören?

Ich finde, man kann es nicht hören. Da steckt so viel Geld hinter. Deshalb würde ich nicht auf ein Konzert gehen. Ich würde da keinen Merch kaufen. Ich würde es auch nicht hören. Ich weiß, dass Rammstein eine große Fanbase hat, die jetzt immer stärker wird und Merch kauft, die Alben in die Charts bringt. Aber die sollten sich mal überlegen, was sie da unterstützen und warum sie das gut finden. Finden sie es gut, weil solche Texte gesungen werden oder weil so mit Attitüden gespielt wird? Das wird ja ganz bewusst gemacht.

Ganz grundsätzlich gilt die Unschuldsvermutung. Für Sie ist der Fall schon klar?

Die Unschuldsvermutung, klar, die gilt. Die gilt aber auch für die Frauen. Es sind mehrere Frauen, die ähnliche und schwerwiegende Dinge berichtet haben. Ich bin keine Richterin und will auch nicht, dass Till Lindemann ohne Prozess, ohne Gerichtsverfahren in den Knast kommt. Ich will einfach, dass dieser Machtmissbrauch und wahrscheinlich auch anderer sexualisierter Missbrauch Konsequenzen hat. Es gibt auch eine moralische Pflicht von Veranstaltungsstätten und ich finde einfach, dass das nicht geht.

Zusammengefasst: Die Konzerte sollen auf Eis gelegt werden, bis der Fall geklärt ist?

Genau. Ich will, dass die Konzerte Mitte Juli so nicht stattfinden dürfen.

Und wenn ein Gericht Lindemanns Unschuld feststellt?

Bei sexualisierter Gewalt und Anzeigen von Frauen gegen Männer, die sexualisierte Gewalt ausgeübt haben, ist es oft so, dass die Männer nicht schuldig gesprochen werden. Aber trotzdem stehen die Vorwürfe von Dutzenden, wenn nicht Hunderten Frauen in der Öffentlichkeit. Und die sind nicht weg, auch wenn das Gericht sagt, er ist unschuldig. Aber die Staatsanwaltschaft ermittelt ja schon. Das würde sie nicht tun, wenn es keine Beweise, keine Indizien geben würde. Deswegen bin ich mir ziemlich sicher, dass da gut ermittelt wird und dass die Juristinnen schon ihren Job machen.

Obwohl die Staatsanwaltschaft in Vilnius das Verfahren eingestellt hat?

Ich habe Hoffnung. Ich glaube schon, dass der Fall weiterverfolgt wird. Es haben sich schließlich mehrere Frauen gemeldet und eine Anzeige aufgegeben. Aber für viele Frauen ist es leider schwer zu beweisen, was passiert ist. Das ist das grundlegende Problem. Sind K.-o.-Tropfen im Spiel, sind sie schnell nicht mehr nachweisbar. Du bist aber 24 Stunden gar nicht in der Lage, zur Polizei oder ins Krankenhaus zu gehen und dich untersuchen zu lassen. Das ist also ein viel größeres Thema, das Sexualstrafrecht muss geändert werden. Aber ich hoffe einfach, dass alle Beteiligten ordentlich ermitteln und die Beweise ernst nehmen, den Frauen glauben. Und ich glaube nicht, dass sich so viele Frauen zufällig mit ähnlichen Geschichten melden. Das halte ich für höchst unwahrscheinlich.

Ist es denn grundsätzlich verwerflich, wenn ein Star mit Groupies schläft? Stichwort Machtgefälle.

Ich finde es verwerflich, wenn man Frauen castet für Sex und die wissen nicht, was los ist. Aber wenn zwei erwachsene Menschen einvernehmlichen Sex haben, ist da alles cool mit. Aber das Machtgefälle geht ja nicht weg, da ist der Star, da ist der Fan. Doch sobald sich eine erwachsene Frau dazu entscheidet, kann ich da nicht viel zu sagen.

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Was würden Sie Till Lindemann gerne sagen?

Ich will gar nichts zu dem sagen. Höchstens: Sag die Konzerte ab und lass dich verurteilen.

Noch einmal kurz zurück zu der Petition. Was genau ist Ihr Ziel?

Ich will, dass Innensenatorin Spranger alles dafür tut, diese Konzerte zu verhindern. Das ist ihre Aufgabe als Senatorin. Das ist aber auch ihre Aufgabe als Aufsichtsratsvorsitzende der Olympiastadion GmbH. Sie trägt die Verantwortung. Und sie hat die Aftershow-Partys abgesagt. Sie hat auch gesagt, der Schutz der Frauen und Mädchen stehe bei ihr an oberster Stelle. Wenn sie das wirklich ernst meinen würde, dann würde sie die Konzerte absagen. Und sie sollte die ganzen Forderungen von über 60.000 Menschen ernst nehmen und sich das anhören. Ich glaube, wir sind hier im Recht und ich glaube, es stehen genug Leute zu den Forderungen und wir machen jetzt einfach weiter bis zum Konzert. Wir wollen, dass die Medien weiter über den Fall berichten, dass Leute darüber sprechen. Und dass sich am Ende manche Menschen fragen: "Muss ich jetzt wirklich auf dieses Konzert gehen nach den ganzen Vorwürfen?"

Sie haben über 60.000 Unterschriften gesammelt. Trotzdem will Frau Spranger nicht herauskommen. Was sagt Ihnen das?

Ich glaube, es trifft ein bisschen den richtigen Nerv bei ihr. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie sich angesprochen fühlt. Vielleicht weiß sie auch, dass sie die Verantwortung trägt. Ich weiß ja nicht, was da im Busch ist, aber ich bin mir relativ sicher, dass sie unseren Protest wahrnimmt. Und das ist ja auch erst mal das Wichtigste.

Sie denken also, sie wird trotzdem handeln?

Das wird die Zeit zeigen. Ich weiß nicht, ob die Konzerte abgesagt werden. Ich hoffe es natürlich. Aber nichtsdestotrotz arbeiten so viele Menschen, verschiedene Gruppen, dagegen und organisieren Demos und Aktionen. Das heißt, da ist total viel los und die Konzerte werden wahrscheinlich nicht normal stattfinden. Sie werden zumindest von Protest begleitet.

*Die Berliner Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren gegen Till Lindemann am 29. August eingestellt. Es konnten keine Belege für ein strafbares Verhalten gefunden werden. Hier lesen Sie die Details zu der Entscheidung. Damit handelt es sich bei dem Sänger der Band Rammstein weder offiziell um einen Tatverdächtigen noch um einen Beschuldigten.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Britta Häfemeier
  • Eigene Recherchen
  • weact.campact.de: Keine Bühne für Rammstein
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