Alternatives Pornotreffen in Berlin Die Piraten der Erotikszene
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.In Berlin haben sich Kreative aus der Pornobranche getroffen. t-online war dabei und hat sich über die aufkommenden Trends informiert.
Es könnten Influencer sein, eine Vereinigung von DJs oder junge Fashiondesigner: Die Menschentraube vor dem "Salon am Moritzplatz" sieht aus, wie sich Berlin in seinen coolsten Ecken anfühlt. Doch die Anwesenden versammeln sich an diesem Donnerstagnachmittag nicht zu einem Rave, stattdessen sind sie aus beruflichen Gründen da. In dem sonnendurchfluteten Raum mit Schulstühlen und Beamer treffen sich Darsteller, Produzenten und Marketingstrategen der alternativen Erotikszene im Rahmen des "Pornfilmfestival Berlin".
Während im Moviemento am Kottbusser Damm und im Kino Babylon in der Dresdener Straße alle interessierten Besucherinnen eine Karte für die dort gezeigten Pornofilme lösen können, sind die Kreativen hier unter sich. "Adult Industry Only" heißt das geschlossene Event, das einen aktivistischen Austausch zwischen Porno-Plattformen und Freischaffenden anregen soll.
Berlin: "Keine moralische Panik in der Stadt"
Eine, die strahlend in die Menge um sich herum blickt, ist Domina Roxy Elixier. Sie stieg mit 18 Jahren in die Branche ein und war als Stripperin, Escort und Performerin in Fetisch-Filmen tätig. Vor ein paar Jahren machte sie sich dann mit "Carnal Productions" selbstständig. Für das Festival ist Roxy aus Glasgow angereist.
"Eine Freundin aus Berlin wies mich auf das Festival hin. Sie sagte: Du musst diese Leute treffen, die sind genau wie du." Auch wenn es in London eine vergleichbare Initiative, das "Uncensored Festival" gebe, sei Berlin aufgrund der Größe der Szene eine besondere Erfahrung. "Wenn wir zu Hause in Glasgow so ein Festival veranstalten würden, dann würden die Poster dafür eine kleine moralische Panik in der Stadt auslösen."
Die selbstbezeichnete "queere Filmproduzentin, Domina und BDSM-Enthusiastin" ist hier, um Mitstreiter für ihre Mission zu finden: "Ich möchte wunderschöne, größtenteils lesbische BDSM-Inhalte filmen, welche die ehrlichen und faszinierenden Praktiken von Unterwerfung und Dominanz zeigen", sagt sie und weiter: "Unsere ganze Welt ist auf Machtdynamiken aufgebaut, deshalb können wir durch diese Art von Pornografie sehr viel über das Menschsein lernen – und auf kreative Art damit spielen."
Das Wichtigste sei ihr, eine Atmosphäre am Set zu schaffen, bei der Spaß und Eigenmotivation für alle Beteiligten im Vordergrund stehen. Ihre Arbeitsroutine beschreibt sie so: "Ich lege meistens eine Gesichtsmaske auf, mache mich hübsch, lege mir falsche Wimpern an. Neben den 100 Sachen, die es einzupacken gilt, vergesse ich nie, auch jede Menge Nervennahrung einzukaufen. An meinem Set gibt es immer Snacks."
Viele wollen mit den Stigmata zum Porno brechen
Genau wie viele ihrer Kolleginnen hier versucht sie Inseln der Zukunft zu erschaffen. "Die Arbeit kann sehr einsam und isolierend sein, weil wir immer noch gegen viele Stigmata kämpfen. Wir wissen, wie uns die Welt sieht und wollen diese Perspektive zum Positiven verändern."
Einen besonders harten Kampf musste die Britin bereits vor ein paar Jahren aufnehmen: Nach einem Bachelor in Audiodesign schrieb sie sich für ein Filmstudium ein. Sie wollte schwerpunktmäßig zum Thema erotische Kunst forschen. Doch die Ethikkommission ihrer Universität wollte diese Schwerpunktsetzung in ihrer Masterarbeit verhindern: "Ich habe extrem hart gearbeitet, um wirklich keine Wissenslücke rund um meine Thematik offen zu lassen. Zudem war ich in Kontakt mit einem Anwalt. Am Ende konnte ich mich durchsetzen. Das hat mich empowered. Ich bin stolz darauf, dass ich meine Wahrheit aussprechen durfte, und mich so zeigen kann, wie ich bin."
- Betriebsausflug zur Erotikmesse: Mit Trockenbauern auf der Venus
Die Widerstände, die den Pornoschaffenden das Leben schwer machen, werden auf den Podiumsdiskussionen im Salon eindringlich sichtbar gemacht. Bishop Black, einer der Stars der Szene, lockert deinen Vortrag mit kurzen Rollenspielen auf. Wer jetzt an Polizei- oder Doktorkostüme denkt, ist falsch gewickelt: Zusammen mit einem Kollegen stellt er verschiedene Situationen nach, in denen ein Performer zu Praktiken gedrängt werden soll, die nicht einvernehmlich sind. Die humorvolle Darbietung erntet viele Lacher, aber auch emotionalen Beifall.
Die Darsteller und Plattform-Gründer sind hier unter sich, es fühlt sich ein bisschen nach Selbsthilfegruppe an: Sie müssen sich untereinander organisieren und unterstützen – denn sonst tut es keiner. Es gibt keine Fortbildungen bei der Agentur für Arbeit, die jungen Pornodarstellern die wichtigsten Tipps und Tricks geben könnten. Auch das Fehlen von Gewerkschaften und der Schutz von Urheberrechten ist immer wieder ein Thema.
"Die Sexarbeit zu dekriminalisieren und die Rechte von Sexarbeitern zu stärken, ist eine wichtige Forderung", sagt Bishop Black. Zudem sei es wichtig, die allgemeine Haltung zu verändern: "Viele Menschen gehen davon aus, dass wir aus unserem Arbeitsverhältnis gerettet werden müssen."
"Lerne, Nein zu sagen"
Außerdem sei es für die Zukunft notwendig, dass es mehr Informationen und Unterstützung für Newcomer gebe, die mit 18 oder 19 in der Branche durchstarten wollen. "Aktuell gibt es kaum Anlaufstellen, die einem die Langlebigkeit der Konsequenzen klarmachen, mit denen ein Einstieg in die erotische Erwachsenenunterhaltung verbunden ist", sagt Bishop Black, als er nach dem Auftritt mit seinem Kollegen Noir in der Sonne steht.
Arbeit in der Sexbranche: "Du bist wertvoll – du bist kein Objekt"
Noir, Künstler und Musiker
"Mein wichtigster Rat an jüngere Performer, die gerade in der Sexbranche anfangen: Lerne, Nein zu sagen. Du bist wertvoll – du bist kein Objekt", ergänzt Noir, der neben der Pornografie auch als Musiker tätig ist. Die beiden Künstler haben eine erfolgreiche Woche hinter sich, denn auf der Erotikmesse Venus wurden sie kürzlich mit dem Porno-Oscar ausgezeichnet.
Für einen heißen Vierer, den ausgerechnet ZDF-Schlitzohr Jan Böhmermann in Auftrag gegeben hatte. Mit Rundfunkbeiträgen wurde der erste öffentlich-rechtliche Porno produziert, was auch den beiden männlichen Darstellern der gemischtgeschlechtlichen Orgie einiges an Aufmerksamkeit einbrachte.
Scherzhaft gefragt, ob er "Gott und der Academy" gedankt habe – einem Hollywood-Klassiker der Oscar-Dankesrede – entgegnet Bishop Black lachend: "Ich habe vor allem meinen Eltern gedankt, dass sie mich gemacht haben." Noir kichert.
Die beiden Kollegen haben eine gute Chemie miteinander. Doch wie kollegial ist das Verhältnis unter Sexarbeitern generell? Bishop Black muss nicht lange überlegen: "Grundsätzlich wie in jedem anderen Beruf. Manchmal entwickelt man eine richtig schöne Beziehung zueinander und bleibt freundschaftlich verbunden. Und manchmal war der Sex so heiß, dass man privat noch eine zweite Runde einlegt."
Verliebt am Set
Gelegentlich wird aus Sex am Set auch mehr. Ein Pärchen erzählt in der Raucherpause, dass es sich vor ein paar Monaten am Drehort verliebt hätte. Es sei der allererste Porno-Shoot des jungen Mannes gewesen. Mittlerweile sind die beiden verlobt, und sie überlegt, von Los Angeles nach Europa zu ziehen.
- Rundgang über Erotikmesse: Was die Venus für Frauen zu bieten hat
Aber auch die neuste Technik wird hier besprochen. Der Hightech-Vibrator "Lioness" ermittelt Veränderungen der Körpertemperatur, die Kontraktionen sowie die Position. Auf Basis dieser Daten erhalten Nutzerinnen Feedback, um die sexuelle Erfahrung zu optimieren. Das zumindest erzählen zwei Teilnehmerinnen der Produzentin Amelie, die auf dem "Pornfilmfestival" die Berliner Plattform "Ersties" vertritt.
Die Französin studierte Film auf einer Kunsthochschule und trieb sich privat auf Kinky Partys herum, bis sie ihre Heimat innerhalb der ethischen Pornografie fand. "Wir arbeiten am Set in einem reinen Frauenteam. Es fühlt sich alles sehr familiär an, und gleichzeitig sind wir auf einer aufregenden Mission – ein bisschen wie eingeschworene Piraten auf hoher See."
Sie ist stolz darauf, dass sich Ersties in den letzten Jahren einen Namen gemacht hat. Vor allem unter den Pornodarstellerinnen, die gerne mit der ethischen Plattform zusammenarbeiten. Faire Produktionsbedingungen bedeuten dabei aber nicht, dass die sexuelle Lust zensiert wird. Auf der Website von Ersties findet man heimlich gedrehte Studentinnen-Clips in der Unibibliothek, verrückte Orgien auf einem Spreeboot oder BDSM-Sessions mit Kätzchenkostümen und Anal-Plugs.
"Viele heiße Fantasien sind amoralisch"
Laut Amelie wird die Pornografie gerade anständiger, ohne moralischer zu werden: "Moral ist ein schwieriges Wort, denn viele heiße Fantasien sind amoralisch. Und das ist auch richtig so." Es seien Gedankenspiele, "die uns auf der Leinwand unterhalten – und dort auch großen Spaß machen", sagt Amelie. "Aber wir kämpfen definitiv dafür, dass die Produktionsbedingungen für die Menschen, welche diese Fantasien für uns alle in einem sicheren Rahmen ausleben, in Zukunft fairer werden." Nach vielen Jahren des Einzelkampfes merke man, wie sich Sexarbeiterinnen an vielen Stellen verbinden würden.
Die Ersties-Produzentin fügt hinzu: "Ihr werdet noch viel von uns hören. Und hoffentlich entdecken, wie erotisch und einzigartig eine Pornografie ist, die ganz frei von Zwängen ist."
- Eindrücke und Gespräche vor Ort