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Gaskrise | Schornsteinfeger: "Leute verfeuern alles, damit Hütte warm wird"


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Furcht vor dem Winter
"Die Leute verfeuern alles, damit die Hütte warm wird"

InterviewVon Antje Hildebrandt

Aktualisiert am 16.09.2022Lesedauer: 5 Min.
Über den Dächern von Berlin: Als Schornsteinfeger muss Alain Rappsilber schwindelfrei sein.Vergrößern des Bildes
Über den Dächern von Berlin: Als Schornsteinfeger muss Alain Rappsilber schwindelfrei sein.
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Alain Rappsilber sieht dem Winter mit Sorge entgegen. Der Schornsteinfeger begegnet Menschen, die ihre Wohnung auf gefährliche Weise heizen – zum Beispiel mit Heizpilzen.

Bei Alain Rappsilber steht das Telefon nicht still. Seit 33 Jahren kehrt er in seinem Kiez in Kreuzberg. Und wie alle Schornsteinfeger ist er dieser Tage ein begehrter Ansprechpartner. Die Energiepreise explodieren, und viele Menschen bereiten sich jetzt schon auf einen kalten Winter vor.

Auf der Suche nach einer Alternative zur Heizung landen die meisten bei einem Ofen. Aber immer häufiger stößt Rappsilber bei seinen Hausbesuchen in Berlin auch auf Gasflaschen und Heizstrahler. Im Interview erzählt er, was ihm seine Kunden über ihre Nöte verraten, warum seine eigenen Kosten explodiert sind und warum Menschen besser durch die Krise kommen, die noch selbst den Krieg erlebt haben.

t-online: Herr Rappsilber, als Schornsteinfeger ist es Ihr Job, dafür zu sorgen, dass die Leute "die Hütte warm bekommen". Welche Frage müssen Sie dieser Tage am häufigsten beantworten?

Alain Rappsilber: Kann ich meinen Ofen wieder anschließen? Kann ich mir überhaupt einen Ofen in die Wohnung stellen? Die Leute bereiten sich halt vor auf den Winter und versuchen, sich eine Wärmequelle anzuschaffen, damit sie vom teuren Gas wegkommen.

Aber die Nachfrage nach Öfen ist so groß, dass man mit Wartezeiten rechnen muss. Man braucht auch Glück, um einen Handwerker zu finden, der ihn einbaut. Ist es jetzt nicht schon zu spät, sich für diesen Winter einen Ofen anzuschaffen?

Kommt darauf an, wo man die Öfen herkriegt und wer ihn liefert. In den Baumärkten sind die schon seit Wochen weg. Da muss man teilweise schon bis März 2023 warten. Aber auf den Dörfern ist es vielleicht noch einfacher als in Ballungsgebieten.

Aber Kohle gibt es auch keine mehr. Und die Preise für Briketts und Pellets haben sich verdoppelt. Für eine Tonne zahlt man bis zu 450 Euro. Womit heizen Ofenbesitzer, die sich diese Preise nicht leisten können?

Den Leuten wird schon Torf angedreht. Der hat eine schlechte Verbrennungsqualität und ist in bestimmten Bereichen nicht zugelassen, dazu kommt die Geruchsbelästigung.

Was werden die Leute in ihrer Not noch verheizen?

Ich arbeite seit 30 Jahren in Kreuzberg, und da war es früher so, dass alles durch die Öffnung geschoben wurde, was irgendwie brennt. In Kreuzberg redet man von "Allesbrennern". Da ging vielleicht auch die Großmutter durch, wenn sie schön trocken war. Scherz beiseite. Man kann da natürlich nicht alles reinfeuern. Ein Ofen ist ja keine Müllverbrennungsanlage, sondern eine geregelte Feuerstätte und nur dafür zugelassen.

Aber glauben Sie, da werden sich alle dran halten?

Nein, um die Hütte warm zu bekommen, verfeuern die Leute alles, was sie kriegen. Und wenn es die Möbel sind, die früher zum Verschenken auf der Straße standen.

Mit der nächsten Gehaltsabrechnung sollen die Bürger eine Energiepauschale von 300 Euro bekommen. Deckt die die Mehrkosten?

Nein, das reicht hinten und vorne nicht – und nicht oben und unten. Ich hatte schon Anrufe von Hausverwaltungen, die haben sich energetisch vorbereitet und sind von Öl auf Gas umgestiegen. Die haben jetzt Zwischen-Abrechnungen bekommen und sollen jetzt schon 14.000 Euro nachzahlen. Und das sind ja nur die Kosten, die jetzt schon auflaufen. Die Kosten für die Fernwärme kommen erst im nächsten Jahr dazu. Die meisten werden die Quittung wahrscheinlich erst im März/April kriegen.

Not macht erfinderisch. Was lassen sich die Leute denn sonst noch so einfallen, um ihre Wohnung warm zu bekommen?

Ich habe jetzt schon vermehrt Heizpilze oder Heizstrahler in Wohnungen gesehen. Die stehen sonst in Imbissen, in Festzelten oder vor Kneipen oder Restaurants. Was viele nicht wissen: In geschlossenen Räumen darf man solche Geräte aber nur für kurze Zeit anschalten, damit man keine Kohlenmonoxidvergiftung bekommt. Es ist auch keine gute Idee, fünf bis sechs Gasflaschen in der Wohnung zu lagern.

Rechnen Sie mit Unfällen?

Oh Gott, ja. Aber nur, weil sich die Leute der Gefahr nicht bewusst sind. In den Baumärkten werden diese Geräte ja alle verkauft. Da steht zwar auf Aufklebern drauf: nicht in geschlossenen Räumen verwenden. Aber diese Aufkleber können Sie nur mit einer Lupe lesen.

Auch der Schornsteinfeger kostet Geld. Können sich noch alle Ihre Kunden den Service leisten?

Die Nachfrage ist schon noch da. Aber auch unsere Kosten sind explodiert. Die Unfallversicherung ist im vergangenen Jahr von 650 auf 3.500 Euro gestiegen, weil immer mehr Schornsteinfeger verunglückt sind. Es gab viele Unfälle, weil es viel Pfusch am Bau gab. Wir werden dann dafür bestraft, wenn Dachlatten wegrutschen oder Treppen wegbrechen.

Dafür können Ihnen die Kunden nicht die Tür vor der Nase zuschlagen, weil jeder Schornsteinfeger seinen eigenen Kiez bekommt, oder?

Jein, wir sind teilprivatisiert worden. Für die hoheitlichen Aufgaben sind wir immer noch in Kehrbezirke eingeteilt, aber fürs Fegen und Messen können Sie sich jeden Schornsteinfeger aussuchen. In der Stadt ist die Konkurrenz groß. Aber mein Vorteil ist: Die Kunden kennen mich schon seit 33 Jahren. Das ist ganz wichtig. Man braucht Vertrauen, um jemanden in die Wohnung zu lassen. Ich habe Kunden, die hinterlassen mir den Schlüssel unter der Fußmatte.

Woran merken Sie bei Ihren Hausbesuchen sonst noch, dass das Geld knapp wird?

Weil sie darüber sprechen. Und man sieht halt, dass nicht mehr so viel Süßigkeiten herumstehen. Bei einer alten Dame ist mir das aufgefallen. Erst als ich sie aus Spaß gefragt habe: "Hast Du gar nichts da zum Naschen?", hat sie den Kühlschrank geöffnet und was herausgeholt. Es war mir sehr peinlich. Der Kühlschrank war fast leer. Das hat mich traurig gemacht.

Politiker von der AfD und der Linken beschwören schon jetzt die Angst vor einem "Wutwinter". Ist die Angst begründet?

Die Stimmung ist schon ein bisschen da. Viele erzählen mir, dass sie kein Geld mehr haben, dass sie die Politik nicht mehr verstehen und verzweifeln. Aber ob's ein Wutwinter wird, werden wir sehen.

Haben Sie es schon erlebt, dass Menschen frieren müssen?

Also in meinem Job nicht. Aber ich bin sicher, dass es diese Leute gibt. Gerade von den Älteren werden sich viele nicht trauen, zum Amt zu gehen, weil sie sich für ihre Not schämen.

Gibt es Kunden, die das Frieren und Hungern noch aus dem Krieg kennen?

Ja, und das sind genau die Leute, die noch einen Ofen haben. Die alten Leute kennen sich damit aus und sind darauf vorbereitet.

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Dabei werden Sie nicht müde, Ihren Kunden zu erzählen, dass man schon mit einfachen Tricks zehn bis zwölf Prozent Energie sparen kann. Verraten Sie uns welche?

Das Wichtigste ist, die Heizkörper und die Fensterbretter für die Be- und Entlüftung freizustellen und die Thermostate richtig einzustellen.

Viele werden sich jetzt einen Heizlüfter kaufen. Experten prophezeien, dass das dazu führen wird, dass das Stromnetz komplett zusammenbricht.

Genau, das ist die nächste große Herausforderung. Aber Herr Habeck hat uns ja gesagt: Es gibt keinen Blackout.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Alain Rappsilber
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