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Nach Axtmord in Berlin | Polizei: "Damit umzugehen, ist unser tägliches Brot"


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Polizeipsychologe im Interview
Beamte erschießen Axtmörder: "Da wird instinktiv gehandelt"

InterviewVon Antje Hildebrandt

06.09.2022Lesedauer: 5 Min.
Die Waffe ist der ständige Begleiter der Polizei (Symbolbild): Nach ihrem Gebrauch benötigen viele Polizisten selbst Hilfe.Vergrößern des Bildes
Polizisten mit Waffen im Anschlag (Symbolbild): "Ich kann mich an keinen Fall erinnern, dass Schützen bestraft wurden." (Quelle: Imago/Shotshop)

In Berlin hat die Polizei einen Mann erschossen, der dabei war, mit einer Axt eine Frau zu töten. Können Beamte in Todesgefahr einen kühlen Kopf bewahren?

Täglich geraten Polizisten in Situationen, in denen sie in einem Sekundenbruchteil Entscheidungen treffen müssen, die über Leben und Tod bestimmen können. Im schlimmsten Fall kommen Menschen ums Leben, wenn sie ihre Schusswaffe benutzt haben. Wie jetzt in Berlin, wo Einsatzkräfte einen Mann erschossen haben, der gerade dabei war, eine Frau mit einer Axt zu töten.

Wie Beamte auf den Ernstfall vorbereitet werden, was sie benötigen, um sich besser auf psychisch kranke Menschen einzustellen, und wie ihnen geholfen werden kann, wenn sie selbst nach dem Einsatz ihrer Schusswaffe Hilfe benötigen, erläutert der Psychologe Jan Hülsenbeck. Er leitet den psychosozialen Dienst der Berliner Polizei.

t-online: Herr Hülsenbeck, in Lichtenberg haben zwei Polizisten einen Mann erschossen, der in einem Anfall rasender Wut mit einem Beil auf eine Frau eingeschlagen hat. Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?

Jan Hülsenbeck: Nein, so eine krasse Situation habe ich zum Glück noch nie erlebt, aber andere vergleichbare. Zweimal kam ich erst, nachdem Personen schon gestorben waren, durch Gewalteinwirkung. Aber ich habe dem Täter nicht gegenübergestanden. Ich musste nicht mein Leben verteidigen.

Genau das ist Ihren Kollegen in Lichtenberg passiert. Sie waren ausgerückt, um eine Frau zu retten und standen einem Mann mit einem Beil gegenüber, der auch sie bedrohte. Was geht in diesem Moment in ihrem Kopf vor?

Ich denke, dass in so einem Moment nur noch wenig in einem Kopf vorgeht. Da wird instinktiv gehandelt. Es wird das eigene Leben verteidigt.

Das heißt, da wird geschossen, um nicht selber getötet zu werden?

Nein, da läuft ein Schema ab, was wir in der Ausbildung gelernt haben. Die Regeln, die es über den Gebrauch von Schusswaffen gibt. Passiert der zur Selbstverteidigung? Muss ich den vielleicht androhen?

Aber es ist doch ein Unterschied, ob man den Ernstfall in Rollenspielen simuliert, oder man der Todesgefahr direkt ausgesetzt ist?

Natürlich wird die Todesangst nicht in diesem Ausmaß erreicht bei einer Übung. Aber die Frage, ob man als Polizist auch bereit wäre, eine Schusswaffe zu benutzten, die stellt man sich schon lange vorher, in der Ausbildung. Und die Abläufe in einer Stresssituation können antrainiert werden. Das funktioniert sogar ganz gut. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Was meinen Sie mit "Abläufen"?

Wenn es um das eigene Leben geht, darf ich mich als Polizist mit einer Schusswaffe verteidigen. Nach dem Gesetz über den unmittelbaren Zwang (UZwG) darf ich aber zum Beispiel auch auf flüchtende Personen schießen, um sie fluchtunfähig zu machen. Ich muss diesen Schuss aber androhen. Das sind aber alles Regeln, die ich befolgen muss. Sonst mache ich mich selbst strafbar.

Polizisten sind auch nur Menschen. Besteht in so einer Situation nicht die Gefahr, dass sie im Affekt schießen?

Nee. Polizisten und Polizistinnen gehen täglich mit ähnlichen Stresssituationen um. Das müssen gar nicht immer so extreme Situationen sein. Es kann auch um Gewalt im Straßenverkehr gehen. Damit umzugehen, ist unser tägliches Brot. Also ich kenne keinen Fall, in dem ein Polizist schon mal den Kopf verloren hätte.

Todesangst gehört zum Beruf dazu?

Todesangst nein, aber Angst ja.

In was für einem Zustand finden Sie Kollegen nach so einem Schusseinsatz vor?

Mein Team und ich sind für die Einsatz-Nachsorge da. Wir haben 15 Psychologen und Sozialarbeiter und 60 kollegiale Helfer, die sogenannte Nachsorge-Gespräche mit den Kollegen anbieten. Wir finden die Kollegen sehr oft gestresst vor. Sie fragen sich, was passiert ist. Sie sind aufgewühlt und hochemotional.

Was können Sie für die Kollegen tun?

Nur da sein und zuhören, mehr kann man da nicht tun. Und man kann helfen, den Stress zu reduzieren und dem Chaos mit Ruhe begegnen. Das Gespräch findet in der Dienststelle statt, wir haben dafür einen eigenen, ruhigen Raum. Die Kollegen können erst mal alles rauslassen, um zu verstehen, was da überhaupt passiert ist. Wenn sie das wollen, finden in den nächsten Tagen weitere Gespräche statt.

Wenn Sie von "Chaos" sprechen, welche Gefühle toben denn da in den Kollegen?

Als Erstes die Sorge, ob die Schussabgabe rechtmäßig war. Diese Frage ist ja auch Gegenstand der Mordkommission, die in solchen Fällen immer ermittelt. Viele fragen sich: Kommt da ein Disziplinarverfahren auf mich zu?

Kommt so etwas vor?

Ich kann mich an keinen Fall erinnern, dass Schützen bestraft wurden.

Im August gab es bundesweit fünf Fälle, in denen Polizisten im Einsatz auf Menschen geschossen haben. Bei vielen entsteht so das Bild, Polizisten seien gewaltbereiter geworden. Hat sich die Polizei radikalisiert?

An der Häufung von Fällen lässt sich noch keine Radikalisierung ablesen. Kein Polizist schießt gerne und meiner Ansicht nach auch nur im äußersten Notfall und als letztes Mittel.

Setzt die Berichterstattung über die gehäuften Fälle von Polizeigewalt die Betroffenen unter Druck?

Ja, diese Berichterstattung wird sehr wohl wahrgenommen. Und sie kann auch einen gewissen Druck auslösen bei den Schützen. Die müssen sich ja auch im Gespräch mit Kollegen rechtfertigen. Das ist nicht immer positiv.

Weil sie sich fragen müssen, ob sie richtig reagiert haben?

Genau, das wollen auch andere wissen. Ich sehe es als unsere Aufgabe an, die Führungskräfte und Kollegen zu sensibilisieren und den Schützen auch weiterhin ein gutes Arbeitsumfeld zu bieten.

Auch wenn der Schuss ein Fehler war?

Das hängt davon ab, wie der Schütze damit umgeht. Ich empfehle den Kollegen immer, transparent damit umzugehen. Wenn sie versuchen, Tatsachen zu verdrehen, wird die Unterstützung leiden.

Ich kenne solche Fälle nicht. Es sind eher die vielen Gewalterfahrungen zusammen als der eine Fall, die dazu führen, dass Kollegen dienstunfähig sind.

Dienstunfähig wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung?

Wir stellen keine Diagnosen. Wir vermitteln die Kolleginnen und Kolleginnen eher an weiterführende Einrichtungen, wenn die Flashbacks oder Schlafstörungen nicht aufhören. Aber statistisch erfasst werden die in Berlin nicht.

Ein Mann, der mit nicht nachlassender Wut auf die Frau einschlägt und alles kurz und klein haut, was sich ihm in den Weg stellt. Haben Sie als Psychologe eine Ahnung, was in so jemandem vorgeht?

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Ich kann da nur spekulieren. Aber die blutige Szenerie könnte auf eine wahnhafte Verkennung der Realität hindeuten. Also dass der Täter gar nicht die Frau vor sich gesehen hat, sondern einen Dämon. So etwas könnte bei einer Schizophrenie auftreten.

Aber wenn man weiß, der Täter könnte wahnsinnig sein, warum ist dann kein Polizeipsychologe mitgekommen?

Wir waren vor Ort, aber nur zur Nachsorge. Mit dem Täter zu sprechen, ist Aufgabe der sogenannten Verhandlungsgruppe. Die versucht, Täter von ihrem Vorhaben abzubringen.

Und warum ist die in diesem Fall nicht mitgekommen?

Es musste ganz schnell gehen, deshalb war es nicht möglich. Aber zu laufenden Ermittlungen darf ich nichts sagen.

Die Menschen, die zuletzt von Polizisten erschossen wurden, waren offenbar alle psychisch krank. Ist die Polizei auf den Umgang mit solchen Fällen vorbereitet?

Nein, ich glaube, dass die Polizei da noch Schulungen benötigt. Es muss Teil der Ausbildung sein und auch später immer wieder thematisiert werden, denn die normale Ansprache funktioniert mit solchen Menschen nicht.

Mal ein Beispiel.

Wenn Sie einem Schizophrenen sagen: "Bleib stehen!", könnte es sein, dass er denkt: "Die Falle schnappt zu. Meine Verfolger haben mich." Und dann wird er sich zur Wehr setzen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Hülsenbeck.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Jan Hülsenbeck
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