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Deutsch-Französischer Krieg 1870/71: Das passierte mit preußischen Soldaten


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Deutsch-Französischer Krieg 1870/71
"Die preußischen Soldaten wurden bisweilen fürchterlich verheizt"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 19.07.2020Lesedauer: 11 Min.
Straßenkampf in der Nähe von Sedan: In der Schlacht 1870 siegte die deutsche Seite über eine französische Armee.Vergrößern des Bildes
Straßenkampf in der Nähe von Sedan: In der Schlacht 1870 siegte die deutsche Seite über eine französische Armee. (Quelle: Gemälde von Carl Röchling/ullstein-bild)
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Am 19. Juli 1870 zogen Franzosen und Deutsche gegeneinander in den Krieg. Mit einer Aktion sorgte Preußens Otto von Bismarck für besondere Verbitterung in Frankreich, wie Experte Tobias Arand erklärt.

Es begann mit einem im Prinzip schlichten Telegramm – die sogenannte Emser Depesche sorgte für den Konfliktstoff, nach dem Frankreich und Preußen seit langer Zeit gesucht hatten. Am 19. Juli 1870 erging die französische Kriegserklärung, bald marschierten Hunderttausende Soldaten im Deutsch-Französischen Krieg gegeneinander auf.

In verschiedenen Schlachten starben Zehntausende, französische "Freischützen" sorgten für Furcht unter den deutschen Soldaten. Im Gespräch erklärt der Historiker Tobias Arand, wieso Preußen den Konflikt mit Europas kampfstärkster Armee suchte, warum der Deutsch-Französische Krieg manche Grausamkeit des 20. Jahrhunderts vorwegnahm und ein Ereignis in Versailles für besondere Verbitterung in Frankreich sorgte.

t-online.de: Professor Arand, am 19. Juli 1870 zogen Franzosen und Deutsche gegeneinander in den Krieg. Wie kam es zu diesem Konflikt mit Zehntausenden Toten, dessen Ergebnis Frankreich und das Deutsche Reich auf Jahrzehnte hinaus zu Feinden machen sollte?

Tobias Arand: Franzosen und Preußen bastelten gleichermaßen seit Langem an einem Kriegsgrund. Der französische Kaiser Napoleon III. etwa hatte kürzlich erst ein militärisches Fiasko in Mexiko erlitten – und wollte dieses durch einen erfolgreichen Krieg gegen Preußen vergessen machen.

Während Otto von Bismarck als starker Mann Preußens weiter sein Projekt der deutschen Einheit verfolgte? Immerhin bestand Deutschland zu diesem Zeitpunkt immer noch aus mehreren im Prinzip unabhängigen Staaten.

Genau. 1864 hatten Preußen und Österreicher noch gemeinsam die Dänen im Krieg um Schleswig und Holstein besiegt, 1866 zogen preußische Soldaten dann bereits gegen Österreich in den Kampf, um die sogenannte kleindeutsche Lösung ohne die Donaumonarchie verwirklichen zu können. Am siegreichen Ende entstand der Norddeutsche Bund mit 22 Mitgliedsstaaten, der ziemlich von Preußen dominiert wurde. Bismarck wurde zusätzlich zu seinem Amt als preußischer Ministerpräsident dort Kanzler.

Fehlten noch die deutschen Staaten südlich des Mains: Baden, Württemberg, Bayern und teilweise das Großherzogtum Hessen.

Bismarck hatte bereits durchaus vorgesorgt und mit diesen vier Staaten geheime Schutz- und Trutzbündnisse für den Fall eines zukünftigen Konflikts abgeschlossen. Was Bismarck nun aber dringend brauchte, war ein Kriegsgrund. Denn ihm war durchaus bewusst, dass in Süddeutschland die Idee, sich Preußen nun ebenfalls unterzuordnen, nicht überall populär gewesen ist.

Tobias Arand, Jahrgang 1967, lehrt an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg Geschichte und ihre Didaktik. Der promovierte Althistoriker beschäftigt sich zusätzlich seit mehr als einem Jahrzehnt mit den Deutschen Einigungskriegen, 2018 erschien sein Buch "1870/71. Die Geschichte des Deutsch-Französischen Kriegs erzählt in Einzelschicksalen".

Da kam es Bismarck sicher sehr recht, dass sich um die spanische Thronfolge Streit mit Frankreich anbahnte?

Das hat Bismarck sogar sehr geschickt eingefädelt: In Spanien wurde damals ein neuer König gesucht, Bismarck brachte daraufhin Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen ins Spiel. Dieser entstammte einer katholischen Nebenlinie der Hohenzollern, die in Preußen regierten. Für Frankreich war das eine außerordentliche Provokation. Denn es zeichnete sich damit ab, dass bald nicht nur ein Hohenzollern in Preußen auf dem Thron gesessen hätte, sondern auch im südlich gelegenen Spanien.

Entsprechend intervenierte Paris.

Aber auf ungeschickte Weise. Preußens König Wilhelm I., der zugleich auch als Oberhaupt des Hauses Hohenzollern über die Kandidatur seines Verwandten Leopold in Spanien ein gehöriges Maß mitzureden hatte, war ein alter, kriegsmüder Mann. Entsprechend überredete er Leopold zum Verzicht.

Damit war die Sache doch eigentlich vom Tisch?

Im Prinzip, aber für Paris war die Angelegenheit noch nicht erledigt. Etwas überspitzt gesagt, lauerte bald darauf der französische Botschafter Wilhelm I. in Bad Ems auf, wo der König zur Kur war. Und verlangte, dass niemals wieder ein Hohenzollern Ambitionen auf die spanische Krone hegen sollte. Wilhelm I. war, gelinde gesagt, peinlich berührt von dieser Begegnung mit dem Franzosen und telegrafierte Bismarck, was passiert war …

… die berühmte Emser Depesche.

Richtig. Der König hatte bei seinem Telegramm allerdings nicht bedacht, was er Bismarck damit in Hand gegeben hatte. Bismarck bearbeitete das Telegramm in kurzer Zeit. Nicht falsch verstehen, er schrieb nichts Unrichtiges hinein, Bismarck kürzte es nur an den richtigen Stellen. Vor allem so, dass sehr deutlich herauskam, dass Wilhelm I. den französischen Botschafter in Bad Ems mehr oder weniger einfach hat stehen lassen auf der Promenade. Uns erscheinen diese Vorgänge fast albern, aber damals war das eine ernste Angelegenheit.

Was passierte dann?

Bismarck gab diesen gekürzten Text an die Presse. Und die Franzosen waren wunschgemäß auch entsprechend beleidigt – weil sie sich bloßgestellt fühlten. Dann ging auch alles sehr schnell: Am 19. Juli 1870 erklärte Frankreich Preußen offiziell den Krieg.

Aber das war nur der letzte formelle Akt in dem Drama. Die französische Armee hatte doch schon Tage vorher mit der Mobilmachung begonnen?

Das ist richtig, die Emser Depesche war nur der Vorwand, nach dem beide Seiten gesucht haben. Schon am 15. Juli hatte der französische Ministerpräsident Émile Ollivier eine Rede gehalten, in der er faktisch bereits den Krieg erklärte. Der 19. Juli war dann nur der offizielle Vollzug dieses Vorhabens.

Was waren die Ausgangsvoraussetzungen für diesen Waffengang? Preußen hatte in jüngerer Vergangenheit zwei Kriege gewonnen, gleichwohl galt die französische Armee immer noch als die beste Europas.

Die Franzosen hatten durchaus Anlass, sich große Chancen auf den Sieg auszurechnen. Ihre Armee war hochprofessionell und genoss enormes Renommee. Preußen war hingegen noch lange nicht die gefürchtete Militärmacht, als die wir es uns heute im Nachhinein oft vorstellen.

Und wie war die Stimmung in der jeweiligen Bevölkerung?

In Paris herrschte tagelang nationaler Krawall, die Presse schürte die Kriegsbegeisterung. In Deutschland trat hingegen das ein, was sich Bismarck ausgerechnet hatte. Vor allem in den süddeutschen Staaten, die entsprechend der Bündnisverträge ihre Armeen nun dem preußischen Oberbefehl unterstellten. Dort stieg ebenfalls die Kriegsbegeisterung und die Zustimmung für die nationale Einheit: Wenn man schon im Krieg war, dann wollte man natürlich auch gewinnen. Man war sich einig, dass die Franzosen in ihre Schranken gewiesen werden mussten. Das ist allerdings eher ein bürgerliches Phänomen. Denn in Frankreich wie auch in Deutschland freute sich sicherlich kein Bauer mit Familie darüber, dass nun Krieg herrschte.

Seit dem 19. Juli herrschte also eben dieser Krieg: Was passierte genau nach diesem Datum?

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Erst einmal wenig. Die Truppen mussten erst mal gesammelt werden, mitsamt Kanonen und Ausrüstung zur Grenze gebracht werden. Am 2. August ging es dann los mit dem Gefecht von Saarbrücken, dann weiter am 4. August mit der Schlacht von Weißenburg, gefolgt am 6. August mit den Schlachten von Wörth und Spichern. Überall dort siegten die deutschen Armeen. In Wörth und Spichern waren die Verluste allerdings besonders hoch.

Vor allem ist auffällig, dass bis auf Saarbrücken alle Schlachten bereits zu Kriegsbeginn auf französischem Territorium stattfanden.

Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Die Franzosen haben sich sehr schnell zurückdrängen lassen. Dann kam es schließlich am 1. und 2. September 1870 in Sedan nicht weit von der belgischen Grenze zur vorerst entscheidenden Schlacht. Kaiser Napoleon III. wurde mitsamt seiner Armee geschlagen und ging mit ihr in Gefangenschaft.

Eine weitere französische Armee wurde zur gleichen Zeit in Metz belagert.

Und angesichts dieser Konstellation nahmen Bismarck und der preußische Generalstabschef Helmuth von Moltke im Prinzip zu Recht an, dass Frankreich besiegt wäre. Das war aber nicht so: In Paris wurde die Dritte Republik ausgerufen – und diese war fest entschlossen, den Krieg fortzusetzen.

Woran lag das?

Vor allem an den deutschen Gebietsforderungen an Frankreich in Bezug auf das Elsass und Teile Lothringens. Sie müssen sich vorstellen, Kaiser Napoleon III. war gerade gestürzt worden, die neue republikanische Regierung frisch im Amt. Als quasi erste Amtshandlung können Sie unmöglich so große Territorien kampflos aufgeben.

Auf welche Weise änderte sich dieser Krieg nach Ausrufung der französischen Dritten Republik?

Die Franzosen wollten nun Krieg bis zum Äußersten führen. Es ist die Hinwendung zum totalen, modernen Krieg. Nicht zuletzt sollten die Zivilisten mobilisiert werden, bis hin zu Frauen und Kindern. Wie auch im Krieg eigentlich verpönte Methoden zur Anwendung kommen sollten.

Sie meinen die Aufstellung der sogenannten Franctireurs, der gefürchteten "Freischützen"?

Genau. Und das unterscheidet die erste Phase des Deutsch-Französischen Krieges von der zweiten. Bis zur Schlacht von Sedan Anfang September 1870 war es ein klassischer Kabinettskrieg: Zwei gegnerische Armeen treffen sich auf dem Schlachtfeld, die Soldaten beginnen, sich zu töten, am Ende hat dann eine Seite den Krieg gewonnen. Vereinfacht gesagt. Die Franctireurs griffen nun oft ohne Uniformen in der Art von Partisanen aus dem Hinterhalt an. Die deutschen Soldaten kamen mit dieser neuen Bedrohung zunächst überhaupt nicht zurecht.

Es war aber noch kein Partisanenkrieg, wie er im 20. Jahrhundert geführt werden sollte.

Nein, das nicht. Vor allem versuchten sich die meisten deutschen Soldaten, an die Regeln zu halten. Zivilisten, die als vermeintliche Franctireurs festgenommen worden waren, wurden etwa wieder freigelassen, wenn sie ihre Unschuld hatten belegen können. Die preußische Armee war eine Armee von Wehrpflichtigen, die Männer waren Familienväter, keine Mörder. Und hatten ganz gewiss nicht vor, französische Zivilisten zu töten.

Was passierte mit tatsächlichen Franctireurs?

Freischärler wurden in der Regel erschossen. Aber es wurden keineswegs etwa ganze Dörfer abgefackelt, wenn sich dort Franctireurs aufgehalten haben. Manche deutsche Soldaten haben allerdings angesichts dieser Bedrohung auch völlig überreagiert. Und töteten unbeteiligte Zivilisten. Auch das gehört zur traurigen Wahrheit. Was die deutsche Seite vor allem aber außer Acht ließ damals: In den Befreiungskriegen gegen Napoleon Bonaparte hatte auch Preußens damaliger König 1813 zu eben solchen Partisanenaktionen aufgerufen.

Es wurden aber nicht nur Partisanenkämpfe ausgetragen. Wie verlief der eigentliche Krieg weiter?

Um neue Armeen aufzustellen, griff die neue französische Regierung auf das Prinzip der Levée en masse zurück, also einer massenhaften Aushebung neuer Rekruten, wie es zum ersten Mal nach der Französischen Revolution 1793 praktiziert worden ist. Hunderttausende junge Männer wurden einberufen, kaum ausgebildet und schlecht ausgerüstet.

Was taten die Deutschen?

Die Deutschen haben genau das getan, was der klassische Kabinettskrieg vorschrieb. Sie marschierten Richtung Paris und begannen mit der Belagerung der Stadt. Wenn die Hauptstadt fällt, ist der Krieg entschieden – so lautete die Überlegung. Ein anderer Teil der deutschen Truppen schloss weiterhin die andere französische Armee in Metz bis in den Herbst hinein ein.

Versuchten die neu aufgestellten französischen Armeen nicht, Paris zu entsetzen?

Das war ihr einziges Ziel. Entsprechend sind alle Kämpfe der deutschen Truppen etwa bei Orléans oder fast am Ärmelkanal Abwehrkämpfe. Mit allen Mitteln wurden die Franzosen an der Rettung der französischen Hauptstadt gehindert. Paris sollte ausgehungert werden bis zur Kapitulation.

Nicht nur das: Schließlich wurde die Stadt auch von der deutschen Artillerie beschossen.

Das ist richtig. Dem waren heftigste Diskussionen vorangegangen. Der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm war strikt dagegen, Bismarck dafür. Helmuth von Moltke wies zu Recht darauf hin, dass gar nicht genug Geschütze vorhanden wären. Aber am Ende bekam Bismarck seinen Willen und Paris wurde beschossen.

Warum wollte Bismarck diese Eskalation?

Bismarck fürchtete, dass sich eine weitere europäische Macht in den Krieg einmischen könnte. Bislang hatten sich alle anderen Staaten aus dem Konflikt herausgehalten. Was auch an der französischen Ungeschicklichkeit nach der Emser Depesche lag. Deshalb wollte Bismarck den Krieg so schnell beenden wie möglich. Aus PR-Sicht, wie wir das heute nennen würden, war die Beschießung von Paris natürlich ein Desaster. Andererseits muss man wissen, dass Paris schwer befestigt war und von dort auch immer wieder auf die deutschen Truppen gefeuert worden ist.

Ende Januar 1871 trat dann ein Waffenstillstand in Kraft, im Mai des Jahres folgte dann ein endgültiger Friedensvertrag.

Den Franzosen blieb kaum eine andere Wahl: Paris war ausgehungert, es wüteten Seuchen.

Warum aber hat Frankreich diesen Krieg verloren? Die Franzosen galten als Favoriten in diesem Konflikt.

Vor allem hatten die französischen Infanteristen mit dem sogenannten Chassepotgewehr die bessere Bewaffnung: Mit dem Chassepot ließ sich besser zielen und es hatte eine höhere Reichweite als die preußischen Zündnadelgewehre …

… im Gefecht konnten die Franzosen also die anmarschierenden Gegner bereits aus größerer Entfernung beschießen.

Genau. Deshalb griffen die Deutschen in der Regel mit der zweifachen Überzahl an. Dahinter steckt ein zynisches Kalkül: Wenn die Hälfte der Männer bei den Franzosen lebendig ankam, herrschte immer noch zahlenmäßige Gleichheit. Es gab damals eine Reihe brutaler Frontalangriffe auf von den Franzosen befestigte Anhöhen: Die preußischen Soldaten wurden bisweilen fürchterlich verheizt.

Angesichts dessen noch mal die Frage: Warum haben die Franzosen verloren?

Die Franzosen hatten ein Motivationsproblem: Kaiser Napoleon III., ohnehin ein sehr kranker Mann, war nach Sedan in Gefangenschaft, fiel also als Identifikationsfigur aus. König Wilhelm I. ritt hingegen immer wieder zu den Soldaten, sprach mit ihnen und besuchte die Verwundeten. Zudem hatten die französischen Armeen große Nachschubprobleme. Vor dem Krieg hatte Kriegsminister Edmond Lebœuf getönt, dass das Heer bis auf den letzten Gamaschenknopf vorbereitet gewesen sei. Tatsächlich fehlt es an allerlei in den Depots: Waffen, Lebensmittel und so weiter. Nach Kriegsbeginn suchten manche Generäle verzweifelt nach ihren Einheiten. Die Preußen waren da einfach viel effizienter. Und noch ein Punkt ist wichtig.

Welcher wäre das?

Die deutschen Soldaten wussten, wofür sie kämpfen. Einmal, um die deutsche Einheit zu verwirklichen. Und dann, um Revanche gegen den alten "Erbfeind" Frankreich auszuüben, der in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten immer in Deutschland Krieg geführt hatte. So zumindest die Ideologie.

Zu diesem Revanche-Gedanken gehört auch ein Ereignis, das am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal des Schlosses Versailles stattgefunden hat.

Richtig, die Proklamation des preußischen Königs Wilhelms I. zum Deutschen Kaiser. Eigentlich ist es eine sehr merkwürdige Zeremonie. Das Deutsche Kaiserreich bestand formell ja auch schon seit dem 1. Januar 1871, wenn man es genau nimmt. Wilhelm I. wollte zudem gar nicht Kaiser werden, sondern wäre viel lieber allein weiter König von Preußen gewesen. Aber Bismarck ließ ihm keine Wahl. Der 18. Januar war für die Kaiserproklamation allerdings nicht von ungefähr ausgewählt worden.

An diesem Tag im Jahre 1701 hatte sich Kurfürst Friedrich Wilhelm I. selbst zum König in Preußen gekrönt.

Für die Hohenzollern-Dynastie ist das ein sehr wichtiges Ereignis, er war der erste preußische König.

Die Franzosen verstanden das Ereignis vom 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles hingegen als nationale Demütigung.

Es ist wirklich tragisch, denn so hatten es die Deutschen nicht gemeint. Für die deutschen Offiziere und Adeligen war es wirklich eine Revanche, keine Demütigung. Immer wieder hatte Ludwig XIV., der "Sonnenkönig" und Erbauer von Versailles, in Deutschland Krieg geführt. Dass nun in seinem Schloss das Deutsche Reich symbolisch gegründet wurde, deuteten die Versammelten so: Deutschland beglich damit eine historische Rechnung. Wir haben ja die Tagebuchaufzeichnungen des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, darin ist von Demütigung Frankreichs keine Rede. Die deutschen Adeligen waren ja alle frankophil, beherrschten die Sprache fließend.

Trotzdem haben es die Franzosen so empfunden.

Vor allem durch die Revanche-Politik, die die französische Dritte Republik in den Jahrzehnten danach betrieben hat. Jedes französische Schulkind wurde in diesen Jahren darauf eingeschworen, das Elsass und Lothringen eines Tages wieder zurückzuholen. Das war geradezu die Staatsräson der Dritten Republik.

Wie lässt sich der Deutsch-Französische Krieg ins Verhältnis setzen zu den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert, in denen Deutsche und Franzosen wieder gegeneinander kämpften?

Der Deutsch-Französische Krieg nahm im Kleinen manche Entwicklung des 20. Jahrhunderts vorweg. Wie später im Ersten Weltkrieg gab es bei der wochenlangen Belagerung von Metz erste Entwicklungen zum Schützengrabenkrieg. Mit der Mitrailleuse wurde auch ein Vorläufer des Maschinengewehrs eingesetzt, das später im Ersten Weltkrieg eine so furchtbare Vernichtungskraft entfalten sollte.

Auch die Mobilisierung der Gesellschaft für den Krieg ist auffällig.

Absolut. Und vor allem der Versuch, den Krieg nationalistisch aufzuladen und den Gegner mit finstersten Hassparolen als minderwertige Nation abzuwerten. In diesem Fall ging dies von der Dritten Republik aus, um die ganze Gesellschaft zu mobilisieren. Die ganze französische Gesellschaft wurde dazu gewissermaßen in einen publizistischen Würgegriff genommen.

Und auf deutscher Seite?

Hier tritt ein gewisser Rassismus auf: Auf französischer Seite kämpften etwa auch Soldaten aus Afrika – und diese wurden von den Deutschen rassistisch abgewertet.

Als sogenannter Eiserner Kanzler hatte Bismarck die deutsche Einheit in drei blutigen Kriegen hergestellt. Wie wirkte sich diese Entstehung auf das Deutsche Kaiserreich aus?

Es hatte eine sehr konkrete Folge. Und zwar den hohen Stellenwert alles Militärischen im Kaiserreich. Es war eine militaristische Gesellschaft, also ein Gemeinwesen, in dem militärische Umgangsformen in eigentlich zivilen Bereichen herrschten. Vor allem führten die drei erfolgreichen Deutschen Einigungskriege 1914 zu einer Selbstüberschätzung, die sich im 20. Jahrhundert als fatal herausstellen sollte. Vor allem aber ist natürlich bedauerlich, dass Bismarck die deutsche Einheit als Elitenprojekt betrieben hatte und nicht auf demokratischem Wege, wie es in der Märzrevolution 1848/49 versucht worden ist.

Heute sind Frankreich und Deutschland keine "Erbfeinde" mehr, sondern einander in Freundschaft verbunden. Welche Lehre können beide Länder aus dem Deutsch-Französischen Krieg ziehen?

Mit den Lehren aus der Geschichte ist es immer schwierig. Aber: Fast mehr noch als der Krieg selbst sollte seine Nachgeschichte uns eine Mahnung sein. Insbesondere im Deutschen Reich wurde der Krieg von 1870/71 schöngeredet. Aber Kriege kosten Menschenleben. Wenn wir diese Lehre beherzigen, dann ist schon viel erreicht.

Professor Arand, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Gespräch mit Tobias Arand
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