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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Film zum "Henker vom Emsland" "Jemanden zu töten, war für ihn Gewohnheit"
Er war der böse Hauptmann von Köpenick. 1945 gab sich der Schwindler Willi Herold als Offizier aus und begann ein Massaker in Norddeutschland. Regisseur Robert Schwentke über seinen Film "Der Hauptmann".
Sie nannten ihn den "Henker vom Emsland": Im April 1945 fand der versprengte Gefreite Willi Herold kurz vor Kriegsende die Uniform eines Hauptmanns der Luftwaffe – und gab sich fortan als Offizier aus. Mit den Worten: "Der Führer persönlich hat mir unbeschränkte Vollmachten erteilt", übernahm der Hochstapler schließlich das Kommando über das Strafgefangenenlager Aschendorfermoor nahe Papenburg. Und verübte ein beispielloses Massaker: Mehr als 150 Gefangene ließ Herold ermorden, teilweise durch Beschuss mit einem Flakgeschütz. Manche tötete er dagegen mit eigener Hand. Regisseur Robert Schwentke hat die blutigen Geschehnisse um Willi Herold verfilmt: "Der Hauptmann" startet am 15. März 2018 in den deutschen Kinos.
Herr Schwentke, warum hat Willi Herold als falscher Hauptmann einen derartigen Massenmord an wehrlosen Gefangenen begangen?
Robert Schwentke: Ich persönlich glaube, dass es für ihn eine Art Cowboy- und Indianerspiel gewesen ist. Nur mit scharfer Munition. Ich habe über Willi Herold sehr gründlich recherchiert und unter anderem seine Akte im Staatsarchiv Oldenburg studiert. Er war sicher ursprünglich kein Sadist und ebenso wenig ein ideologisch überzeugter Nazi.
Aber wie erklärt sich dann diese ungeheure Bluttat?
Herold war 1945 mit seinen 19 Jahren ein junger Mann, der im Krieg sozialisiert worden war. Eigentlich war er Schornsteinfegerlehrling, als Soldat hatte er allerdings an Schlachten wie um das Kloster Monte Cassino 1944 in Italien teilgenommen. Den Krieg zu überleben, war für Herold das Wichtigste. Er hat alles dafür getan, nicht zurück an die Front zu müssen und etwas zu essen zu haben. Kurz gesagt, es ging ihm allein um sich selbst. Die Rolle eines Offiziers einzunehmen und dann über Leben und Tod zu entscheiden, hat Herold dann pfadfindermäßig großen Spaß gemacht.
Robert Schwentke, 1968 in Stuttgart geboren, ist Filmregisseur und Drehbuchautor. 2002 drehte er den Thriller "Tattoo", später arbeitete er in Hollywood unter anderem mit Jodie Foster, Bruce Willis und Morgan Freeman. Schwentke verfasste zudem mehrere Drehbücher für den "Tatort". Sein neuester Film "Der Hautpmann" über Willi Herold mit Max Hubacher in der Hauptrolle startet am 15. März 2018 in den Kinos.
Mord als Spaß?
Man darf nicht vergessen, dass Herold als Soldat bereits getötet hatte. Jemanden zu töten war für ihn Gewohnheit, er kannte es einfach. Im Film gibt es eine Szene, in der er einen Deserteur erschießt. In diesem Augenblick zögert er zunächst schon, bevor er schießt. Er zaudert aber nicht, wie Sie und ich es getan hätten. Schließlich haben wir beide noch nie einen Menschen getötet.
Aber noch mal konkret: Wie erklären Sie Herolds Untaten? Wie haben Sie sich dieser Figur genähert?
Ich habe mich Herold so genähert, wie wir uns alle erst einmal Menschen nähern: Und zwar mit der Frage, warum er das getan hat. Anschließend habe ich versucht, dies aus psychologischer, soziologischer und historischer Sicht zu beantworten. Dabei habe ich dann allerdings gemerkt, dass es die falsche Frage ist. Und zwar was den Charakter Herold und auch den Film angeht. Alle Antworten, die ich gefunden habe, schienen mir zu vereinfachend, um das zu ergründen, was dort vorgefallen ist. Tatsächlich will ich die Frage, warum Herold tat, was er tat, dem Zuschauer überlassen.
Sie wollen es dem Publikum sozusagen unbequem machen?
Einen Teil der Figur Herold haben wir im Film bewusst als weißen Fleck gelassen. Einfache Behauptungen, dass er zum Beispiel ein Soziopath oder Psychopath gewesen sei, sind eigentlich keine Erklärungen. So verbaut man sich den Blick auf den größeren Kontext von Nationalsozialismus und Krieg. Wir wollten einen Film machen, der beim Zuschauer weiterwirkt und ihm nicht aus dem Kopf geht. Also einen Film, der nicht versöhnt, sondern verstört. Der ideale Zuschauer stellt sich sogar die Frage: Was hätte ich getan? Verschiedene Leute haben mir nach Betrachten des Films erzählt, dass sie sich auch die anderen Charaktere sehr genau angeguckt hätten. Und zwar, weil sie wissen wollten, welche jeweilige Rolle sie eingenommen hätten, wenn sie damals dort gewesen wären.
Wie sind Sie auf Herolds Geschichte gestoßen?
Ich habe nach einer Geschichte gesucht, die eine ganz andere Sicht auf die Zeit des Nationalsozialismus bietet. Vor allem anders als das, was man üblicherweise aus dem deutschen Kino dazu kennt. Zudem wollte ich eine Geschichte aus der Täterperspektive erzählen, weil dies vollkommen andere Fragestellungen eröffnet. Und die Zuschauer auch auf andere Weise mit dieser Zeit konfrontiert, als wenn der Filmemacher dem Publikum eine moralische Identifikationsfigur zur Seite stellt. Meine Zielsetzung war, das Täterspektrum genauer zu beleuchten und auch das System, in dem sich diese Menschen bewegt haben. Als ich dann über einen Freund von Willi Herold erfuhr, hatte ich das Gefühl, dass sich anhand seiner Geschichte die Gelegenheit bot, eben alle Schichten dieses Systems zeigen zu können. Schließlich treten vom Gefreiten bis zum Konteradmiral alle Dienstränge auf.
Der Film ist in Schwarz-Weiß gedreht. Warum?
Der verstorbene britische Regisseur Michael Powell sagte einmal zu Testaufnahmen für den Film "Wie ein wilder Stier" von Martin Scorsese, dass man diesen Film nicht mit derartigen Gewaltszenen in Farbe zeigen könne. Powell zufolge, der immerhin als Meister der Farben gilt, könne niemand an dem vielen Blut vorbeischauen. Ein Gegenmittel sei das Drehen in Schwarz-Weiß, weil dies eine Distanz kreiert. Dadurch können die Zuschauer eine Handlung als Film über Gewalt statt als gewalttätigen Film wahrnehmen. Scorsese hat dann "Wie ein wilder Stier" auch in Schwarz-Weiß gedreht.
Trotzdem vermittelt der Film äußerste Gewalt. Besonders, als Herold eine Gruppe von Gefangenen in einer Grube per Flakgeschütz erschießen lässt.
Während dieses Massakers wirft die Kamera keinen Blick in die Grube. Erst anschließend gibt es die Einstellung eines Mannes, der noch lebt und mit Kalk überschüttet wird. Es ist traurige Realität: Die Opfer haben teilweise noch gelebt, als die Grube bereits zugeschüttet wurde. Sie sind an ihrem eigenen Blut oder dem ihrer Leidensgenossen ertrunken.
Die Szene ist schockierend.
Das liegt aber nicht an der Darstellung. Im Film sieht man nicht mehr explizite Gewalt, als im deutschen Fernsehen um Viertel nach Acht am Sonntagabend. Was den Film schockierend macht, ist die Tatsache, dass niemand der Gewalt Einhalt gebietet, dass es immer weitergeht. Man hat Angst vor dem, was noch passieren wird. Das ist der Punkt. Als Filmemacher bin ich bei den Gewaltszenen so weit gegangen, wie man gehen muss, ohne die Opfer zu verraten. Oder die Geschichte ästhetisch oder formal für einen dramatischen Effekt auszunutzen.
Kommen wir noch einmal auf die historische Person Willi Herold zurück. War es allein die Hauptmannsuniform, die ihm solche Autorität verlieh?
Er hatte sicher auch die nötige Persönlichkeit. Letztlich hat es ihm aber einfach zum Vorteil gereicht, dass er als Hauptmann unterwegs gewesen ist. Wenn ihn auch ein paar Leute durchschaut haben.
Im Film unter anderem der Soldat Kipinski, gespielt von Frederick Lau. Statt Herold zu verraten, lebt er allerdings seine Gewaltneigungen unter Herolds Kommando aus.
Absolut. Der Soldat Kipinski verkörpert sozusagen den Kriminellen, der auch ohne die Umstände des Krieges ein Verbrecher gewesen wäre. In den letzten Kriegstagen konnte er unter Herold im viel größeren Stil seine Neigungen ausleben.
Eine ganz andere Rolle ist die von Herolds Laufburschen namens Freytag. Er wird von Herold ebenfalls zum Töten gezwungen, leidet aber sichtlich darunter.
Die Rolle des Freytag verkörpert für mich den Mitläufer. Eigentlich will er mutig sein und sich von den Gewalttaten distanzieren. Dann gehorcht er aber letzten Endes doch und macht mit. Er braucht einfach eine Autorität über sich.
Im Film zeigen Sie die ganze Absurdität des Nationalsozialismus auf. Alle zuständigen Instanzen wie SA, Wehrmacht und Justizverwaltung sind sich einig, dass die Häftlinge in Lager sterben sollen. An Herolds Morden stört sie lediglich, dass er sie willkürlich vornimmt.
Richtig. Diese Leute argumentierten nicht in moralischen Kategorien, sondern hantierten lediglich mit Zuständigkeiten. Mit dieser Absurdität kann man nicht anders umgehen, als dass man sie lächerlich macht. Besonders, wenn das Böse derart kleinkariert und bürokratisch daherkommt.
Wie würden Sie selbst den Film zusammenfassen?
Spezifisch handelt er vom Zweiten Weltkrieg. Generell geht es aber um die menschliche Natur. Um Menschen und was sie einander antun können. Um ihre Fähigkeit, sich großes Leid anzutun und einander auszubeuten. Warum das so ist, weiß ich leider nicht.
Hat sich Ihr Menschenbild gewandelt nach der Beschäftigung mit Willi Herold?
Nein. Es hat sich leider eher bestätigt.
Haben Sie ein pessimistisches Menschenbild?
Wir leben in schwierigen Zeiten. Mir ist völlig unbegreiflich, dass der Klimawandel nicht von allen Ländern und Politikern gemeinsam gestoppt wird. Ich verstehe nicht, warum wir das sichere Ende nicht abwenden.
Gibt es eine Lehre, die Sie selbst aus der Geschichte von Willi Herold ziehen?
Man muss jede Art von Autorität hinterfragen. Wenn man das getan hätte, wäre dieses Massaker vermeidbar gewesen.
Herr Schwentke, wir danken für das Gespräch.
Willi Herold wurde am 28. April 1945 von der deutschen Militärpolizei verhaftet. Obwohl er seine Untaten gestand, wurde er vor der Urteilsverkündigung freigelassen. Schließlich nahmen ihn die Briten nach der deutschen Kapitulation Ende Mai 1945 fest. Zum Tode verurteilt, starb Willi Herold am 14. November 1946 unter dem Fallbeil.
Zur weiteren Information über Willi Herold:
Paul Meyer, Rudolf Kersting: "Der Hauptmann von Muffrika"
Mit: Agnes Ganseforth, Volker Zeigermann, Uli Fischer
absolut Medien GmbH, 1 DVD; 70 Minuten; 14,90 Euro.