Historiker über Ukraine-Verhandlungen "Europäer kommen nicht mehr mit Quatschen davon"

Plötzlich ist Europa außen vor, während Russland und die USA verhandeln. Ein Militärhistoriker stellt dem Westen ein schlechtes Zeugnis aus.
Der Militärhistoriker Sönke Neitzel sieht den Westen angesichts der Verhandlungen über das Ende des Ukraine-Krieges vor erheblichen Problemen. Im Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt er, die Verhandlungsrunde zwischen den USA und Russland zeige, dass Europa auf "der internationalen Bühne nur noch sehr wenig Gewicht" habe.
Es sei die "die Stunde der Wahrheit, weil die Europäer jetzt nicht mehr mit Reden und Quatschen davonkommen". Man sehe, dass "sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben". So sei die europäische Abstimmung sehr ineffizient, auch das Treffen in Paris habe keine konkreten Lösungen gebracht. Es werde viel geredet, aber wenig gehandelt.
"Briten und Franzosen stellen sich als Boyband ins Licht"
"Briten und Franzosen haben oft einen sehr großen Mund und stellen sich als Boygroup sehr positiv ins Licht", verdeutlicht Neitzel. Letztlich hätten es die Europäer aber verpasst, in den vergangenen drei Jahren einen neuen Verteidigungsrahmen zu schaffen.
Auch Deutschland sei Teil des Problems. Die Regierung sei grundsätzlich nur sehr bedingt reaktionsfähig. Durch Mechanismen wie Koalitionsregierungen, Föderalismus, Schuldenbremse und die Dominanz der Innenpolitik sei die Grenze der Leistungsfähigkeit schnell erreicht. Deshalb plädiere er für eine Reform der Demokratie. Gleichzeitig appelliert er an mehr Kompromissfähigkeit bei den Parteien.
Mit Blick auf Russland betont Neitzel: "Putin hat die Trümpfe in der Hand, denn er muss aus meiner Sicht einfach nur abwarten." Schließlich redeten alle bereits von Friedenstruppen. Es sei aber längst nicht ausgemacht, dass die Verhandlungen erfolgreich sind. Neitzel erwartet nicht, dass Trump die Ukraine dann weiterhin unterstützt. Er erwarte viel eher eine Situation wie in Afghanistan, dass sich Trump "frustriert und desinteressiert" zurückziehe.
- deutschlandfunk.de: "Militärhistoriker: 'Europa hat den Schuss nicht gehört'"