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Ukraine: Kiew bekommt Schulden erlassen – So steht es um die Finanzen


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Das gab es so noch nie
Die Ukraine und das Geld: Droht jetzt der Ausverkauf?


Aktualisiert am 24.07.2024Lesedauer: 5 Min.
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Wolodymyr Selenskyj bei einem Treffen am Rande des Nato-Gipfels in Washington: Die Gläubiger der Ukraine räumen dem Land drei Jahre mehr Zeit zur Tilgung ihrer Schulden ein. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)
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Knapp ist die Ukraine dem Zahlungsausfall entgangen. Dennoch bleibt die wirtschaftliche Zukunft des Landes unsicher. Bei den Staatsunternehmen könnte es zum Ausverkauf kommen.

Mitten im Krieg ist der Ukraine gelungen, was bisher noch kein Land in dieser Situation geschafft hat. Am Dienstag verkündete das Finanzministerium in Kiew den Abschluss einer Grundsatzeinigung mit internationalen Gläubigern: Diese verzichten auf einen Teil ihres Geldes und erlauben der Ukraine so einen finanziellen Spielraum von 11,4 Milliarden Dollar über die nächsten drei Jahre. Für die Ukraine ist die Umstrukturierung ihrer Schulden eine gute Nachricht in quasi letzter Minute.

Denn nur noch bis Ende Juli war Zeit für die Einigung – ansonsten hätte der Zahlungsausfall gedroht. Finanzminister Serhij Martschenko erklärte dazu: "Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Haushaltsstabilität zu gewährleisten und die finanziellen Ressourcen der Ukraine zu erhalten, die für die weitere Finanzierung unserer Verteidigung notwendig sind." Die Einigung zeuge von der langfristigen Partnerschaft mit den Gläubigern, "die auf gegenseitigem Vertrauen und Zusammenarbeit beruht".

Die langen Verhandlungen und die Rettung kurz vor dem Zahlungsausfall zeugen jedoch auch von einem grundsätzlichen Problem der Ukraine: Mehr als zwei Jahre Krieg und zuvor Jahrzehnte der Korruption haben den Staatshaushalt ausgelaugt. Kiew ist abhängig von der Gunst seiner Geldgeber. Die wiederum gehen mit ihren Finanzspritzen eine Wette auf den Kriegsverlauf ein – denn verliert die Ukraine den Krieg, wird es schwierig, das Geld wieder einzutreiben. Wie prekär sind Kiews Finanzen also? Kann die Wette der Geber aufgehen? Und wie versucht die Ukraine, anderweitig liquide zu bleiben?

Gläubigergruppe erlässt der Ukraine 37 Prozent ihrer Schulden

Zunächst ein detaillierter Blick auf die erzielte Einigung: Dabei geht es um ausstehende Anleiheschulden der Ukraine im Volumen von 19,7 Milliarden Dollar. Seit fast zwei Jahren gibt es bei diesen bereits Zugeständnisse der Gläubiger, damit das Land mehr Flexibilität hat. Die Einigung sieht vor, dass die Gläubiger auf 37 Prozent der Gelder verzichten. Zu ihnen gehören unter anderem die Investmentfonds Blackrock, Amundi und Amia Capital. Die Gruppe besitzt etwa 22 Prozent der ukrainischen Staatsanleihen.

Konkret sollen die alten Staatsanleihen durch neue ersetzt werden – und zwar in zwei Wellen. Bei den neuen Bonds in der ersten Serie sollen Zinszahlungen ab 2025 gezahlt werden. Die Laufzeiten der Wertpapiere reichen zwischen 2029 und 2036. Bei Anleihen der zweiten Serie geht es um Laufzeiten zwischen 2030 und 2036. Hier sollen vor 2027 keine Zinszahlungen fällig werden. Sollte sich die ukrainische Wirtschaft 2028 besser schlagen als vom Internationalen Währungsfonds (IWF) erwartet, würden höhere Zahlungen des Landes fällig. Dann könnte sich der Schuldenschnitt auf 25 Prozent reduzieren.

Die Gläubigergruppe teilte mit, die Verhandlungen seien schnell über die Bühne gegangen und konstruktiv gewesen. Es solle der Ukraine geholfen werden, wieder Zugang zum internationalen Kapitalmarkt zu finden. Außerdem sei es das Ziel, den Wiederaufbau des Landes zu finanzieren. Nach Angaben der Regierung in Kiew wollen weitere Investoren, die zusätzliche drei Prozent der Anleihen hielten, den Deal mittragen.

Ukrainische Staatsverschuldung wächst

Die Ukraine steht hoch in der Schuld ihrer Investoren. Ende vergangenen Jahres lag das Verhältnis zwischen Verschuldung und Bruttoinlandsprodukt (BIP) laut dem IWF bei knapp 83 Prozent. Bis Ende des laufenden Jahres könnte dieser Wert auf rund 94 Prozent ansteigen, in den Folgejahren sogar auf gut 96 Prozent. Der Haushaltssaldo der Ukraine lag im vergangenen Jahr bei minus 19,74 Prozent. Und das trotz der Milliarden, die EU, die USA, der Internationale Währungsfonds und weitere Geber in das Land pumpen.

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Die Ukraine hat dabei ein Problem: Der Großteil des Geldes fließt nur indirekt in Form von Waffen, Munition und anderen zweckgebundenen Mitteln in den Staatshaushalt. Von dem 61-Milliarden-Dollar-Hilfspaket, um das die US-Politik bis Ende April monatelang gerungen hatte, gehen beispielsweise lediglich acht Milliarden Dollar direkt an die ukrainische Regierung. Damit kann sie rund ein Viertel der jährlichen Sozialausgaben bedienen. Geschenkt ist das Geld freilich nicht, sondern in Form eines Darlehens bewilligt.

Bis 2027 wird die Ukraine zudem im großen Stil vom Internationalen Währungsfonds (IWF) finanziert. Die sieben führenden westlichen Industriestaaten (G7) haben der Ukraine außerdem einen Mega-Kredit im Volumen von 50 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt. Für diesen sollen auch Zinserträge aus eingefrorenen russischen Geldern genutzt werden. Auch die EU will bis 2027 bis zu 50 Milliarden Euro an Krediten bereitstellen.

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Ukraine will Staatsunternehmen abstoßen

Um ihre Ausgaben und Kredite zu bedienen, setzt die Ukraine zudem auf Privatisierung. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hat die Ukraine viele schlecht bestellte und hoch verschuldete Staatsunternehmen übernommen. Noch immer gehören dem Staat gut 3.100 Unternehmen, wovon lediglich 654 in Betrieb sind und nur 475 rentabel wirtschaften. Allein die fünf unprofitabelsten dieser Unternehmen kosteten den Staat im vergangenen Jahr rund 50,5 Milliarden US-Dollar. Die Gesamtschulden der Staatsunternehmen betragen rund 23 Milliarden US-Dollar.

In der Ukraine sind die Staatsunternehmen vor allem als Brutstätte für Korruption bekannt. Kein Wunder also, dass die Regierung nun den Ausverkauf plant. Im September beginnt eine Reihe an Auktionen, die knapp 20 Staatsunternehmen zum Gegenstand haben. Dazu gehört etwa das Hotel Ukrajina am Maidan-Platz, ein Wahrzeichen Kiews und zeitweise Zentrum der brutalen Auseinandersetzungen zwischen Zivilisten und Sicherheitskräften im Rahmen der Maidan-Revolution von 2014. Hinzu kommen unter anderem Bergbau- und Chemieunternehmen.

Die Regierung hatte schon vor Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 versucht, unrentable Unternehmen abzustoßen – die Corona-Pandemie und der bereits seit 2014 andauernde Konflikt im Donbass verkomplizierten die Situation allerdings. Dennoch ist das erklärte Ziel von Präsident Wolodymyr Selenskyj und seinen Ministern, dass am Ende nur noch 100 Unternehmen unter staatlicher Kontrolle bleiben.

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Bleiben ausländische Investoren zurückhaltend?

Dabei geht die Regierung eine Wette ein: Vor allem wegen des russischen Angriffskriegs werden die Privatisierungen wohl deutlich weniger Geld abwerfen als noch vor dem Krieg. Dafür aber hofft Kiew auf einen Wirtschaftsaufschwung mit mehr Jobs und idealerweise mehr Steuereinnahmen. Einfach wird das nicht, denn der Krieg geht weiter. Vor allem mit andauernden Luftangriffen auf kritische Infrastruktur richtet Russland große Schäden an – auch an Staatsunternehmen, die so kaum mehr verkauft werden können.

Aussichtslos muss dieses Unterfangen dennoch nicht sein, schätzten Experten des US-Thinktanks Center for Strategic and International Studies (CSIS) schon im vergangenen Februar: "Obwohl es aufgrund des Krieges riskant ist, in das Land zu investieren, ist nicht die gesamte Ukraine beschädigt oder befindet sich in aktiven Kämpfen", schrieben sie in einer Studie. Weniger als 20 Prozent des Landes seien besetzt – und vor allem Regionen im Westen seien reif für Geschäftsmöglichkeiten. "Investoren und internationale Partner müssen nicht darauf warten, dass jeder Teil des ukrainischen Territoriums von den russischen Truppen befreit wird, um dort tätig zu werden."

"Wo dieses Geld hingeht, weiß niemand"

Doch es gibt auch Zweifel an den Privatisierungen. In der Vergangenheit hatten diese nämlich vor allem den Oligarchen des Landes zu mehr Reichtum verholfen. Zudem befürchtet manch Ukrainer erneut Korruption: "Wo dieses Geld hingeht, weiß niemand", sagte Olha Kalinitschenko, eine Bürgerin Kiews, der "New York Times".

Die Regierung in Kiew versucht, den Privatisierungsprozess durch eine Online-Auktion transparent zu gestalten. Die Auktionen sind ebenso öffentlich einsehbar wie letztlich die Käufer. Ob das genügt, um Korruptionsfällen vorzubeugen, bleibt abzuwarten.

Ohnehin bleibt vieles in Bezug auf die Wirtschaftsentwicklung der Ukraine in der Schwebe. Der Krieg bestimmt auf absehbare Zeit die Geschicke des Landes. Die Geldgeber der Ukraine haben den Verteidigern nun zumindest für drei Jahre etwas Luft verschafft. In dieser Zeit muss die Ukraine vor allem private und wohl einige ausländische Investoren an Land ziehen, um ihre Wirtschaft so weit wie möglich zu konsolidieren. Russland indes zeigt bisher keine Anzeichen, die Zerstörung in der Ukraine einzustellen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters
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