Ukrainische Scharfschützen Absolut tödlich auf 1.500 Meter
Scharfschützen spielen eine immer wichtigere Rolle im Kampf gegen Putins Truppen. Die Spezialkräfte haben vor allem eine Aufgabe.
Sie sind so gut wie unsichtbar, treffen ihre Ziele über Hunderte Meter hinweg und verbreiten Angst und Schrecken unter den Besatzern: Scharfschützen werden im Kampf der Ukraine gegen die russische Armee offenbar immer wichtiger. Besonders abgesehen haben es die speziell ausgebildeten und ausgerüsteten Soldaten wohl auf Putins Führungsoffiziere.
"Wenn man sich gerade auf einen Angriff vorbereitet und plötzlich ist der Kommandeur weg, gerät die ganze Einheit in Aufruhr", so der US-Militärexperte und pensionierte Armeegeneral Robert Scales im "Wall Street Journal". "Kleine Einheiten geraten komplett durcheinander, wenn ihr Anführer getötet wird." Lohnenswert sei auch die Jagd auf erfahrene Artillerieschützen, deren Fähigkeiten schwer zu ersetzen seien.
Russlands Nachteil auf dem Schlachtfeld
Die russischen Offiziere geben besonders leichte Ziele für die Ukrainer ab, glaubt Scales, weil sie schon von Weitem gut an ihren Uniformen und selbst an ihren Stiefeln zu erkennen seien. In der russischen Armee gelangen nur akademisch ausgebildete Offiziere in Führungspositionen. In westlichen Armeen können dagegen das Kommando auch Unteroffiziere übernehmen, die sich durch Leistungen im Dienst oder im Kampfeinsatz ausgezeichnet haben.
Auch die ukrainische Armee hat dieses Prinzip übernommen, weil es schnellere Entscheidungen und damit Vorteile auf dem Schlachtfeld bietet. Auf russischer Seite müssen sich die Kommandeure vor Ort dagegen immer mit Führungsoffizieren abstimmen, die sich in Kommandoposten weit hinter der Front aufhalten. "Scharfschützen können den Krieg nicht allein gewinnen, aber ein guter Schuss kann eine Situation an einem Frontabschnitt verändern", erklärt Ruslan Schpakowitsch dem "Wall Street Journal".
Kiew setzt stärker auf Fernschützen
Der ukrainische Soldat war selbst Scharfschütze und trainiert jetzt andere Soldaten für diese Aufgabe. Anders als bislang will Kiew nicht mehr nur voll ausgebildete Scharfschützen an die Front schicken, sondern auch einfache Soldaten mit einer Fortbildung und der entsprechenden Ausrüstung.
Begleitet wird der Schütze in der Regel von einem Späher, der mit dem Fernglas Ziele auskundschaftet und überprüft, ob der Schütze das Ziel getroffen hat. Im Tarnanzug und im Schutz der Nacht, immer auf der Hut vor russischen Minen, nähern sich die Schützen-Teams dann den russischen Stellungen.
Welchen Wert Scharfschützen mit westlichen Präzisionsgewehren haben, hat die Ukraine im Kampf um Bachmut gelernt. Seit Anfang des Jahres operiert in der Stadt im Osten des Landes eine Einheit von 20 Scharfschützen, die sich selbst die "Geister von Bachmut" nennen. Nach eigenen Angaben haben sie zwischen Januar und Juli 524 russische Besatzer getötet. Überprüfen lässt sich diese Zahl allerdings nicht. "Vor der Artillerie kann man sich verstecken, aber nicht vor Scharfschützen", sagte der ukrainische Schütze mit dem Decknamen "Geist" Ende Juli der BBC.
"Und dann schieße ich"
Ihre Vorteile können Kiews Fernschützen auch im flachen und offenen Terrain im Süden der Ukraine ausspielen, wo zurzeit die heftigsten Kämpfe stattfinden. Dort müssen sie sich aber auch besonders in Acht nehmen, denn schon der kleinste Fehler in der Tarnung kann die Entdeckung durch eine russische Drohne bedeuten – und heftige Gegenwehr auslösen: "Kampfhubschrauber feuern, Artilleriegeschosse schlagen ein, und Russen, die sich gerade noch versteckt hielten, bewegen sich plötzlich", berichtet die Schützin mit dem Decknamen "Kuckuck". "Dann schießt du einfach auf alles, was du sehen kannst."
Ein ausgebildeter Scharfschütze mit einem guten Präzisionsgewehr kann Gegner in einer Entfernung von 1.200 bis 1.500 Metern zuverlässig treffen. Der bislang weiteste Treffer aus der Entfernung gelang einem ukrainischen Soldaten im November, wie Kiew mitteilte. Der Soldat habe "einen Besatzer" aus mehr als 2,7 Kilometer Entfernung getötet, so die ukrainische Armee. Es wäre der zweitweiteste Treffer, der je aufgezeichnet wurde. Nur der kanadische Scharfschütze mit dem Decknamen "Wali" soll 2017 im Irak auf eine noch weitere Distanz getroffen haben – mehr als 3,5 Kilometer. Die Angaben ließen sich jedoch nicht unabhängig prüfen.
Dabei sind nicht alle Soldaten für den Dienst als Scharfschützen geeignet. Zu groß ist die psychologische Belastung, abzudrücken und durch das Zielfernrohr einen Menschen sterben zu sehen. Auch Schützin "Kuckuck" muss eine emotionale Distanz zu ihren Opfern aufbauen: "Ich sehe nicht ihre Gesichter und die Gefühle darin", schildert sie dem "Wall Street Journal". "Ich denke auch nicht an ihre Frauen oder sonst was in ihrem Leben. Für mich sind das nur Figuren, die sich bewegen, und dann schieße ich."
- wsj.com: "Ukraine’s Elite Snipers Fight Russians, Bullet by Bullet" (englisch, kostenpflichtig)
- bbc.com: "Ukraine war: 'People call us the Ghosts of Bakhmut'" (englisch)