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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Letzte Verbündete ringen mit Russland Putins Freunde wenden sich ab
Wladimir Putin reist nicht zum Brics-Gipfel nach Johannesburg. Das löst zwar für Südafrika ein Problem, doch auch Brasilien und Indien stecken in einem Dilemma. Wie soll man mit dem Kriegstreiber umgehen?
Inhaltsverzeichnis
In vielen Familien gibt es sie: die Menschen, die nur ungern zu Familienfesten eingeladen werden. Weil sie sich daneben benehmen, weil sie immer wieder Ärger machen. Auch die Brics-Staaten haben aktuell ein Mitglied, das nur ungern zu Gipfeln eingeladen wird: Wladimir Putin.
Der russische Präsident ist durch seine Invasion in der Ukraine längst zum Problem für den Staatenbund der aufstrebenden Volkswirtschaften geworden. Selbst für Länder wie China, die weiterhin zu Russland halten und die aus strategischen Gründen nicht möchten, dass die russische Armee den Krieg in der Ukraine verliert.
Trotzdem wollen die Staaten der Brics-Vereinigung – Brasilien, Indien, China und Südafrika – ihr Bündnis zu Russland nicht kappen. Wichtige Handelsbeziehungen und strategische Interessen verbinden sie weiter mit Moskau.
Doch wie lange noch? Denn je länger der Krieg dauert, desto stärker ist der Druck, dass sich auch Putins letzte Verbündete vom ihm abwenden könnten. t-online mit dem Überblick, wie die aufstrebenden Volkswirtschaften aktuell zu Putin stehen.
1. Südafrika
Die südafrikanische Regierung dürfte gerade erleichtert aufatmen. Putin hat seine Teilnahme am Brics-Gipfel am 22. August in Johannesburg abgesagt und löst damit ein Dilemma für Südafrika. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hatte kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine eingeleitet. Seit Mitte März gibt es einen Haftbefehl gegen Putin wegen Kriegsverbrechen.
Die Folge: Südafrika hätte Putin verhaften müssen, sobald er südafrikanischen Boden betritt, weil das Land den IStGH anerkennt.
Die Nerven lagen in Südafrika viele Monate blank, zeitweise spielte das Land sogar mit dem Gedanken, den IStGH zu verlassen. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hatte den IStGH gebeten, Putin nicht verhaften zu müssen, da dies "einer Kriegserklärung" gleichkäme.
Doch mit der Absage des Kremlchefs ist das Problem nicht gelöst: Südafrika sieht sich auch weiterhin als neutrale Partei im Ukraine-Konflikt, ist aber weiterhin mit Russland verbündet. Zunächst rief die südafrikanische Außenministerin Grace Pandor Russland auf, sich aus der Ukraine zurückzuziehen. Präsident Ramaphosa dagegen verurteilte die russische Invasion nicht.
Die südafrikanische Verteidigungsministerin Thandi Modise besuchte auch nach Kriegsausbruch Konferenzen in Moskau, und Südafrika hielt zusammen mit Russland und China Militärmanöver ab. Ein chaotischer Schlingerkurs.
Die Gründe für dieses intakte Bündnis sind vielfältig: Südafrika halte den Russen ihre Unterstützung zur Zeit der Apartheid zugute, sagte die Historikerin Irina Filatova im Februar dem ZDF. "Russland hatte nie Kolonien in Afrika." Die Sowjetunion hat den African National Congress (ANC) im Kampf gegen den westlichen Kolonialismus mit Waffen und Militärausbildung unterstützt. Neben der historischen Verbundenheit hat Südafrika wirtschaftliche und militärische Abhängigkeiten von Russland.
Das scheint sich nun zu ändern, nachdem eine südafrikanische Delegation Butscha in der Ukraine besucht hat und sich ein Bild von den russischen Kriegsverbrechen machen konnte. Das habe vieles verändert, behaupten westliche Diplomaten im Gespräch mit t-online.
2. Brasilien
Auch Brasilien möchte neutral und möglichst blockfrei bleiben. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva möchte eine multipolare Weltordnung und teilt damit ähnliche Ziele wie China und andere Brics-Staaten. Er möchte die Dominanz des US-Dollars verringern und eine Verschiebung ökonomischer Macht zugunsten der Brics-Staaten.
Brasilien stimmte in den Vereinten Nationen zwar für den sofortigen Rückzug Russlands aus der Ukraine, aber Lula fordert lautstark einen Kompromissfrieden und kritisiert die westlichen Waffenlieferungen an Kiew. Der linke Präsident gibt den USA eine Mitschuld an der russischen Invasion.
Und hier liegt das Problem: In der brasilianischen Linken ist ein Antiamerikanismus historisch stark verbreitet. Auch deshalb bietet sich Lula als neutraler Vermittler an. Wirtschaftliche Abhängigkeiten hat Brasilien dagegen vor allem in den Beziehungen zu China. Für Brasilien ist die Volksrepublik ein wichtiger Partner, auch deshalb konnte es sich Lula im Mai leisten, eine Einladung nach Moskau auszuschlagen. Zu nah an Putin möchte der brasilianische Präsident also nicht rücken.
3. China
Auch die Supermacht China hat der Ukraine-Krieg verunsichert. Peking blieb nach Beginn der russischen Invasion im Februar viele Monate still. China-Experten gehen davon aus, dass Präsident Xi Jinping damit gerechnet hatte, dass Putin diesen Krieg in kurzer Zeit gewinnen werde.
Einerseits ist die Ukraine-Invasion nicht Chinas Krieg. Für Xi kam der russische Überfall zur Unzeit. Putin hatte dafür gesorgt, dass die Nato militärisch aufrüstet, und die Volksrepublik laboriert noch immer an den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Außerdem hatten auch chinesische Unternehmen in der Ukraine investiert. Es gibt also viele Gründe, warum Xi mit der gegenwärtigen Situation nicht zufrieden sein kann.
Doch China sieht sich mittelfristig vor allem in einem Konflikt mit den USA. Deswegen nutzt Peking den Konflikt, um Moskau stärker an sich zu binden. Das Kräftegleichgewicht zwischen China und Russland hat sich durch diesen Krieg massiv verschoben: Putin braucht Xi als Abnehmer russischer Rohstoffe, seine Rüstungsindustrie braucht chinesische Halbleiter. Es ist also klar, wer Koch und wer Kellner ist.
Und Xi? Für ihn wäre eine Kriegsniederlage Putins ein sicherheitspolitischer Albtraum. Das russische Riesenreich, mit dem China eine Grenze teilt und das über das weltweit größte Atomwaffenarsenal verfügt, könnte dann destabilisiert werden. In China gibt es Angst vor diesem Chaos, deswegen stützt Xi Putin. Doch China setzt Russland auch Grenzen: Eine rote Linie ist der Einsatz von Atomwaffen durch Russland, wie aus westlichen Diplomatenkreisen zu hören ist.
4. Indien
Vollkommen anders sehen aktuell die Beziehungen zwischen Russland und Indien aus. Die Führung in Neu-Delhi sorgt sich vor allem vor einem möglichen Krieg mit China, immer wieder kommt es zu Grenzkonflikten im Himalaja.
Die indische Dualität mit China ist historisch gewachsen, und Russland galt lange Zeit als Schutzmacht für Indien. Doch die Abhängigkeit Putins von Xi hat das indische Sicherheitsempfinden gestört.
Auf den ersten Blick versucht Indien, von der Krise zu profitieren. Es kauft noch immer billig russische Rohstoffe und löst damit im Westen große Verstimmung aus. Der indische Premierminister und Hindu-Nationalist Narendra Modi hat vor allem seine eigenen Sicherheitsinteressen im Blick, auch für Indien ist die Ukraine weit weg.
Doch Modi hat ein zentrales Problem: 60 bis 70 Prozent der indischen Waffenimporte kommen noch immer aus Russland, die Abhängigkeit von Moskau ist in diesem Bereich massiv. Deswegen kann es sich Indien schlichtweg nicht leisten, die Beziehungen zu Moskau umgehend zu kappen. Aber Russland kann durch seinen Krieg Indien auch nicht mehr umfangreich mit Rüstungsgütern beliefern, und das öffnet diplomatische Türen für den Westen.
Trotzdem wird Indien als Verbündeter für den Westen immer wichtiger: Beim G20-Gipfel forcierte Neu-Delhi eine Abschlusserklärung, in der indirekt der russische Angriffskrieg kritisiert wurde. Und auch innerhalb der Brics-Staaten soll Indien zu den Ländern gehören, die zu russlandfreundliche Abschlusserklärungen verhindern würden, meinen westliche Diplomaten.
Putins Schwäche öffnet Türen
Letztlich lassen sich auch die Brics-Staaten nicht von der russischen Propaganda täuschen. Auch sie lehnen den Angriffskrieg eigentlich ab und kritisieren in Gesprächen mit westlichen Vertretern Putins Invasion, wie t-online aus Diplomatenkreisen erfahren konnte. Doch oft sind für diese Staaten andere Themen relevanter und sie sehen den Ukraine-Konflikt als europäisches Problem. Das führt in vielen Fällen zu einer Politik des Wegsehens.
Aber eines ist klar: Putins Schwäche hat dem Westen diplomatische Türen im Kreise der Brics-Staaten geöffnet. Es sind auch die USA, Deutschland und Frankreich, die erkannt haben, dass sie sich um diese Länder bemühen müssen. Das bringt zwar nur langsame Erfolge, aber diese Erfolge sind Alarmsignale für den russischen Präsidenten.
Putin sagte seine Südafrikareise ab, aus Angst verhaftet zu werden. Allein das ist schon ein wichtiges Signal.
- swp-berlin.org: Wie afrikanische und nahöstliche Staaten auf den Russland-Ukraine-Krieg blicken
- zdf.de: Lula lehnt Einladung nach Russland ab
- zeit.de: Putins Freunde
- taz.de: Herumeiern mit Putin
- dw.com: Putin bleibt dem BRICS-Gipfel fern
- zdf.de: Thailand und Südafrika: Putins treue Partner
- fr.de: Das "blockfreie" Brasilien ist die beste Chance für Frieden in der Ukraine
- dw.com: Südafrikas Russland-Politik belastet Beziehungen zum Westen
- Eigene Recherche