Ukrainischer Widerstand Partisanen zwingen Russland zu Truppenabzügen
Berichte über ukrainische Untergrundattacken gibt es seit Beginn des Krieges. Eine Analyse zeigt jetzt, wie systematisch die Ukrainer bei ihren Aktionen vorgehen.
Der ukrainische Widerstand brauchte keine Woche für seine erste Aktion. Sechs Tage nach dem russischen Überfall am 24. Februar entführten Partisanen den von Russland eingesetzten Aufseher der Stadt Kreminna in der Region Luhansk und töteten ihn mit einem Schuss ins Herz. Dem Anschlag auf Wolodymyr Struk folgte eine Serie von mindestens 33 Untergrundaktionen, die sich inzwischen sogar auf die russischen Stellungen an der Front auswirken, wie die US-Denkfabrik "Institute for the Study of War" (ISW) berichtet.
"Ukrainische Partisanenattacken zwingen Russland, Truppen von den Frontlinien abzuziehen, um ihre nachgelagerten Positionen abzusichern", heißt es im jüngsten Ukraine-Bericht des ISW. "Die Attacken verringern die Fähigkeiten Russlands, ukrainische Gegenoffensiven abzuwehren, geschweige denn, eigene Offensiven zu starten." Russische Spezialeinheiten sowie Angehörige der Nationalgarde Rosgvardia und des Geheimdienstes FSB seien seit Juni in viele besetzte Städten geschickt worden, um die Partisanenbewegung zu unterdrücken, doch offenbar ohne großen Erfolg: "Bis jetzt haben es die Besatzer nicht geschafft, die Partisanenbewegung unschädlich zu machen, und das wird ihnen wahrscheinlich auch nicht gelingen", so das ISW.
Ukrainer kennen Geheimnisse der Russen
Das größte Problem der Russen ist offenbar ihre Unfähigkeit, Informationen vor den Ukrainern geheim zu halten. Den Besatzern gelinge es nicht, die Identitäten von Kollaborateuren zu verschleiern und deren Sicherheit am Arbeitsplatz oder zu Hause zu gewährleisten, berichtet das ISW. Auch sei es der russischen Armee nicht gelungen, mögliche Ziele wie Schienenkreuzungen oder Brücken zu schützen. "Diese Versäumnisse haben die ukrainische Partisanenbewegung erst ermöglicht", schreibt das ISW. "Angehörige des Widerstands sammeln ungehindert Informationen über mögliche russische Ziele und geben diese an andere Partisanen oder die ukrainische Armee weiter."
Tatsächlich finden sich unter den 34 vom ISW bestätigten Partisanenangriffen auch mehrere, bei denen Untergrundkämpfer und reguläre Armee gemeinsam vorgingen, beispielsweise die Sprengung einer wichtigen Eisenbahnbrücke in Jakymiwka Ende April. Die Sabotageaktion in der südukrainischen Region Saporischschja unterbrach den Nachschub der Russen über die besetzte Krim, dieses auf Twitter verbreitete Video soll die Brücke nach dem Anschlag zeigen:
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Partisanen handeln meist auf eigene Rechnung
Ein Schlaglicht auf die Zusammenarbeit von Partisanen und regulärer Armee wirft auch der Tod von Maksym Makrinow am 2. September im besetzten Tokmak, ebenfalls in der Region Saporischschja. Nach russischen Angaben lieferte Makrinow den Ukrainern Informationen über die russischen Truppen in der Stadt für Artillerieangriffe. Als die Besatzer Makrinow verhaften wollten, sprengte dieser sich vor seinem Haus mit einer Handgranate in die Luft und tötete dabei auch zwei der russischen Soldaten.
Bei den meisten Angriffen scheinen die Partisanen allerdings auf eigene Rechnung zu handeln, ohne Verbindung zur ukrainischen Armee. In mehreren Fällen lauerten sie von Russland eingesetzten Handlangern in der Besatzungsverwaltung mit Schusswaffen auf. Einer solchen Aktion fiel im März beispielsweise Pavel Slobodchikow zum Opfer, ein Assistent von Wolodymyr Saldo, dem Chef der Besatzungsverwaltung in der Region Cherson. Auch die tödlichen Schüsse auf den pro-russischen Kriegsblogger Walery Kuleschow in der Stadt Cherson am 20. April wurden dem ISW zufolge von Partisanen abgefeuert.
Sprengfallen töten viele Kollaborateure
Die bevorzugte Methode der Partisanen scheinen allerdings Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen zu sein, insgesamt 19 solcher Fälle listet das ISW auf. Den Forschern zufolge haben die Partisanen in der Ukraine bislang mindestens elf Kollaborateure getötet, die meisten von ihnen mit Sprengsätzen. Dieses Video vom 27. Juli soll einen der vom ISW bestätigten Angriffe in Cherson zeigen, das Ziel war demnach ein Auto mit Besatzungspolizisten, von denen einer getötet und einer verletzt worden sein soll:
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Aufgezeichnet wurde die auch die jüngste Bombenattacke, die das ISW den Partisanen zuschreibt:
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Für den Angriff auf einen Stützpunkt des Geheimdiensts FSB in der Stadt Melitopol am 25. Oktober sollen die Partisanen einen Sprengsatz in einem Auto platziert haben, fünf Personen sollen bei der Attacke verletzt worden sein. Das Gebäude, vor dem die Bombe explodierte, soll Jewgeni Balitsky gehören, dem von Russland eingesetzten Chef der Besatzungsverwaltung der Region Saporischschja. Häufiger als in dieser Region schlugen die Partisanen laut ISW nur in der Nachbarregion Cherson zu, wo sich die Attacken auf die gleichnamige Hauptstadt konzentrierten.
"Partisanenkrieg hat durchaus militärische Wirkung"
"Der Sinn des Partisanenkrieges ist es, die feindliche Besatzungsmacht zu zermürben", sagte der deutsche Oberst a. D. Wolfgang Richter im September zu den Aktionen der Ukrainer. "Wenn Russland nicht sicher sein kann, dass einzelne Versorgungskonvois unterwegs angegriffen werden, dann brauchen sie Sicherungstruppen. Und alles, was man als Sicherungstruppen von der Front abzieht, fehlt dort natürlich. Insofern hat der Partisanenkrieg mit seinen wenigen Kräften durchaus eine militärische Wirkung."
Einem Bericht der "New York Times" zufolge ist die ukrainische Partisanenbewegung das Ergebnis längerer Vorbereitung. Aufgeschreckt durch den russischen Aufmarsch an den Grenzen habe die Ukraine schon Monate vor der Invasion angefangen, Zivilisten für Untergrundaktionen zu trainieren. Diese hätten an Wochenenden geübt, mit Pistolen zu schießen, Bomben zu bauen und Sprengfallen zu errichten. Ein Beteiligter berichtete der Zeitung zudem, dass die Armee die Partisanen nach dem russischen Einmarsch mit Waffen, Munition und Sprengstoff versorgt hätte.
- understandingwar.org: Russian Offensive Campaign Assessment, November 1 (englisch; Stand: 2. November 2022)
- nytimes.com: Behind Enemy Lines, Ukrainians Tell Russians ‘You Are Never Safe’ (englisch; Stand: 2. November 2022)