t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikTagesanbruch

Merz: Grüne bremsen Milliardenpläne – zum Glück


Tagesanbruch
Welch Fehler!

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 12.03.2025 - 07:09 UhrLesedauer: 7 Min.
CDU-Chef Friedrich Merz: Fehlt der Weitblick für das Kanzleramt?Vergrößern des Bildes
CDU-Chef Friedrich Merz: Fehlt der Weitblick für das Kanzleramt? (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)
News folgen

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

im Schweinsgalopp wollte der angehende Kanzler Friedrich Merz Hunderte Milliarden für Verteidigung und Infrastruktur durch den Bundestag bringen. Jetzt aber wird Merz etwas gebremst – zum Glück. Denn Bedenk- und Prüfzeit für die anderen Parteien wie für die Justiz ist nötig.

Andere Kommentatoren sehen das anders. Welch Fehler!, stöhnen sie seit Montag und bezeichnen Kritiker als "beleidigt" oder als Bremsklötze. Irgendwie scheint das Gefühl dafür verloren gegangen zu sein, um welche Rekordsummen es geht und in welch unüblichem und überhasteten Verfahren sie im Parlament verabschiedet werden sollen.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Zwar haben die Sondierer von CDU/CSU und SPD bitter recht, wenn sie so schnell wie möglich stark in Verteidigung investieren wollen. Auf die USA unter Donald Trump ist kein Verlass mehr, zuletzt hat das der Eklat zwischen Trump und Selenskyj im Weißen Haus eindrücklich bewiesen. Die Zukunft der Nato ist unklar, alte Gewissheiten und Partnerschaften sind Geschichte. Und die deutschen Streitkräfte sind auf eine solche Lage nicht vorbereitet.

Das bestätigte die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) erst am Dienstag bei der Vorstellung des Wehrberichts für das Jahr 2024: Einiges habe sich verbessert, doch es gebe akuten Personalmangel, die Truppe sei "an der Belastungsgrenze". Viele Kasernen seien marode. Beim Material fehle es der Bundeswehr außerdem "nach wie vor an allem", so Högl. Wohlgemerkt: "an allem" – nicht: "an vielem" oder: "an manchem". Nicht mächtig klingt das, sondern mächtig ausgezehrt.

Doch Högls Auftritt machte auch ein anderes großes Problem der Truppe deutlich: All diese Schwachstellen wird Geld, und sei es noch so viel, nicht alleine beheben. Es muss an den richtigen Stellen eingesetzt werden. Denn wo fängt man an, wenn "alles" fehlt? Noch dazu sind Reformen nötig, sonst droht viel Steuergeld in kranken Strukturen zu versickern.

Das jetzt geplante Großinvestitionspaket ist schließlich nicht das erste seiner Art: Nach Russlands Invasion der Ukraine vor drei Jahren verkündete Noch-Kanzler Olaf Scholz (SPD) die militärische "Zeitenwende", der Bundestag beschloss ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Truppe.

Das aber schlägt offensichtlich nur langsam durch: Högl kritisierte am Dienstag langsame Beschaffung, "überbordende Bürokratie" und "mangelnde Digitalisierung". Experten bemängeln seit jeher, dass das Bundesverteidigungsministerium ebenso wie die Bundeswehr besonders schwerfällig agieren. Zu starke Hierarchien, zu viele Doppelstrukturen – eine aufgepumpte, behäbige Verwaltung also.

Reformen und Prioritäten aber sind kaum Thema, wenn Union und SPD derzeit vor die Presse treten. Auch in dem Gesetzentwurf für Donnerstag wie im Sondierungspapier der baldigen Koalitionäre sind sie nur kurz und nicht sehr konkret Thema. Vielmehr sollen die enormen Summen erst einmal Tätig- und Wirksamkeit vermitteln. Blendwerk, das sich rasch entzaubert.

Gut also, dass nun gebremst wird. Die Grünen zwingen Union und SPD derzeit dazu, mit ihren Turboplänen zumindest kurz innezuhalten. Sie wollen nachverhandeln und drohen andernfalls, die Pläne im Bundestag ganz durchfallen zu lassen. Das hat strategische und emotionale Gründe, aber auch einen guten Effekt: Es wird durchgeatmet, noch einmal diskutiert und nachgedacht – bevor man womöglich kopflos einen Schuldenberg beschließt, der schwer auf den nächsten Generationen lastet.

Und auch die Justiz hat noch ein Wort mitzureden. Beim Bundesverfassungsgericht liegen nun sieben Klagen und Beschwerden gegen die geplante Eil-Abstimmung im Bundestag vor, wie ein Sprecher des Gerichts t-online am Dienstag sagte. Zwei Organklagen stammen aus Reihen der AfD, eine von der Linken, eine von der fraktionslosen Abgeordneten Joana Cotar (ehemals AfD), hinzu kommen inzwischen drei Verfassungsbeschwerden von Bürgern.

Die Organklagen zielen darauf ab, die Abstimmung am Donnerstag ganz zu verhindern. Die Abgeordneten und Fraktionen kritisieren, dass der alte Bundestag über die Aufnahme von beispiellosen Schulden entscheiden soll – obwohl das auch der neue, im Februar gewählte, aber noch nicht konstituierte Bundestag tun könnte. Unfair finden das mit einigem Recht die Linken und die AfD, die im neuen Parlament wesentlich stärker vertreten sind und den Plänen dann einen Riegel vorschieben könnten.

Vor Gericht freilich sieht die Argumentation ihrer Juristen etwas komplizierter aus. Auch ein geschäftsführender Bundestag ist schließlich handlungs- und beschlussfähig, daran gibt es unter Staatsrechtlern eigentlich keine Zweifel. Deswegen konzentrieren sich die Juristen der Parteien eher auf anderes, zum Beispiel auf die Kritik, dass Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) die Grundlage – die Aufforderung von einem Drittel der Abgeordneten im Bundestag – gefehlt habe, um überhaupt eine Sondersitzung des Parlaments einzuberufen. Dieses nötige Drittel einfach aus den Fraktionen von CDU/CSU und SPD abzuleiten, genüge nicht, finden sie.

Ob das höchste Gericht ihre Argumente stichhaltig findet, könnte sich bereits heute oder morgen zeigen, noch kurz vor der Sondersitzung des Bundestags. Gut aber ist schon jetzt dieser Protest sowie das hoffentlich gut begründete Urteil der Verfassungsrichter, das daraus folgt.

Denn die Kritik der Parteien dürfte auch bei vielen Wählern einen Nerv treffen. Schließlich sind die Kehrtwenden heftig, die Wortbrüche zahlreich, die vor allem Wahlsieger Friedrich Merz in der kurzen Zeit seit der Wahl zu verzeichnen hat. Und der Verdacht liegt nahe, dass nicht der Eklat im Weißen Haus der Auslöser war, sondern die Abstimmung mit alten Mehrheiten in der kurzen Übergangszeit schon länger geplant war.

Loading...
Loading...
Täglich mehr wissen

Abonnieren Sie kostenlos den kommentierten Überblick über die Themen, die Deutschland bewegen. Datenschutzhinweis

Von "Taschenspielertricks" oder "Kaltschnäuzigkeit" sprechen die einen fast bewundernd, von "Wahlbetrug" und "Demokratieverachtung" die anderen. Bedenken gegen dieses Vorgehen jedenfalls äußern sogar CDU-Abgeordnete öffentlich: Von "zahlreichen verfassungsrechtlichen Fragen", die das Paket aufwerfe, spricht der CDU-Politiker und ehemalige Berliner Justizsenator Thomas Heilmann im "Stern". Und er räumt ein: "Um ehrlich zu sein, bin ich mir über alle Fragen noch nicht ganz im Klaren, da alles sehr kurzfristig geschieht."

Zu schnell, zu kopflos – der Aktionismus von Union und SPD unter der Leitung von Merz weckt derzeit wenig Vertrauen, dass diese Koalition das Land klug durch die mit einiger Sicherheit anstehenden Krisen der kommenden Jahre manövrieren wird.

Doch ein Gutes haben die Diskussionen um die Milliardenschulden. Sie zeigen: Parlamentarismus und Gewaltenteilung sind stark in Deutschland. Wer kein Vertrauen in Merz hat, kann es in unsere Demokratie haben.


Ukraine erhält wieder US-Militärhilfen

Die USA und die Ukraine haben am Dienstag in Saudi-Arabien Gespräche über eine Teil-Waffenruhe im Ukraine-Krieg aufgenommen. Der ukrainische Präsidialamtschef Andrij Jermak bezeichnete den Auftakt als "sehr konstruktiv". "Wir sind bereit, alles zu tun, um einen Frieden zu erreichen", sagte er.

Wie beide Seiten nach den Gesprächen mitteilten, erklärte sich die Ukraine zu einem von den USA vorgeschlagenen 30-tägigen Waffenstillstand bereit – vorausgesetzt, auch Russland stimmt zu. Ob das passiert, ist fraglich. "So schnell wie möglich" solle außerdem ein Abkommen über Rohstoffe zwischen der Ukraine und den USA geschlossen werden.

Die USA kündigten daraufhin an, die gestoppten Militärhilfen für die Ukraine sofort wiederaufzunehmen. Auch die so wichtigen Geheimdienstinformationen wollen sie wieder an Kiew weitergeben. US-Außenminister Marco Rubio erklärte, der Ball liege nun im Feld der Russen. Was das für die Verhandlungen bedeutet, erklärt mein Kollege Bastian Brauns hier.

Um die Ukraine wird es an diesem Mittwoch auch in Paris gehen. Dort kommt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit seinen Kollegen aus Frankreich, Italien, Polen und Großbritannien zusammen. Der ukrainische Verteidigungsminister soll per Video zugeschaltet werden. Die Minister wollen über die Koordination ihrer Maßnahmen zur Unterstützung Kiews sprechen. Zudem soll es um die Aufrüstung Europas gehen. Für 18.30 Uhr ist eine Pressekonferenz geplant.


Was steht an

Grönland hat gewählt: Die Wahlberechtigten auf der größten Insel der Welt waren am Dienstag zur Wahl eines neuen Parlaments aufgerufen. Nun gibt es erste Prognosen – das offizielle Ergebnis soll im Laufe des Mittwochs feststehen. Zentrales Thema des Wahlkampfs war die mögliche komplette Unabhängigkeit der arktischen Insel von Dänemark. Entsprechende Bestrebungen wurden durch Drohungen von US-Präsident Donald Trump beflügelt, das an Rohstoffen reiche und strategisch günstig gelegene Grönland notfalls mit Gewalt den Vereinigten Staaten einzuverleiben.


Wie geht es in Portugal weiter? Nach nur einem knappen Jahr im Amt ist am Dienstag die konservative Minderheitsregierung in Portugal gestürzt. Ministerpräsident Luís Montenegro verlor die Abstimmung über die Vertrauensfrage im Parlament in Lissabon deutlich. Portugal steht somit vor der dritten vorgezogenen Parlamentswahl seit Anfang 2022. Präsident Marcelo Rebelo de Sousa könnte nun zwar einen anderen Politiker des Regierungsbündnisses oder auch den Oppositionsführer mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen. Es gilt aber als wahrscheinlich, dass das Staatsoberhaupt das Parlament auflösen und Wahlen ausrufen wird.


Erste Ministerpräsidentenkonferenz nach der Bundestagswahl: Die Regierungschefs der Länder wollen sich über die Lage nach der Wahl und ihre Positionen gegenüber einer neuen Bundesregierung austauschen. Außerdem soll es um die Krankenhausreform, Pflege, Künstliche Intelligenz, Treibstoffversorgung und kritische Infrastruktur gehen.


Österreichs Regierung will ein Aussetzen des Familiennachzugs für Asylberechtigte beschließen: Die neue Koalition aus ÖVP, SPÖ und Neos will ein Signal setzen. Der Schritt im Ministerrat gilt als rechtlich problematisch.


Lesetipps

Trumps Wirtschaftskurs gerät ins Schlingern: In den USA steigt die Inflation, Aktienmärkte brechen ein, und die Verbraucher verlieren das Vertrauen. Sind die Versprechen des "Dealmaker"-Präsidenten schon geplatzt? Das analysiert US-Korrespondent Bastian Brauns.


Demnächst wird Friedrich Merz als deutscher Kanzler den US-Präsidenten im Oval Office besuchen. Unser Kolumnist Uwe Vorkötter möchte nicht in seiner Haut stecken – und hat doch einen wertvollen Tipp für ihn.


Volkswagen steckt in der Krise. Um sich für die Zukunft abzusichern, setzt VW-Chef Blume deswegen auf Altbewährtes. Der Mut muss jetzt von anderer Stelle kommen, findet meine Kollegin Frederike Holewik.


Zum Schluss

Alles hat seinen Vorteil:

Ich wünsche Ihnen einen stressfreien Mittwoch. Morgen schreibt Steven Sowa für Sie.

Herzlichst

Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
X: @AnnLei1

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

Den täglichen Tagesanbruch-Newsletter können Sie hier kostenlos abonnieren.

Alle Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier.
Alle Nachrichten lesen Sie hier.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



Telekom