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Linke: An den Haustüren klopfen gehen? Warum das eine gute Idee ist


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Tagesanbruch
Deutschland braucht dieses Gegengift dringend


Aktualisiert am 22.10.2024Lesedauer: 5 Min.
Bundesparteitag Die LinkeVergrößern des Bildes
Gregor Gysi und Ines Schwerdtner: "Raus zu den Menschen". (Quelle: Hendrik Schmidt/dpa/dpa-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es spricht viel dagegen, dass ich Sie heute Morgen mit der Linkspartei behellige. Ihr ewiges Problem zum Beispiel, den Antisemitismus in den eigenen Reihen in den Griff zu bekommen. Oder eine halbwegs sinnvolle Position zu den außenpolitischen Krisen unserer Zeit zu finden.

Man kann die Linke leicht übersehen, so winzig ist sie inzwischen. "Erfolgreiche Artenschutzkonferenz" schrieb die linke "taz" nach dem Parteitag am Wochenende auf die Titelseite. Fast ausgestorben, bei drei oder vier Prozent. Sie ist so bedürftig, dass die junge Generation es bejubeln (muss), dass Gregor Gysi (76), Dietmar Bartsch (66) und Bodo Ramelow (68) sich im Wahlkampf wohl noch mal reinhängen werden. "Aktion Silberlocke" nennt Gysi das. Den Humor haben sie noch nicht verloren.

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Sie merken es schon, ich behellige Sie trotzdem kurz. Denn ich finde eine Idee der neuen Parteichefin Ines Schwerdtner interessant und wichtig. Und ich fürchte, dass sie sonst im Locken-Lärm untergeht. Schwerdtner sagte bei Phoenix, die Linke wolle wieder "raus zu den Menschen", und zwar zu jenen, die von Politik und Parteien nichts mehr wissen wollten. Ihnen wolle man sagen, "die Linke ist für euch da". Man werde also "ab Montag an den Haustüren Deutschlands klopfen".

Keine Sorge, die Wahrscheinlichkeit, dass bei Ihnen gleich ein Linker vor der Tür steht, ist natürlich gering. Stichwort: Artenschutz. Aber als Idee, als Ansatz auch für andere Parteien, ist eine solche Haustür-Politik in diesen Zeiten eine Chance, die Politiker besser nicht liegen lassen sollten. Und wir brauchen noch mehr. Irgendwie müssen wir es doch versuchen.

Es stimmt natürlich, diese Politik des Zuhörens ist nichts Neues. Sigmar Gabriel hat sich früher als SPD-Chef an ihr versucht, Emmanuel Macron in Frankreich vor einiger Zeit auch. Die linke Kümmererpartei war mal ein kleiner Trend, auch weil es immer wieder Beispiele in Europa gibt, wo es ganz gut funktioniert.

Besonders Emmanuel Macron hat aber auch gezeigt, wie es nicht geht. Bei ihm ist das offene Ohr zur Pose verkommen. Er ist eben eher Sonnenkönig als Sozialarbeiter. Dann lässt man es lieber.

Ernst gemeintes Zuhören und wirkliches Kümmern aber kann etwas bewirken. Das merke ich immer wieder, wenn ich Politikern beruflich dabei zusehe, wie sie im Wahlkampf an Türen klingeln. Es gibt da die Minimalisten, die einfach ihr Flugblatt übergeben mit der fantasiearmen Frage: "Darf ich Ihnen ein paar Informationen zur Wahl dalassen?" Im Idealfall schauen die Leute dann kurz auf den Flyer, bevor er im Papierkorb landet.

Es gibt aber auch die Kümmerer. Sie versuchen es mit echten Fragen. "Welches Thema kommt in der Politik zu kurz?" – "Was fehlt Ihnen hier im Viertel?" – "Was halten Sie vom neuen Sonntagstreff?" Das funktioniert nicht immer, aber manchmal entstehen interessante Gespräche über echte Probleme. Davon profitieren alle: die Bürger, weil sie ihre Sorgen loswerden. Die Politiker, weil sie die Sorgen der Menschen mitbekommen, die nicht auf Parteitage oder in Sprechstunden kommen. Und die Gesellschaft, weil Bürger und Politiker miteinander reden statt übereinander zu schimpfen. Die Frage ist: Warum machen das so viele Politiker nur im Wahlkampf?

Eine andere Methode des Zuhörens hat der kluge Soziologe Steffen Mau kürzlich wieder in die Debatte eingebracht. Auch sie ist nicht neu, bleibt bisher aber genauso unter ihren Möglichkeiten: die Bürgerräte. Eine zufällig ausgewählte, aber möglichst heterogene Gruppe tauscht sich intensiv und oft mit Expertenberatung über eine politische Frage aus. Nicht, um Parlamente zu ersetzen. Sondern um sie zu ergänzen, um sie besser zu informieren.

Bürgerräte haben aber noch einen weiteren Zweck, der gerade fast noch wichtiger ist. Die Menschen können dort "im Kleinen das einüben, was im Großen diskursiv oft nicht gelingt", wie Steffen Mau es formuliert. Sie müssen sich in andere hineindenken, ihre eigenen Positionen hinterfragen, vielleicht verändern oder besser begründet beibehalten. Willensbildung im wahren Wortsinn: Im Dialog mit anderen bildet sich der eigene Wille heraus.

Der Bundestag probiert diese Art der politischen Beteiligung mittlerweile aus. Der erste Bürgerrat über "Ernährung im Wandel" ist sogar schon beendet und hat sinnvolle Empfehlungen erarbeitet, mit denen der Bundestag nun hoffentlich etwas Sinnvolles anstellt. In einigen Bundesländern gibt es ebenso Versuche. Bürgerräte können aber mehr als Leuchtturmprojekte sein. Warum nicht regelmäßiger? Warum nicht in so vielen Kommunen wie möglich?

Steffen Mau bringt die Bürgerräte in seinem wichtigen Buch "Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt" besonders für Ostdeutschland ins Spiel. Er beschreibt sie als "Antidot gegen politische Entfremdung und Parteienverdrossenheit" und kann sich vorstellen, dass der Osten womöglich zu einem "Labor der Partizipation" werden kann. Weil die Entfremdung und Verdrossenheit dort bei vielen weit fortgeschritten ist. Ich bin mir sicher: Ganz Deutschland braucht dieses Gegengift, dringend.


Termine des Tages

Besuchstag in Berlin: Im Kanzleramt und im Schloss Bellevue ist heute viel los. Der ehemalige Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kommt zum Abschied bei Olaf Scholz und Frank-Walter Steinmeier vorbei. Der Bundespräsident verleiht ihm das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, abends gibt's mit Verteidigungsminister Boris Pistorius noch den Großen Zapfenstreich. Zudem auf der Besucherliste: der Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad bin Khalifa Al Thani, und Finnlands Präsident Alexander Stubb.


Wie viel Geld kann der Staat ausgeben? Der Arbeitskreis "Steuerschätzung" beginnt heute seine Arbeit, am Donnerstag stellt Finanzminister Christian Lindner die Ergebnisse vor. Dann wird es die Antwort auf die Frage geben, wie schwierig die Verhandlungen zum Haushalt im Bundestag noch werden.

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Zu Gast beim Aggressor: Wladimir Putin ist Gastgeber des 16. Brics-Gipfels, dem Treffen der Schwellenländer. Mit dabei sind unter anderem die Staats- und Regierungschefs von Indien, China und Südafrika. Erstmals rollen auch Vertreter der neuen Mitglieder Ägypten, Iran, Vereinigte Arabische Emirate, Saudi-Arabien und Äthiopien an. Für Putin ist es eines der wichtigsten politischen Ereignisse des Jahres. Er will zeigen, dass er trotz westlicher Sanktionen wegen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine international nicht isoliert ist.


Brombeere in Sachsen? In Dresden beginnen die Sondierungsgespräche zwischen CDU, SPD und BSW.


Historisches Bild

Der Pony-Express aus dem Wilden Westen ist bis heute berühmt. Doch seine Zeit währte nur kurz. Mehr lesen Sie hier.


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Christian Lindners Reform der privaten Altersvorsorge soll Sparpläne attraktiver machen. Für wen sogar bis zu 165.000 Euro mehr Rente drin sind, erklärt meine Kollegin Christine Holthoff.


Nach Wochen des Aufschwungs sinken die Umfragewerte von Kamala Harris. Dafür gibt es mehrere Gründe, erklärt mein Kollege Julian Alexander Fischer.


Zum Schluss

Morgen schreibt Ihnen der Kollege Mauritius Kloft. Ich wünsche einen schönen Dienstag.

Ihr Johannes Bebermeier
Leitender Reporter Politik
BlueSky: @jbebermeier.bsky.social
X: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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