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Jugendliche in Deutschland: Schufa-Studie belegt alarmierenden Pessimismus


Tagesanbruch
Alles ist kaputt

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 25.09.2024 - 07:25 UhrLesedauer: 5 Min.
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Immer mehr Jugendliche in Deutschland schauen pessimistisch in die ZukunftVergrößern des Bildes
Immer mehr Jugendliche in Deutschland schauen pessimistisch in die Zukunft. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

in New York, im Plenarsaal der Vereinten Nationen, sprechen in diesen Stunden wichtige Menschen zur Weltgemeinschaft. US-Präsident Joe Biden hat vor erstarkenden Diktatoren gewarnt und die internationale Zusammenarbeit beschworen. UN-Generalsekretär António Guterres sorgt sich um die Eskalation in Nahost. Auch hierzulande werden heute wichtige Reden geschwungen. Finanzminister Christian Lindner verteidigt bei einer Regierungsbefragung im Bundestag seinen windschiefen Haushalt. Umweltministerin Steffi Lemke muss erklären, wie Sparen und Naturschutz zusammenpassen. Drei dieser Redner haben die Hälfte ihres Lebens schon hinter sich, der vierte womöglich auch. Joe Biden ist 81 Jahre alt, Herr Guterres 75, Frau Lemke 56, Herr Lindner 45.

Im Alter wachse die Weisheit, heißt es, da ist bestimmt was dran. Lebenserfahrung kann Einsichten fördern, milde stimmen, Empathie stiften. Das Gegenteil trifft aber auch zu: Alter kann starrsinnig machen, ignorant und träge. Einschlägige Beispiele finden sich von Moskau bis Berlin in mannigfacher Zahl.

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Wer jedoch beim Altern reift und obendrein Sensibilität besitzt, hat Jüngeren etwas Entscheidendes voraus: Dank vieler Erlebnisse kann er oder sie sich in andere Menschen hineinversetzen, die Perspektive wechseln, neue Standpunkte erkennen. Zusammengenommen müssten die unzähligen Erfahrungen und Erkenntnisse so vieler reifer Leute demnach eigentlich genügen, die Welt für alle Menschen zu einem wunderbaren Ort zu machen.

Umso bedrückender ist es, wenn das Gegenteil geschieht. Wenn sich die Schere zwischen vielen Armen und wenigen Superreichen immer weiter öffnet. Wenn in Afrika und Asien immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen müssen, weil klimabedingte Dürren ihnen das Überleben erschweren. Wenn in Europa wieder Krieg tobt und sich die Gegner im Nahen Osten gegenseitig abschlachten. Wenn die Gletscher schmelzen, das Wetter zum Feind wird und die Weltmeere Kloaken gleichen. Wenn auch hierzulande nicht alles rundläuft, sondern der Bürokratismus wuchert, die Infrastruktur bröckelt, das Rentensystem vor dem Kollaps steht und die Klimakrise in immer kürzeren Abständen brutale Unwetter verursacht, die Milliardenschäden anrichten. Wenn Forscher heute Morgen melden: Die Wolkenbrüche der vergangenen Tage in Osteuropa waren "der stärkste jemals in Mitteleuropa gemessene Regen" – und solches Katastrophenwetter werde nun "zur Regel". Schlimmer noch: Es werde sich aufgrund des ungebremsten CO2-Ausstoßes verschlimmern, weshalb sich Deutschland auf regelmäßige Evakuierungen einstellen sollte.

Wenn man also sieht, wie zu viele Dinge in die falsche Richtung laufen, ja, dann kann einem das gehörig aufs Gemüt schlagen. Erst recht, wenn man anders als Herr Biden und Herr Guterres noch nicht im Herbst des Lebens steht, sondern erst ganz am Anfang. Das dürfte ein wesentlicher Grund sein, warum viele Jugendliche heutzutage so pessimistisch in die Zukunft schauen wie seit vielen Jahren nicht mehr – sowohl was den Zustand der Erde anbelangt als auch bezüglich ihrer persönlichen Aussichten.

Eine Schufa-Studie, die unserer Redaktion exklusiv vorliegt, zeigt: Die Mehrheit der jungen Menschen hierzulande hat das Vertrauen in ihre künftige finanzielle Stabilität verloren. Nur noch 49 Prozent der 16- bis 25-Jährigen glauben, dass sie einen gleichwertigen oder besseren Lebensstandard als ihre Eltern erreichen können – der niedrigste Wert seit Beginn der Erhebung.

Die Verunsicherung der Jugend hat Folgen, die weit über individuelle Befindlichkeiten hinausreichen. Meine Kollegin Annika Leister beschreibt hier, wie immer mehr Jugendliche sich auf der Suche nach einfachen Antworten Extremisten zuwenden: Die Grünen sind weg vom Fenster, heute lockt die AfD.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir bereitet diese Entwicklung Sorgen. Auch, weil ich sie durch persönliche Eindrücke bestätigt sehe. Seit 14 Jahren unterrichte ich an einer Berufsschule. In den 2010er Jahren und bis zur Corona-Pandemie begegneten mir dort in jedem Jahrgang bis unter die Haarspitzen motivierte junge Leute. Ihre Lebensfreude ließ das Klassenzimmer förmlich vibrieren. Das hat sich radikal geändert. Wenn ich nun begeistert von meinem Arbeitsalltag erzähle und das spannende Berufsleben ausmale, stoße ich auf skeptische Blicke und bedrückte Stimmung. Die Zukunft sei doch eh "am Arsch", erklärte mir ein Schüler: "Das Klima ist kaputt, Wohnungseigentum ist unbezahlbar, und eine Rente werden wir nie bekommen." Ich hielt das erst für eine zynische Übertreibung, aber beim Nachdenken fand ich nur wenige Gegenargumente.

Nun ist der Tagesanbruch ein Format, das nicht nur Einblicke liefern soll, sondern auch Mut machen kann. Die gestrige Ausgabe zur "Utopie Deutschland" beispielsweise hat zahlreiche entzückte Leserreaktionen ausgelöst. Heute allerdings, dafür entschuldige ich mich aufrichtig, muss ich Sie aus diesem Text nachdenklich entlassen. Wenn die jungen Leute unsere Zukunft sind, diese Jungen aber den Zukunftsglauben verlieren, dann steht es nicht gut um unser Land. Höchste Zeit also, dass ein paar einflussreiche Mutmacher die Stimme erheben und positive Visionen entwerfen, für die man sich begeistern kann.

Einen Lichtblick gibt es nämlich doch: Bei solchen Mutmachern ist es egal, wie alt sie sind. Es können auch fröhliche Senioren sein.


Was steht an?

Joe Biden hat schon geredet, heute ist Wolodymyr Selenskyj dran: Der ukrainische Präsident will vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York Unterstützung für sein leidgeprüftes Land fordern und seine Bereitschaft zu einem gerechten Frieden bekunden. Anschließend sprechen auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock.


Gestern vor den UN, morgen in Berlin: US-Präsident Joe Biden wird zum Ende seiner Amtszeit die deutsche Hauptstadt besuchen. Seit wenigen Stunden steht das Datum fest: Der 10. Oktober soll es sein, anschließend will Biden noch zwei Tage dranhängen. Die Berliner Polizei ist bereits auf Hundertachtzig und bereitet akribische Einsatzpläne für den bestbewachten Mann der Welt vor.


Wie steht es um die deutsche Einheit, 34 Jahre nach der Wiedervereinigung? Der Ostbeauftragte Carsten Schneider stellt heute seinen Jahresbericht vor, den er vielsagend überschrieben hat: "Ost und West – frei, vereint und unvollkommen".


Apropos Ost-West: Bald veröffentlicht Angela Merkel ihre Memoiren. Nachträglich zu ihrem 70. Geburtstag lässt sie sich heute mit einer Feier ehren, in deren Zentrum sie – typisch für die Physikerin – einen wissenschaftlichen Vortrag stellt: Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp spricht über die Zeit der Aufklärung. Titel: "Licht und Dunkel". Der passt auch auf Merkels Regierungszeit.

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So kritisch wie jetzt war die Lage für die FDP noch nie. Wird die liberale Partei noch gebraucht oder kann sie weg? Unser Kolumnist Uwe Vorkötter hat die Antwort.


Ohrenschmaus

Als ich gestern spätabends am Schreibtisch saß, um den Tagesanbruch zu tippen, tönten von der Straße Berliner Szenetöne hoch zu mir in die Schreibstube. Haben mir gefallen. Ihnen auch?


Zum Schluss

Was unterscheidet Habeck von Lindner?

Ich wünsche Ihnen einen kraftstrotzenden Tag. Morgen kommt der Tagesanbruch von unserem Nachrichtenchef Mauritius Kloft, von mir lesen Sie am Freitag wieder.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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