Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Einfach katastrophal
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
in diesen hellen Sommertagen fällt es schwer, in dunkle Gefilde zu blicken. Heute aber muss es sein. 4.000 Kilometer liegen zwischen Deutschland und dem Sudan, eher aber fühlt sich die Entfernung wie 4 Millionen Kilometer an. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich so wenige Europäer für das Schicksal der Menschen im drittgrößten Staat Afrikas interessieren. Nach einem kurzen demokratischen Aufbruch zettelten Milizen dort einen Bürgerkrieg an, seit anderthalb Jahren bekämpfen sich die Armee von Militärherrscher Abdel Fattah al-Burhan und die RSF-Miliz des Warlords Mohammed Hamdan Daglo.
Die Folgen sind brutal: Sie haben eine der ärmsten Weltregionen in eine Katastrophe unfassbaren Ausmaßes gestürzt. Leidtragende sind in erster Linie Zivilisten. Deren Leid ist so himmelschreiend, dass es sich mit Zahlen nur unzureichend wiedergeben lässt. Dabei sind schon die bloßen Zahlen monströs:
- Zehntausende Menschen sind den Vereinten Nationen zufolge bei den Kämpfen getötet worden.
- 10 Millionen Menschen wurden innerhalb des Landes vertrieben – mehr als in jedem anderen Staat der Welt. 2,3 Millionen flohen in Nachbarländer.
- Fast 25 Millionen Sudanesen – die Hälfte der Bevölkerung! – befinden sich in einer kritischen Ernährungslage. Eine Dreiviertelmillion ist akut vom Hungertod bedroht. Viele sterben jetzt gerade, während Sie diese Zeilen lesen. Hilfsorganisationen wie Unicef und die Welthungerhilfe berichten: So eine schlimme Notlage hat es in der Region seit der Darfur-Krise vor 20 Jahren nicht gegeben.
- 14 Millionen Kinder brauchen dringend humanitäre Hilfe – ungefähr so viele Kinder, wie in ganz Deutschland leben: Sie leiden, sie erkranken, sie werden missbraucht oder als Kindersoldaten versklavt.
- 3,7 Millionen Kinder unter fünf Jahren sind akut mangelernährt. Täglich sterben Babys in den Armen ihrer ausgezehrten Mütter. Schulen sind geschlossen, Wege zu Wasserquellen und Hilfsstationen überschwemmt oder von Banditenbanden versperrt.
Es ist ein fürchterliches Elend, und es wird von Tag zu Tag schlimmer. Schuld daran sind nicht nur die rivalisierenden Milizen, die die Bevölkerung terrorisieren. Verschärft und verlängert wird der Konflikt durch ausländische Mächte, die mit den Mörderbanden paktieren, um an die Gold-, Uran- und Ölvorkommen des Sudan zu gelangen und sich Zugänge zu Häfen, Anbauflächen und Handelswegen zu sichern.
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Allen voran Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate: Die Saudis liefern Armeechef Al-Burhan Waffen, die Emiratis rüsten dessen Rivalen Daglo auf; im Gegenzug sichern sie sich Schürfrechte, Zugang zu Minen und militärische Stützpunkte in Ostafrika. Auch die Ägypter, Russen und Chinesen mischen mit. Es ist ein klassischer Stellvertreterkrieg. Die Vereinten Nationen haben zahlreiche Beweise für die skrupellosen Geschäfte gesammelt – doch die Erkenntnisse haben keine Folgen. Denn die Regierungen friedfertig gesinnter Länder in Europa vermeiden es seit Monaten, angemessen auf die Krise im Sudan zu reagieren. Im Gegenteil: Sie schauen weg, denn seit dem Wegfall russischer Lieferungen sind Deutschland und andere EU-Staaten dringend auf Gasimporte aus den arabischen Golfstaaten angewiesen. Deshalb lassen sie das Sterben im Sudan zwischen der Beschäftigung mit der Ukraine und dem Gazastreifen dem globalen Vergessen anheimfallen. Das ist nicht einfach Gleichgültigkeit. Das ist blanker Zynismus.
Heute jedoch eröffnet sich endlich eine Chance, dass sich das ändert, wenigstens ein bisschen: Auf Vermittlung der USA beginnen in der Schweiz Gespräche über eine Waffenruhe im Sudan. Neben den beiden lokalen Konfliktparteien ist auch Saudi-Arabien beteiligt. Die Emirate, Ägypten, die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen sind als Beobachter dabei. Ob das Treffen die schlimmste Krise Afrikas beenden oder wenigstens lindern kann? Nicht ausgemacht. Aber wenigstens einen Funken Hoffnung, den gibt es jetzt.
Sie möchten die Notleidenden im Sudan unterstützen? Mehrere Hilfsorganisationen sind vor Ort, bitten dringend um Spenden und garantieren, dass das Geld vor Ort bei den Menschen ankommt. Schauen Sie mal hier oder hier oder hier.
Einigung im Ampelhickhack?
Es ist mal wieder ein Schauspiel nach Ampel-Art: Erst lässt Finanzminister Christian Lindner den in einem Verhandlungsmarathon mühsam erzielten Haushaltskompromiss von Experten überprüfen und kommt zu dem Schluss, dass ein paar milliardenschwere Buchungstricks wohl nicht verfassungskonform seien. Dann meldet sich SPD-Chefin Saskia Esken zu Wort und wirft dem FDP-Ressortchef "unanständiges" Verhalten und parteipolitisches Kalkül vor. Prompt deutet Kanzler Olaf Scholz die Lindnerschen Gutachten ganz anders, nämlich zu seinen Gunsten. Und schließlich bringen die Liberalen noch eine Kürzung des Bürgergelds ins Spiel, von der sie wissen, dass SPD und Grüne sie auf gar keinen Fall mittragen werden. Blicken Sie da noch durch? Dann haben Sie einen IQ von 130.
Nun aber sollte allmählich Schluss sein mit dem chaotischen Hauen und Stechen, wenn die Koalitionäre im Zeitplan bleiben wollen: Der sieht nämlich vor, dass die Bundesregierung übermorgen ihr Haushaltsgesetz an Bundesrat und Bundestag übermittelt, wofür das Kabinett heute die Änderungen beschließen müsste. Wir dürfen gespannt sein, wie die Herrschaften die Finanzierungslücken Schuldenbremsen-kompatibel zu schließen gedenken.
Kampf gegen die Teufelsdroge
Es ist der bislang größte Captagon-Fall auf deutschem Boden: Im vergangenen Herbst entdeckten Zollfahnder in einem Garagenkomplex bei Aachen ein Lager mit mehr als zwei Millionen Amphetamin-Tabletten, versteckt in Sandsäcken und einem Koffer. Geschätzter Straßenverkaufswert: rund 60 Millionen Euro. Die auch als "Kokain für Arme" bekannte Droge wird vom syrischen Mafiaregime des Assad-Clans hergestellt und als Aufputschmittel von Terroristen ebenso wie von Partygängern konsumiert. Auch die Hamas-Killer, die am 7. Oktober 2023 Hunderte Israelis ermordeten, und die Attentäter, die 2015 im Pariser Musikclub "Bataclan" ein Massaker anrichteten, sollen vorher Captagon geschluckt haben: Die Droge wirkt euphorisierend, schaltet Mitgefühl und Schmerz aus. Der Sippe des syrischen Diktators dient dieses Teufelszeug nach dem jahrelangen Bürgerkrieg als einzige Einnahmequelle; sie überschwemmt den Nahen Osten damit. Weil die Golfstaaten deshalb Importe aus Syrien gestoppt haben, versuchen die Dealer die Pillen über den Umweg deutscher Häfen nach Arabien zu schmuggeln. Hin und wieder entdeckt der notorisch unterfinanzierte deutsche Zoll ein paar Lieferungen und schnappt gelegentlich auch den einen oder anderen Dealer.
Deshalb beginnt heute am Landgericht Aachen der Prozess gegen mehrere Drogenhändler, die die Pillen mutmaßlich nach Saudi-Arabien, Katar, Bahrain und Australien schmuggeln wollten: Tatverdächtig sind vier Syrer mit Wohnsitzen in Aachen, Alsdorf und Wien. Bei einer Verurteilung wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge drohen ihnen bis zu 15 Jahre Haft. Schön und gut, aber diese Leute hätten doch niemals Aufenthalt in Deutschland finden dürfen. Einmal mehr zeigt sich, wie verkorkst die deutsche Asylpolitik seit Jahren ist.
Ohrenschmaus
Die erste Musik-CD, die ich in Händen hielt, gehörte einem Freund. Er offenbarte mir seinen Schatz anno 1985 in seinem Jugendzimmer unter einem Stuttgarter Giebeldach. Auf dem schwarz-weißen Cover prangte eine Collage junger Typen. Die wurden dank der Scheibe weltberühmt, und mich lässt ihre rhythmische Popmusik mit sanften schottischen Untertönen seither nicht mehr los. Das Beste aber ist: Zwar sind die Jungs mittlerweile Opis, aber tolle Musik machen sie immer noch.
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Zum Schluss
Und was machen die Ampelleute in diesen Sommertagen?
Ich wünsche Ihnen heute ein bisschen Abkühlung ohne allzu viel Donner.
Herzliche Grüße und bis morgen
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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