Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Er zündelt schon wieder
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
es kommt selten vor, dass Regionen eines Staates ein anderes Land um Hilfe bitten. Anders bei Russland: Das Land wird regelmäßig um Schutz gebeten, wenn angeblich irgendwo russische Minderheiten bedroht sind. Das war etwa im Osten der Ukraine der Fall, in Georgien – und nun in Transnistrien. Die kleine selbsterklärte Republik sendete gestern einen Hilferuf gen Moskau: Die Republik Moldau setze die Region unter Druck, der Kreml müsse Maßnahmen ergreifen. Und das nur einen Tag, bevor Kremlchef Wladimir Putin heute seine Rede an die Nation halten will. Zufälle gibts.
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Wäre es nicht so ernst, könnte man über diese Masche lachen. Immer wieder spult Putin dieselbe Geschichte ab, die so lautet: Russischsprachige Menschen seien im Ausland bedroht. Beweise bleiben Putin und die russischen Minderheiten der Öffentlichkeit dabei schuldig, aber das ist eigentlich auch egal – denn kritische Nachfragen duldet der Kremlchef ohnehin nicht.
Überraschend ist dieser wohlorchestrierte "Hilferuf" aus Transnistrien nicht. Putin zündelt in dieser Region Moldaus schon seit Jahren. Der Hintergrund: Als die Sowjetunion Anfang der 1990er zerfiel, spaltete sich die Republik Moldau ab. Es entbrannte ein Unabhängigkeitskrieg zwischen moldauischen und prorussischen Kräften. Schließlich griff die russische Armee ein: Transnistrien erklärte sich in diesem Zuge für unabhängig, was bislang weder Moldau noch ein anderer Staat auf der Welt anerkannt hat. Ein Teil der russischen Soldaten blieb und die Region wird bis heute prorussisch regiert.
Dieser Konflikt war lange eingefroren, gewann aber nach der russischen Invasion in die Ukraine deutlich an Brisanz. Und es ist wohl vor allem der Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Armee zu verdanken, dass die Lage in Transnistrien nicht längst eskaliert ist. Denn ein Ziel Putins war es, die komplette südliche Ukraine zu besetzen. Die russische Armee wäre in dem Fall direkt an die Grenze zu Transnistrien gelangt, hätte dann die Möglichkeit gehabt, schweres Gerät und Personal in die Region zu bringen.
Doch so weit kam es nicht. Die russische Armee scheiterte an dem Versuch, die ukrainische Hafenstadt Odessa und Umgebung einzunehmen und ist im Laufe des Krieges auf die südliche Seite des Flusses Dnipro zurückgedrängt worden. Nun sorgt die ukrainische Armee mithilfe westlicher Raketen dafür, dass russische Kriegsschiffe um diese Ecke des Schwarzen Meeres einen großen Bogen machen müssen.
Was also folgt nun auf den "Hilferuf" aus Transnistrien? Verkündet Putin in seiner Rede an die Nation heute eine Annexion, der irgendwann in der Zukunft ein militärisches Einschreiten folgen wird? Möglich ist das, es passt auch in die russischen Großreichsfantasien. Doch es ist auch davon abhängig, wie sich die Lage in der Ukraine entwickelt: Je mehr das Land gegen Russland ins Hintertreffen gerät, desto wahrscheinlicher wird eine Eskalation in Moldau. Für den Moment ist aber naheliegender, dass Putin die Bitten aus Transnistrien für innenpolitische Zwecke ausschlachten wird.
Denn in Russland steht Mitte März die Präsidentschaftswahl an. Dass Putin gewinnen wird, steht außer Frage. Doch will er möglichst stark aus dieser Wahl gehen, die Chance nutzen, um die Bevölkerung, und vor allem die nationalistischen Strömungen, hinter sich zu versammeln. Und was passt da besser als ein neues Kapitel in der Erzählung, die Russen und ihre Identität seien bedroht und bräuchten Schutz?
Ein heilloses Durcheinander
Kennen Sie dieses Gefühl am Morgen, wenn man einen dieser Träume hatte, auf die man lieber verzichtet hätte? Dass man auf etwas zurennt, aber trotzdem nie an das Ziel gelangt?
So oder so ähnlich verhält es sich derzeit mit der Flüchtlingspolitik der Ampel. Das ist nicht per se als Vorwurf zu verstehen. Denn neidisch auf diejenigen, die derzeit Lösungen finden sollen und müssen, ist wohl niemand. Schaut man auf die Meinungsumfragen, verlangt ein großer Teil der Deutschen schnelle Resultate. Klar, die Menschen haben in ihrem Umfeld in den vergangenen Monaten all die Probleme zu spüren bekommen: Massenunterkünfte, teilweise in Turnhallen, überforderte Lehrer, die neben dem Alltag auch noch die Integration managen sollen, Neuankömmlinge, die vor den Unterkünften und rundherum den Tag verbringen, weil sie nicht direkt in Sprach- und Integrationskurse kommen.
Doch Maßnahmen, die schnell zu Resultaten führen, sind in diesem Feld rar. Unterbringungen lassen sich nicht mal eben aus dem Hut zaubern, ebenso wenig Übersetzer und Integrationshelfer. Es fällt den Kommunen auf die Füße, dass viele Strukturen nach den Krisenjahren 2015 und 2016 zurückgebaut wurden – auch, weil die Bundesregierung damals keine nachhaltige Strategie dafür entwarf.
Ein weiterer erschwerender Faktor ist die Masse an Akteuren, die mitmischt. Allein in der Politik: Die Kommunen kümmern sich vor Ort um Unterbringung und Integration, die Finanzierung liegt originär bei den Ländern, auch wenn der Bund unter die Arme greift. Letzterer wiederum setzt die Leitplanken für die politische Linie, allerdings auch nur begrenzt, denn die großen Entscheidungen spielen sich auf europäischer Ebene ab. Erschwerend kommt hinzu: Die Parteien der Ampelkoalitionen haben ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, wie sie das Problem managen wollen. Beispiel Bezahlkarte. Die Länder wollen eine bundespolitische Regelung, damit das Konzept später rechtssicherer ist. SPD und FDP wollen das auch, die Grünen aber nicht. Ein heilloses Durcheinander.
Mitten in diese Großgemengelage ist nun ein Landrat aus Thüringen geplatzt. Christian Herrgott heißt der Mann, der sich erst im Januar in einer äußerst knappen Wahl gegen einen AfD-Kandidaten im Saale-Orla-Kreis durchgesetzt hat. Als erster Landrat will er nun ein Gesetz nutzen, das bislang nicht zur Anwendung kam: Asylbewerber in dem Kreis sollen gemeinnützige Arbeiten erledigen, vier Stunden am Tag für 80 Cent pro Stunde. Wer sich weigert, soll sanktioniert werden, bis zu 180 Euro will der Landrat den Asylbewerbern dann abziehen. Das solle nicht nur für eine bessere Integration, sondern auch für mehr Akzeptanz in der Bevölkerung sorgen.
Ist das eine dieser einfachen Lösungen, nach denen händeringend gesucht wird? Herrgott selbst sagte der "Bild": "Meine Sozialarbeiter sagen mir, dass diejenigen, die man bereits verpflichtet hat, schon nachfragen, ob sie nicht auch richtig arbeiten gehen könnten. Unsere Maßnahme sorgt für Bewegung." Auch die generelle Unterstützung von weiter oben hat der CDU-Mann Herrgott. Scholz hatte schon im Herbst die Kommunen dazu aufgerufen, von diesem Artikel 5 des Asylbewerberleistungsgesetzes Gebrauch zu machen.
Doch erregt der Vorstoß auch Kritik. Da ist einerseits der Vorwurf, Herrgott kopiere von der AfD und betrüge nun die Wähler von der linken Seite, die ihn gewählt haben, um den AfD-Kandidaten zu verhindern. Allerdings hatte Herrgott bereits im Wahlkampf betont, dieses Gesetz umsetzen zu wollen. Vor allem grüne und linke Politiker kritisieren außerdem, die Entschädigung von 80 Cent sei ein Hohn und dränge Asylbewerber an den Rand der Gesellschaft.
Dafür allerdings kann Herrgott nichts – das Bundesgesetz sieht diese mickrige Entschädigung vor. Ein weiterer Kritikpunkt: Die Geflüchteten sollten lieber direkt in reguläre Arbeit, das wäre der Integration zuträglicher. Doch auch hier sind Herrgott die Hände gebunden. Denn Asylbewerber sind bundesweit mit einem Arbeitsverbot von drei bis neun Monaten belegt, abhängig von verschiedenen Faktoren.
Ein anderer Kritikpunkt aber ist gewichtiger und könnte das Vorhaben rechtlich stoppen. Denn das Bundesverfassungsgericht ist in einem Punkt sehr klar: Die in der Verfassung verbriefte Menschenwürde ist mit dem Existenzminimum verknüpft – und das steht jedem in Deutschland zu. Wer nun also einem Asylbewerber von 460 Euro Regelsatz 180 Euro abzieht, der landet weit unter der Grenze, sagte mir der Asylrechtsanwalt Matthias Lehnert gestern. Die Konsequenz könnte sein, so Lehnert, dass der betroffene Asylbewerber Widerspruch und möglicherweise eine Klage einlegt, die bis zum Verfassungsgericht weitergereicht werden könnte. Zwar sei der Ausgang eines solchen, derzeit hypothetischen, Verfahrens schwer zu prognostizieren, Lehnert aber sieht zumindest eine gute Chance, dass der Asylbewerber in dem Fall recht bekommt. Er plädiert, wie auch andere Experten, dass stattdessen das Arbeitsverbot gekippt wird.
Rechtlich also steht die Sanktionierung zumindest auf wackeligen Füßen. Und ein solches Urteil könnte etwaige Erfolge in den Schatten stellen.
So umstritten die Maßnahme Herrgotts auch sein mag: Sie zeigt auf, wie wenig Spielraum Kommunen in der derzeitigen Situation haben. Dabei sind ihre Vertreter die ersten, die für die Probleme vor Ort den Kopf hinhalten müssen.
Mehr dazu hören Sie übrigens in unserer Podcast-Diskussion am Samstag mit Landrat Christian Herrgott.
RAF-Wahnsinn in Berlin
Wissen Sie, was es kostet, ein Doppelleben zu führen? Schlappe 500 Euro im Monat. Dafür gibt es neue Online-Identitäten, falsche Dienstreisen oder Familienmitglieder, berichtet Stefan Eiben, Chef der Alibi-Agentur, meiner Kollegin Simone Rafael. Einen solchen Rundumservice allerdings bietet Eiben natürlich nur für legale Anliegen an. Deutlich komplizierter wird es also wohl, wenn man sich dauerhaft vor den Strafverfolgungsbehörden verstecken will. So wie Daniela Klette. 30 Jahre lebte die ehemalige RAF-Terroristin im Verborgenen, bevor Fahnder sie am Dienstag festnahmen. Wie sie das geschafft hat? Das kann wohl sie nur selbst erzählen.
Offensichtlich aber ist, dass Klette und die RAF auch nach so vielen Jahren noch Unterstützer haben. So sprach der "Tagesspiegel" etwa mit einem Nachbarn Klettes, der sich als Sympathisant entpuppte und sich mit der Parole "Rotfront" verabschiedete. Auf den Straßen des Berliner Stadtteils Kreuzberg tauchten Plakate auf, auf denen Klette viel Kraft, und ihren zwei weiter flüchtigen Kompagnons Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg viel Glück gewünscht wird. Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project (CEP) sagte dazu den Zeitungen der Ippen-Gruppe, es sei kein Zufall, dass sich Klette so lange in Kreuzberg verstecken konnte. "In Berlin gibt es eine große und sehr aktive linksextremistische Szene. Die RAF-Leute sind für viele in diesem Milieu immer noch Helden."
Auch wenn das vielleicht nicht überraschend ist – erschreckend ist diese Glorifizierung von Gewalt und Gesinnungsterrorismus dennoch. Man mag sich kaum vorstellen, wie sich Betroffene der RAF-Taten und deren Angehörigen fühlen, wenn sie so etwas lesen und sehen müssen.
Ohrenschmaus
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Zu guter Letzt
Kommen Sie gut durch den Donnerstag. Morgen schreibt Ihnen wieder Florian Harms.
Camilla Kohrs
Stellvertretende Politikchefin
Twitter: @cckohrs
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Mit Material von dpa.
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