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Der Ukrainekrieg wird zum Risiko für Deutschland


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Tagesanbruch
Putin setzt alles auf Sieg

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 13.02.2024Lesedauer: 5 Min.
Russischer Panzer im Einsatz (Archivbild): Ukrainische Soldaten könnten an Schwachstellen überrascht werden, schreibt das ISW.Vergrößern des Bildes
Russischer Panzer im Einsatz. (Quelle: IMAGO/Russian Defence Ministry)
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Es beginnt mit Trommelfeuer: Artilleriekanonen feuern pausenlos aus vollen Rohren. Dann springen Soldaten aus ihren Gräben und rennen schießend auf die gegnerischen Stellungen zu. Meist sind es schlecht ausgebildete Rekruten, erst vor Wochen oder Tagen an die Front geschickt. Aber es sind viele, deshalb zieht sich der Kampf Mann gegen Mann stundenlang hin. Wenn die Gegner erschöpft sind, kommt die zweite Welle: Spezialeinheiten rücken vor, steigen über die Leichen ihrer Kameraden und kämpfen sich Meter um Meter voran. Über ihren Köpfen surren Drohnen, um die Aufklärung des Gegners zu stören und Sprengsätze in deren Unterstände zu werfen. So geht es Tag für Tag und Woche für Woche: Im Osten der Ukraine tobt ein brutaler Abnutzungskrieg, der nur Verlierer kennt.

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Moment, nur Verlierer? Das stimmt nicht ganz. Oder eher: nicht mehr. Noch im Herbst erschienen die Ukrainer den Russen ebenbürtig zu sein; kontinuierlich rollten westliche Waffentransporte über Polen ins Land. Sogar eine Großoffensive zur Rückeroberung der verlorenen Gebiete hatte der ukrainische Oberbefehlshaber begonnen.

Tempi passati. Mittlerweile hat sich das Blatt mit einer Deutlichkeit gewendet, die jeden freiheitsliebenden Europäer beunruhigen muss. Putins Truppen rücken vor, nach der eingangs geschilderten Taktik: Richtung Kupjansk im Norden der Front und Richtung Awdijiwka nahe Bachmut; bei Robotyne im Süden machen sie ebenfalls Boden gut – unter immensen Verlusten zwar, aber zunehmend erfolgreich. Eine halbe Million russische Soldaten kämpft mittlerweile in der Ukraine, mehr als doppelt so viele wie zu Beginn des Angriffskrieges vor zwei Jahren. Der Kreml hat auf Kriegswirtschaft umgestellt und setzt alles auf den Sieg; koste es, was es wolle.

Auch an den internationalen Fronten hat sich die Lage für Putin zum Besseren gewendet. Die Iraner, Nordkoreaner und Chinesen liefern ihm tonnenweise Militärmaterial: Drohnen, Chips und Munition. "In diesem Krieg ist Russland dabei, einen Vorteil zu erlangen", warnt ein europäischer Geheimdienstchef. Die amerikanische Waffenhilfe für Kiew hingegen ist versiegt, seit Präsidentschaftsbewerber Donald Trump den US-Kongress als Wahlkampfgeisel genommen hat. Die EU-Staaten haben ihr vollmundiges Versprechen, bis März eine Million Artilleriegranaten zu liefern, kleinlaut kassiert: Sie kommen mit der Produktion nicht schnell genug voran. Die Regierungen in Paris, Rom und Madrid zeigen ohnehin kein Interesse, ihre überschaubare Unterstützung aufzustocken. Deutschland liefert zwar viel, kann den Mangel aber nicht ansatzweise ausgleichen. So fehlt es den Ukrainern an allem: Munition, Drohnen, Panzern, Soldaten. Und in Brüssel verhallen die immer dringlicheren Warnungen des Nato-Generalsekretärs vor einer russischen Attacke auf die Bündnisstaaten.

Moment, auch das stimmt nicht ganz, mittlerweile tut sich etwas, zumindest zaghaft. Nachdem sie sich monatelang den Wunschträumen von einem ukrainischen Sieg hingegeben hatten, sind europäische Entscheidungsträger angesichts des russischen Vormarschs aufgeschreckt, zumindest in Berlin. Außenpolitiker von CDU, SPD, Grünen und FDP warnen nun vor dem Offensichtlichen: Ein deutscher Staat mit einer kaputtgesparten Armee und ohne den Schutz der Amerikaner ist ein akutes Sicherheitsrisiko für 83 Millionen Bundesbürger.

Nun werden düstere Szenarien an die Wand gemalt: Was, wenn Trump im November die Wahl gewinnt und Putin wissen lässt, dass er die Europäer wirklich nicht verteidigen will – so, wie er es jüngst bei einem Wahlkampfauftritt hinausposaunt hat? Dann könne man die Uhr danach stellen, dass Putin an der russischen Grenze zu Estland, Lettland, Litauen oder Polen ein Scharmützel beginnt, um die Abwehrbereitschaft der Nato-Truppen zu testen. Und wenn dann keine harte Gegenwehr erfolgt …? Tja, dann …

Dann ist das der Punkt, an dem die Szenarienmaler aus Politik, Diplomatie und Militär ins Schwimmen kommen. Würde Putin wirklich so weit gehen, in Nato-Staaten einzumarschieren? Die Antwort kennt niemand, aber schon die schiere Möglichkeit eines Ja kann Millionen Europäer verunsichern. Und wo Verunsicherung um sich greift, werden Menschen schwach, können selbst stabile Staaten in Unruhe geraten.

Das Problem ist: Es folgt nichts aus dieser Erkenntnis. Oder viel zu wenig. Wenn die russische Armee laut übereinstimmenden Berichten der westlichen Nachrichtendienste über fünfmal mehr Munition verfügt als die ukrainischen Verteidiger – müssten die Regierungschefs der EU-Staaten dann nicht Tag und Nacht darüber nachsinnen, wo sie noch mehr Artilleriemunition kaufen können, gegebenenfalls auch durch einen Ringtausch? Müssten sie nicht die Waffenproduktion noch viel stärker hochfahren, in einem gemeinsamen europäischen Kraftakt? Müssten sie nicht endlich eine gemeinsame europäische Armee auf die Beine stellen, statt sich in nationalen Eifersüchteleien zu verheddern? Müssten sie nicht militärische Schutzzonen in der Westukraine einrichten und den Bunkerbau finanzieren, weil Militärbeobachter bei einem erneuten russischen Vormarsch auf Kiew mit weiteren zehn Millionen Flüchtlingen rechnen, die Richtung Polen und Deutschland fliehen?

Man kann alle diese Fragen mit Nein beantworten, wenn man Optimist ist und darauf vertraut, dass Trump verliert und Putin nicht bis zum Äußersten geht. Realisten hingegen sehen der Gefahr ins Auge. Und handeln.


Hart gegen Hass

Die Sorge vor dem Erstarken der AfD treibt Hunderttausende auf die Straßen – nun reagiert Nancy Faeser auf das Potsdamer Treffen von AfD-Leuten, Neonazis und Unternehmern: Die Bundesinnenministerin will die Finanzströme in rechtsextremistischen Netzwerken besser ausforschen lassen – und dafür das Bundesverfassungsschutzgesetz ändern, denn bisher sind solche Ermittlungen auf volksverhetzende und gewaltorientierte Bestrebungen beschränkt. Die Befugnisse sollen erweitert, die Verfahren beschleunigt werden. Gemeinsam mit Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang und BKA-Chef Holger Münch erläutert Frau Faeser ihre Ideen heute Vormittag. Anschließend stellt Familienministerin Lisa Paus die Ergebnisse einer Studie über Hetze in den "sozialen" Medien vor. Die Hassschleudern der Demokratiefeinde sind von den Behörden viel zu lang toleriert worden.

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Das historische Bild

Beim alliierten Bombenangriff auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945 kamen bis zu 25.000 Menschen ums Leben. Mit einer Menschenkette wollen Bürger heute ein Zeichen setzen: für Frieden und Demokratie – und gegen Versuche der AfD, den Jahrestag für ihre Hetze zu missbrauchen. Warum die Erinnerung an das Inferno bis heute mit Lügen verbunden ist, erklärt der Historiker Dietmar Süß im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke.


Lesetipps

Die Rüstungsschmiede Rheinmetall baut in der Lüneburger Heide eine neue Munitionsfabrik. Unser Reporter Daniel Mützel hat sich beim Kanzlerbesuch vor Ort angesehen, ob der Betrieb schnell genug anlaufen kann.


Warum bekommt die AfD unter jungen Menschen immer mehr Anhänger? Die Kollegen des ZDF haben einen beunruhigenden Grund gefunden.


Der Berliner FDP-Politiker Lars Lindemann verliert nach der Teilwiederholung der Bundestagswahl seinen Sitz im Parlament. Im Gespräch mit meinem Kollegen Florian Schmidt erklärt er, warum er nie wieder ein Bündnis mit den Grünen eingehen will.


Nach Corona und Grippe verbreitet sich das nächste hoch ansteckende Virus. Meine Kollegin Melanie Rannow erklärt Ihnen, was dahintersteckt.


Ohrenschmaus

Mamma mia, wie die Zeit vergeht! Heute wird Robbie Williams auch schon fünfzig. Gut, dass seine schönsten Songs ewige Jugend versprechen.


Zum Schluss

Die fünfte Jahreszeit hat ihre Tücken.

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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