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Deutschland in der Krise: Nur Mut, Kanzler Scholz, greifen Sie zu!


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Tagesanbruch
Dann spielt Deutschland keine Rolle mehr


Aktualisiert am 14.09.2023Lesedauer: 5 Min.
Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz: Der Kanzler hält weiteren Streit in der Ampelkoalition für kontraproduktiv.Vergrößern des Bildes
Bundeskanzler Olaf Scholz (r., SPD) neben Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP): Deutschlands Unternehmen drohen abgehängt zu werden. (Quelle: Florian Gaertner/imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

ob Christine Lagarde heute wohl Kleingeld dabei hat? Gut gebrauchen könnte sie es. Kommt der Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank Analysten zufolge doch einem Münzwurf gleich. Selten war die Unsicherheit so groß: Soll die EZB die Leitzinsen so lassen, wie sie sind oder sie noch mal um 0,25 Prozentpunkte erhöhen? Ist man dem Ziel der Preisstabilität schon nah genug oder braucht es eine noch straffere Geldpolitik – trotz bereits einsetzender Rezession in Europa?

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Vor allem in Deutschland zeigt sich die Kehrseite des Kampfs gegen die Inflation. Die höheren Zinsen würgen die Wirtschaft ab, Unternehmen investieren weniger, das Wachstum bleibt aus. Mehrere führende Wirtschaftsforschungsinstitute sehen das Land auf Schrumpfkurs, in nahezu allen Branchen herrscht Flaute. Dabei braucht es gerade jetzt mehr Investitionen denn je – egal, wie die EZB entscheidet. Denn Deutschland steht vor der größten Transformation der Industriegeschichte.

Hinzu kommt: Ausgerechnet in dieser Phase halten es Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner "für das Wichtigste, keine neuen Schulden zu machen", wie die Kollegen des "Spiegel" schreiben. Oder zumindest nicht allzu viele. 16,6 Milliarden Euro neue Schulden will die Bundesregierung aufnehmen, das sind etwa 30 Milliarden Euro weniger als 2022. Entsprechend mickrig soll auch ein Instrument ausfallen, das immerhin ein, zwei vielversprechende Maßnahmen enthält: das Wachstumschancengesetz.

7 Milliarden Euro soll es in diesem Jahr umfassen. Zum Vergleich: Die USA nehmen für ihren Inflation Reduction Act, der insbesondere Anreize für grüne Technologien setzt, 1,2 Billionen Dollar in die Hand. Der deutsche Weg sei wie "mit einer Wasserpistole gegen Godzilla" anzulaufen, lästerte kürzlich Christian Kullmann, Vorstandschef des Chemieriesen Evonik, im ARD-Talk "Hart aber fair". Dabei könnte man auf eine Waffe zugreifen, die deutlich mehr Power hat: den Scholz'schen Doppel-Wumms, in der Corona-Pandemie auch bekannt als Bazooka.

Offiziell heißt das Konstrukt anders: Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Doch das klang wohl selbst dem Worthülsenakrobaten Scholz zu sperrig. Den einstigen Fonds für Corona-Hilfsmaßnahmen hatte die Bundesregierung in der Energiekrise reaktiviert und mit 200 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen ausgestattet. Doch weil die Preise für Strom und Gas inzwischen wieder stark gesunken sind, sind davon noch satte 150 Milliarden Euro übrig. Man könnte auch sagen: Die Bazooka liegt ungenutzt im Schrank.

"Dieses Geld wäre gut angelegt, wenn man es jetzt nutzt für mittelfristige Investitionen, um strukturelle Probleme in den Griff zu kriegen", sagte Jens Südekum, Professor für International Economics an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, im Politikpodcast "Lage der Nation". Mangelnde Digitalisierung beispielsweise, die vor allem kleine und mittelständische Unternehmen im internationalen Vergleich zurückwerfe. Es brauche jetzt "eine echte Investitionsagenda", bei der "richtig Geld auf den Tisch gelegt wird". Geschieht das nicht, spielt Deutschland nach Ansicht des Ökonomen wirtschaftlich bald keine Rolle mehr.

Die Sorge ist nicht unbegründet: Jetzt ist die Zeit, in der die Weichen dafür gestellt werden, wer Weltmarktführer in den Branchen der Zukunft wird. Siedeln sich Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen in Deutschland an oder gelingt es den bereits ansässigen Firmen, sich grün und digital zu wandeln, geht es auch mit dem Wachstum wieder bergauf. Die Klimaziele zu erreichen, ist nicht nur aus ökologischen Gründen geboten. Es ist auch nötig, um ökonomisch an der Spitze zu bleiben.

Ein sinnvoller Hebel könnte die im Wachstumschancengesetz enthaltene Investitionsprämie sein. Sie sieht vor, dass Unternehmen für bis zu 50 Prozent ihrer Investitionen eine Steuergutschrift bekommen – vorausgesetzt, sie investieren in klimafreundliche Technologien. Die Prämie ist smart, weil sie zielgenau die nötige Transformation unterstützt und kein Geld an Unternehmen ausschüttet, die bloß den Status quo konservieren wollen. Sie hat nur eben ein Problem: Sie müsste vier- bis fünfmal so groß sein, um ausreichend zu wirken.

Das sehen auch Teile der Ampelkoalition so. Die Grünen wollen die Investitionsprämie ausweiten, mit Geld aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Sie haben dabei vor allem die schwächelnde Bauwirtschaft im Blick, die besonders unter den gestiegenen Kosten und höheren Zinsen leidet und damit auch die Probleme anderer Branchen antreibt. Allein: Finanzminister Lindner möchte die Doppel-Wumms-Milliarden nicht umwidmen.

Bahnt sich hier der nächste große Zank zwischen Grünen und FDP an? Der Kanzler stellt sich zumindest bei der Frage, ob der Staat Geld für einen günstigeren Industriestrompreis ausgeben sollte, an die Seite der Liberalen. Seine Antwort: nein. Ob das auch für andere Hilfen gilt, die den Standort Deutschland attraktiver machen könnten, ist unklar. Seine "Deutschland-Pakt"-Rede war jedenfalls mehr Problemdiagnose als Lösungsentwurf, mehr Appell an die Opposition als eigenes Vorangehen. Dabei wäre genau das jetzt angezeigt. Und das Geld dafür sogar da. Nur Mut, Kanzler, greifen Sie zu!


Was steht an?

Annalena Baerbock reist weiter durch die USA – heute ist die Außenministerin zu Gast in Washington. Mit ihrem Amtskollegen Antony Blinken will sie unter anderem darüber reden, wie sich die Ukraine weiter gemeinsam unterstützen lässt.


Werden im Herbst wieder die Arzneimittel für Kinder knapp? Gesundheitsminister Karl Lauterbach äußert sich in Berlin zur Versorgungslage. Der Bundestag hatte im Juni ein Gesetz gegen Lieferengpässe beschlossen, das die Preisregeln für Kindermedikamente lockert.


Nicht erschrecken: Heute ist bundesweiter Warntag. Um 11 Uhr löst das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe einen Probealarm aus. Dabei schrillt und heult es auf allen Kanälen – auf Ihrem Smartphone genauso wie in der Stadt über Sirenen. Was das Ganze soll, lesen Sie hier.


Ohrenschmaus

Dieser Streit nimmt kein Ende: Der Bundesgerichtshof entscheidet heute einmal mehr über eine Klage der Elektropop-Pioniere Kraftwerk. Bereits 1999 zogen die Düsseldorfer gegen den Produzenten Moses Pelham vor Gericht, da dieser eine zweisekündige Tonspur aus ihrem Song "Metall auf Metall" ungefragt gesampelt hatte. Sie findet sich leicht verlangsamt im Track "Nur mir" von Sabrina Setlur. Hören Sie sie raus?

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Das historische Bild

Es ist eines der berühmtesten Fotos des 20. Jahrhunderts: ein Arbeiter, der einem anderen das Leben rettet. Hier erfahren Sie die Geschichte.


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Länger arbeiten? Bloß nicht. Viele Deutsche gehen sogar früher in Rente, als sie eigentlich sollten. Damit entgeht ihnen viel Geld, schreibt mein Kollege Florian Schmidt.


Lange setzte der Westen Vertrauen in Russland und China. Nun umwirbt er neue Partner – Indien zum Beispiel. Doch dabei sollte Vorsicht geboten sein, rät der Indologe Oliver Schulz im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke.


Nach dem leidenschaftlichen Auftritt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Frankreich fordern viele: Rudi Völler soll Bundestrainer bleiben! Mein Kollege Noah Platschko hält dagegen.


Zum Schluss

Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde.

Ich hoffe, Sie haben angenehmere Rückendeckung. Kommen Sie gut durch den Tag! Morgen schreibt wieder Florian Harms für Sie.

Herzliche Grüße

Ihre

Christine Holthoff
Redakteurin Finanzen
Twitter: @c_holthoff

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Mit Material von dpa.

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