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Nord-Stream-Explosionen: Spuren in die Ukraine? Vorsicht vor Stiller Post!


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  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 09.03.2023Lesedauer: 6 Min.
Gasblasen steigen aus einem Nord Stream 2-Leck auf (Archivbild): Wer hat die Pipeline gesprengt?Vergrößern des Bildes
Gasblasen steigen aus einem Nord Stream 2-Leck auf (Archivbild): Wer hat die Pipeline gesprengt? (Quelle: Danish Defence Command/reuters)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

kennen Sie das Spiel Stille Post? Dabei wird eine Nachricht von Ohr zu Ohr weitergeflüstert – und am Ende kommt ein Ergebnis heraus, das mit der ursprünglichen Botschaft nicht mehr viel zu tun hat. Je komplexer die Botschaft, desto wahrscheinlicher ist ein Missverständnis. Denn neben unserem Gehör beeinflussen unter anderem unsere Einstellung, unsere Erfahrung und unsere Wünsche, was wir verstehen und weitergeben.

Ganz ähnlich läuft es in heißen Nachrichtenlagen, in Zeiten also, in denen wichtige Neuigkeiten in sehr kurzer Zeit übermittelt werden. Da kann sogar bei etablierten Medien einiges schiefgehen, von den Interpretationen in den sozialen Medien oder am Stammtisch, wo viele komplett frei drehen, ganz abgesehen.

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Gut beobachten konnte man so einen Fall am Dienstagabend. Da berichteten sowohl die US-amerikanische "New York Times" als auch in einer gemeinsamen Recherche ARD, SWR und die "Zeit" über neue Vermutungen, wer Ende September 2022 die Nord-Stream-Pipelines sabotiert hat.

Zur Erinnerung: Damals wurden von Unbekannten drei der vier Stränge der Nord-Stream-Pipelines von Russland nach Deutschland durch Sprengungen auf dem Grund der Ostsee beschädigt. Ein hochkomplexer und aufwendiger Anschlag, der bis heute viele Fragen aufwirft und Spekulationen auch über die Beteiligung staatlicher Akteure nährt.

Nach Monaten, in denen die Behörden mehrerer Länder ermittelten, aber keine Erkenntnisse veröffentlichten, folgten am Dienstag also endlich Neuigkeiten. Die "New York Times" berichtete unter Berufung auf Aussagen US-amerikanischer Offizieller, Geheimdienstinformationen deuteten darauf hin, dass eine pro-ukrainische Gruppe die Anschläge verübt haben könnte.

Bemerkenswert ist, dass die "New York Times" sowohl in Überschrift als auch in der Meldung sehr vorsichtig blieb. Die Zeitung scheint nicht selbst über die entsprechenden Geheimdienstinformationen zu verfügen, sondern beruft sich lediglich auf Aussagen von Menschen, die diese eingesehen und überprüft haben sollen und anonym bleiben wollen. Auch zum Auftraggeber des Anschlags und zur Nationalität der Täter legt sich die "New York Times" nicht fest.

Ähnlich bei den deutschen Medien: Sie berichten, dass es Geheimdienstberichte "gegeben haben soll", die auf eine pro-ukrainische Gruppe hindeuten. Das Boot, das beim Anschlag genutzt worden sein soll, sei von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet worden, die sich "offenbar" im Besitz von zwei Ukrainern befinde. Aber: Ermittlern zufolge sollen die Anschläge von fünf Männern und einer Frau durchgeführt worden sein, deren Nationalität sowie Auftraggeber seien unklar.

"Nachrichtendienstliche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass eine pro-ukrainische Gruppe Pipelines sabotiert hat, sagen US-Beamte" – so lässt sich die – lange, aber korrekte – Überschrift der "New York Times" übersetzen.

Problematisch ist, was bei einigen deutschen Nachrichtenportalen daraus gemacht wurde. "Pro-ukrainische Gruppe sprengte Ostsee-Pipelines" titelt die "Bild"-Zeitung den entsprechenden Text zur Meldung online bis heute, mit der sehr viel kleineren Dachzeile "'New York Times' über Nord Stream". Ebenso ging die "Berliner Zeitung" vor: "New York Times: Pro-ukrainische Gruppe hat Nord Stream zerstört" heißt es da.

Kein Konjunktiv, kein "soll" oder "könnte zerstört haben". Bei beiden Medien klingt es plötzlich so, als sei die "New York Times" sich völlig sicher, als liefere sie unumstößliche Beweise, dass eine pro-ukrainische Gruppe die Pipeline sprengte. Das klickt besser und dürfte die Werbekunden der Medien erfreuen – ist aber falsch und fahrlässig. Stille Post lässt grüßen.

Gerade in Deutschland birgt die Sabotage der Pipeline und die Frage nach den Tätern viel politischen und gesellschaftlichen Sprengstoff. Sollten pro-ukrainische Kräfte in die Anschläge verwickelt sein, sollten sich Beweise für einen Auftrag aus Kiewer Regierungskreisen finden, stünde die Unterstützung Deutschlands, des oft kritisierten und doch wichtigsten Verbündeten der Ukraine in der EU, schnell auf der Kippe. An einer solchen Entwicklung könnten viele ein Interesse haben, allen voran Russland.

Angebracht ist da die Warnung des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius, dass es sich um einen Versuch handeln könne, ukrainischen Gruppen den Angriff "in die Schuhe zu schieben", um es so aussehen zu lassen, als stecke die Ukraine hinter den Sprengstoffanschlägen. "Die Wahrscheinlichkeit für das eine wie für das andere ist gleichermaßen hoch", sagte Pistorius im Deutschlandfunk.

Die Gemengelage ist also komplex, die Faktenlage noch sehr dünn. Die Geheimdienste, auf die sich entsprechende Berichte stützen, sind im Übrigen keine neutralen Akteure und liegen oft auch falsch. Man denke nur an die Fehleinschätzung deutscher Geheimdienste zu Beginn des Ukraine-Krieges, Russland werde die Ukraine rasch überrollen. Oder an den Krieg der USA gegen den Irak ab 2003, der allein auf der geheimdienstlich gestützten Lüge beruhte, das Land verfüge über Massenvernichtungswaffen.

Der Generalbundesanwalt, der die Ermittlungen zur Pipeline-Sabotage in Deutschland leitet, bestätigte bislang nur, dass im Januar das Schiff untersucht worden sei, das im Verdacht steht, die in der Ostsee explodierten Sprengsätze transportiert zu haben. Die Auswertung der sichergestellten Spuren dauere noch an. Die Frage nach der Identität der Täter, dem Tatmotiv sowie die Frage nach einer staatlichen Steuerung könnten derzeit nicht beantwortet werden.

Es kann also noch Wochen oder gar Monate dauern, bis wir Gewissheit haben. Die Gerüchteküche wird in dieser Zeit brodeln, die Phase der Unsicherheit wird anhalten. Deshalb meine Bitte für diese Zeit: Atmen Sie durch, lesen Sie über die Überschrift hinaus und informieren Sie sich. Legen Sie sich nicht vorschnell auf eine Interpretation fest. Machen Sie nicht mit bei der gefährlichen Stillen Post.


Was steht an?

In Berlin beginnen die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD. Bis Anfang April sollen sie abgeschlossen sein. Am Verhandlungstisch gibt es einige Gräben zu überbrücken – und Stellen zu besetzen. Am spannendsten wird sein, ob für SPD-Politikerin Franziska Giffey, die den Stuhl im Roten Rathaus für Kai Wegner (CDU) räumt, ein mächtiger Super-Senatsposten geschaffen wird.

Die Türkei verhandelt mit Finnland und Schweden über den Nato-Beitritt der beiden Länder. Unter dem Eindruck der russischen Invasion der Ukraine hatten Finnland und Schweden im Mai die Mitgliedschaft in dem Verteidigungsbündnis beantragt. Alle 30 Nato-Länder müssen den Beitritt ratifizieren – die Türkei aber blockiert. Sie wirft Schweden unter anderem vor, nicht konsequent genug gegen Menschen und Organisationen vorzugehen, die Ankara als terroristisch einstuft. Neben der Türkei ist Ungarn das letzte Nato-Land, das die Beitritte der beiden Staaten noch nicht ratifiziert hat.

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US-Präsident Joe Biden reist nach Philadelphia, um dort seinen Haushaltsentwurf für 2024 vorzustellen. Der wird bestimmen, welche Politik seine Regierung umsetzen kann. Sozial- und Krankenversicherung werden wohl eine wichtige Rolle spielen.

In Frankfurt startet die fünfte und letzte Synodalversammlung zur Reform der katholischen Kirche. Die deutschen Katholiken planen weitreichende Änderungen in den Bereichen Stellung der Frau, Umgang mit Macht, Sexualmoral und Pflichtzölibat – und stellen sich damit gegen Rom. Denn der Vatikan hat bereits unmissverständlich deutlich gemacht, dass er eine solche Erneuerung ablehnt.


Was lesen?

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Eigentlich marschiert Barbie auf die Rente zu, doch das Plastikwesen ist immer noch beliebt. Lesen Sie hier, wann die Barbie das Licht der Welt erblickte.


Was amüsiert mich?

Wie sich die Ampelregierung ein paritätisches Kabinett vorstellt:

Schon morgen hören Sie an dieser Stelle wieder von mir. Bis dahin wünsche ich einen wundervollen Tag!

Herzlichst,

Ihre Annika Leister
Redakteurin Politik
Twitter: @AnnLei1

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Mit Material von dpa.

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