Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Putin, lies diesen Satz!
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
"Wir wissen um die Stärke freier Demokratien. Wir wissen: Was von einem breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens getragen wird, das hat Bestand." Diese Worte wählte Bundeskanzler Olaf Scholz vor genau einem Jahr bei seiner "Zeitenwende"-Rede im Bundestag. Seitdem ist viel diskutiert worden: über den 100-Milliarden-Sonderetat der Bundeswehr oder auch über Deutschlands Energiesicherheit. Aber wenig darüber, was die Zeitenwende im Kern ausmacht.
Doch dieser Satz hat es in sich.
Denn er beschreibt das grundsätzliche Missverständnis, das Wladimir Putin zum Angriffskrieg verleitet hat: Er empfand den Westen als zögerlich und schwach. Unsere vom ständigen Diskurs angetriebenen Demokratien hielt er für unfähig, dem Einmarsch in der Ukraine eine entschiedene Antwort entgegenzusetzen. Er rechnete vielmehr mit einem ähnlichen Zögern wie nach der Besetzung der Krim im Jahr 2014.
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Heute wissen wir, Putin hat sich geirrt.
Scholz' Satz beschreibt indirekt, was viel zu selten gesagt wird: Die Stärke unserer Demokratie besteht gerade im Diskurs der verschiedenen Meinungen. Die ständig geführte öffentliche Debatte ist etwas, was wir selbst manchmal nicht wertschätzen. Der Schlagabtausch der Parteien, Experten und Journalisten kann anstrengend sein.
Doch erst dadurch entsteht eine gesellschaftliche Mehrheit für die eine oder andere Vorgehensweise. Gerade abweichende Sichtweisen sind für die Demokratie geradezu überlebenswichtig. Sie wirken als Korrektiv einer sonst überhandnehmenden Mehrheitsmeinung.
Das große Verdienst des Kanzlers ist es, die "Zeitenwende" erkannt und benannt zu haben. Er verurteilte den Krieg nicht nur mit Worten, sondern ließ auch Taten folgen. Die Kritiker bemängeln zwar, Deutschland liefere Waffen zu zögerlich, zu langsam. Zuletzt debattierte Deutschland wochenlang über die Lieferung von Leopard-Panzern. Ob die Unterstützung Deutschlands insgesamt zu zurückhaltend ist? Aus heutiger Sicht lässt sich das kaum beurteilen. Faktisch ist Deutschland nach Großbritannien und den USA der drittgrößte Geldgeber der Ukraine. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegen wir derzeit allerdings nur auf Platz 16.
Im Kern geht es um mehr. Noch nie hat sich die Bundesrepublik derart intensiv in einem kriegerischen Konflikt engagiert. Der von Scholz beschworene "gesellschaftliche Konsens" ist da nicht selbstverständlich. Ich erinnere mich noch an die Proteste Hunderttausender gegen den Nato-Doppelbeschluss Anfang der Achtzigerjahre oder an die Proteste gegen den Nato-Einsatz im Kosovo im Jahr 1999. Als der damalige Außenminister Joschka Fischer mit Farbbeuteln beworfen und als Kriegstreiber beschimpft wurde. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat solche Debatten gar nicht erst aufkommen lassen.
Trotz dieser Angst ist heute, ein Jahr nach Scholz' Rede im Bundestag, die breite Unterstützung für die Ukraine ungebrochen. Ein bemerkenswerter Konsens, trotz Ungewissheit, Kriegsangst, Inflation.
Und doch: Seit Anbeginn des Krieges wird die "Zeitenwende" hierzulande von der Angst vieler Menschen begleitet, dass die Nato und damit Deutschland doch zur Kriegspartei werden könnte. Wir fürchten auch um den Frieden bei uns. Nicht zu Unrecht: Wer vermag schon einzuschätzen, wozu der Diktator im Kreml noch fähig ist?
Das ist die Stärke unserer Gesellschaft, mit der Putin nie gerechnet hat. Das ist der Kern der "Zeitenwende". Diesen Erfolg können wir uns alle zuschreiben.
Die Termine des Tages
Die deutschen Bischöfe treffen sich in Dresden zu ihrer Frühjahrs-Vollversammlung. Sie werden auch darüber beraten, wie die Reform der Katholischen Kirche in Deutschland doch noch gelingen kann. Der Vatikan hat den "Synodalen Weg" zuletzt scharf angegriffen. Der Vatikan kritisiert vor allem, der geplante "Synodale Rat" sei eine unzulässige Einschränkung der bischöflichen Autorität. Daran könnte die Reform letztlich scheitern. Im März soll abschließend beraten werden.
Seit Monaten streiten die EU und Großbritannien um die Brexit-Regeln für Nordirland. Nun wollen der britische Premierminister Rishi Sunak und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen persönlich über eine Lösung verhandeln. Die britische BBC berichtete am Wochenende, beide Seiten stünden kurz vor einer Einigung.
Gut zwei Wochen nach der Wiederholungswahl in Berlin will der Landeswahlausschuss das endgültige Ergebnis veröffentlichen. Am Wochenende wurde bereits bekannt, dass sich der Vorsprung der SPD vor den Grünen auf 53 Stimmen verringert hat.
Die Commerzbank kehrt zurück in den Dax, nach fast viereinhalb Jahren. Möglich wurde die Rückkehr des Dax-Gründungsmitglieds durch den Rückzug des Industriegaseherstellers Linde von der Frankfurter Börse.
Zwei US-Amerikaner, ein Russe und ein Emirati sollen am Montag gemeinsam zur Internationalen Raumstation ISS aufbrechen. Geplant ist, dass die vier Raumfahrer um 7.45 Uhr MEZ an Bord einer "Crew Dragon" der privaten Raumfahrtfirma SpaceX in Cape Canaveral (Florida) starten. Stephen Bowen, Warren Hoburg, Andrej Fedjajew und Sultan al-Nijadi werden am Dienstag an der ISS erwartet und sollen dort sechs Monate lang bleiben.
Was lesen oder ansehen?
Der Kanzler sucht aktuell neue Verbündete. Mein Kollege Tim Kummert ist mit ihm in Indien unterwegs gewesen an diesem Wochenende. Seine Reportage über Olaf Scholz und die neue Rolle Deutschlands in der Welt lesen Sie hier.
Als Russland 2014 das erste Mal die Ukraine angriff, war für den Ukrainer Pavlo Mamotov klar, dass er seine Heimat verteidigt. Bei den Kämpfen wurde er schwer verwundet. Als vor einem Jahr Bomben auf Kiew fielen, kehrte er an die Front zurück. Was er im Krieg erlebt hat, wieso er sich nicht vorstellen kann, der russischen Gesellschaft zu verzeihen und warum er bereit ist, sein Leben für die Ukraine zu lassen, hat er meinen Kollegen Adrian Röger und Carl Exner erzählt.
Für viele Menschen ist die Jagd ein Beruf, aber keiner wie jeder andere. Eine Jungjägerin erzählte meiner Kollegin Nora Schiemann, warum das Bild von alten Männern mit Hut und Schrotflinte überholt ist. Und doch sagt sie: "Man bleibt unter sich".
In den USA hat Ex-Bundesliga-Manager Lutz Pfannenstiel einen neuen Klub aus dem Boden gestampft. Kostenpunkt: eine Milliarde Dollar. Mein Kollege Alexander Kohne erklärt die Hintergründe.
Was mich amüsiert
Wer zu oft links abbiegt, fährt irgendwann in die falsche Richtung.
Ich wünsche Ihnen einen friedlichen Start in die Woche. Morgen schreibt Florian Harms wieder an dieser Stelle.
Herzliche Grüße,
Ihr
Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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