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Die nächste Katastrophe ist da


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Die nächste Katastrophe ist da

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 05.12.2022Lesedauer: 6 Min.
Millionen Tiere sind in den vergangenen Wochen in Kenia verendet.Vergrößern des Bildes
Millionen Tiere sind in den vergangenen Wochen in Kenia verendet. (Quelle: Anadolu Agency/Gerald Anderson/getty-images-bilder)
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Guten Morgen aus Nairobi, liebe Leserin, lieber Leser,

6.500 Kilometer liegen zwischen Berlin und der kenianischen Hauptstadt. Ein langer Weg, den man nicht leichtfertig antreten sollte. Langstreckenflüge sind eine Geißel für das Weltklima, aber es gibt Gründe, die auch eine so lange Reise rechtfertigen. Der Grund, der mich hierhergeführt hat, steht diese Woche im Zentrum des Tagesanbruchs: Zwischen all den Schlagzeilen, die seit Monaten die deutschen Medien bestimmen – dem Krieg in der Ukraine, den Energiepreisen und der Inflation – ist eine viel größere Misere in den Hintergrund geraten. Dabei reißt diese Krise eine ganze Weltregion ins Verderben, stürzt Millionen Frauen, Männer und vor allem Kinder ins Elend. In diesem Moment, in dem Sie diese Zeilen lesen, vielleicht bei Ihrem Morgenkaffee, vielleicht in der Bahn zur Arbeit, leiden in Ostafrika mehr als 20 Millionen Menschen an Hunger – und täglich werden es mehr. Die Lage dramatisch zu nennen, wäre eine Untertreibung. Sie ist brutal. In Somalia, in Äthiopien, aber auch hier in Kenia. Dabei gilt Kenia eigentlich als Stabilitätsanker:

  • Es ist die einzige funktionierende Demokratie in dieser unruhigen Weltregion, die Wahlen Anfang August führten zu einem friedlichen Machtwechsel.
  • Die Wirtschaft ist vergleichsweise breit aufgestellt; neben Landwirtschaft und Tourismus gibt es einen starken Dienstleistungssektor und sogar Industrie.
  • Beim Klimaschutz ist Kenia wegweisend: Schon mehr als 90 Prozent der Energie kommt aus erneuerbaren Quellen, da kann kein europäisches Land mithalten.

Zugleich werden die Menschen hier jedoch zu Opfern der Klimasünden anderer Staaten: Die letzten fünf Regenzeiten sind ausgefallen, die Dürre verbrennt den Osten des Landes, rafft Rinder, Ziegen und Kamele dahin, auch geschützte Elefanten und Zebras sterben massenhaft. 4,4 Millionen Menschen haben zu wenig zu essen, fast 900.000 Kinder sind akut mangelernährt, 230.000 sind dem Tod näher als dem Leben. Hatte ein durchschnittlicher Kenianer vor einigen Monaten noch 15 Liter Wasser pro Tag zur Verfügung, sind es jetzt gerade mal noch 4 Liter. Die Brunnen sind versiegt, die Flüsse vertrocknet. In ihrer Verzweiflung graben die Menschen tiefe Löcher in die knochentrockene Erde, um wenigstens eine Handvoll Brackwasser zu ergattern. Die Lage ist schlimm, und sie verschlimmert sich von Tag zu Tag – während man in Deutschland Fußball guckt und sich darüber streitet, ob das 49-Euro-Ticket ab März oder April gelten soll.

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Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Selbstverständlich sind auch viele Deutsche hart von den gegenwärtigen Krisen getroffen, auch sie brauchen Mitgefühl und Unterstützung. Aber der Blick auf die eigene Bredouille relativiert sich dann doch, wenn man sieht, was hier im Osten Afrikas vor sich geht. Hier ist die Krise nicht einfach eine Krise. Sie ist ein Abgrund:

  • Die Erderhitzung trocknet das Land aus, raubt Menschen und Tieren ihren Lebensraum, begünstigt lebensbedrohliche Schädlinge und Krankheiten. Experten zufolge dürften weite Teile der Region in absehbarer Zeit zu unbewohnbarem Ödland verdorren; die Bewohner werden nach Westen und Norden fliehen.
  • Der Corona-Stillstand hat die Wirtschaft schwer getroffen, die Staatsverschuldung verschlimmert und Unruhe zwischen rivalisierenden Volksgruppen geschürt.
  • Im Bürgerkriegsland Somalia erstarkt die Terrormiliz Abu Schabab. Zehntausende Menschen sind vor Angriffen und Anschlägen, vor Zwangsrekrutierung und Genitalverstümmelung ins Nachbarland Kenia geflohen, wo sie in den Flüchtlingslagern Dadaab, Kakuma und Garissa ihr Dasein fristen.
  • Das rapide Bevölkerungswachstum verschärft den Kampf um Wasser, Getreide und Jobs. Viele Eltern sehen in Kindern ihre einzige Lebensversicherung im Alter, weil ihnen sonst niemand hilft. Zahlreiche Studien belegen: Erhalten afrikanische Frauen mehr Bildung und mehr Geld, bekommen sie weniger Kinder. Doch viele Staaten haben ihre Spenden reduziert, und die Inflation macht alles nur noch schlimmer. Die Vereinten Nationen räumen ein, dass der Kampf gegen den Hunger "stagniere", und sprechen von einer "Katastrophe".
  • Aufgrund von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine gelangen viel weniger Getreidelieferungen nach Ostafrika. Um den verbleibenden Rest ist ein zynischer Verteilungskampf entbrannt. An den Rohstoffbörsen in Chicago und Frankfurt treiben Zocker die Preise in die Höhe – gleichzeitig landet ein Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel im Abfall.

Das ist die Lage, und vielleicht goutieren es nicht alle Freunde des Tagesanbruchs, zum Wochenauftakt so viele Hiobsbotschaften lesen zu müssen. Ich schreibe sie trotzdem auf, irgendjemand muss es ja tun, vielleicht können Worte dazu beitragen, etwas zu verändern. Als ich vor drei Jahren aus den Flüchtlingslagern und Kinderkrankenhäusern im Südsudan berichtete, zeigten viele Leser eine großzügige Spendenbereitschaft. Der damalige Außenminister Heiko Maas legte noch einen großen Batzen drauf. Aber nicht nur Geld kann helfen, auch Sensibilität hilft: Wer etwas gegen die drängenden Krisen tun will, die unsere Welt gefährden, braucht ein geschärftes Problembewusstsein. Dann folgen auf die Erkenntnisse vielleicht auch Taten.


Was den Deutschen wichtig ist

Nicht nur Ostafrika leidet unter den Folgen der Erderhitzung, auch in Deutschland macht sich die Klimakrise bemerkbar. Extremwetter und Überschwemmungen wie im Ahrtal, Dürren und Waldbrände im Sommer, schmelzender Alpenschnee und der Anstieg des Meeresspiegels verändern unser schönes Land. Das beeinträchtigt die Stimmungslage in der Bevölkerung, wie eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des Thinktanks Das Progressive Zentrum belegt. Sie liegt unserer Redaktion exklusiv vor. Demnach wünschen sich die Bürger vor allem, dass die Bundesregierung sowohl die Inflation bekämpft als auch den Klimaschutz und die Energiewende vorantreibt.

Pikant ist allerdings: Nur rund ein Viertel der Befragten traut der Ampelkoalition zu, langfristig politische Ziele zu verfolgen, das Land zu erneuern und dieses in der Welt gut zu vertreten. Nur knapp 17 Prozent attestieren der Regierung ein gutes Krisenmanagement – und weniger als 7 Prozent finden, dass sie gut mit der Bevölkerung kommuniziere. Dominic Schwickert vom Progressiven Zentrum sieht darin einen "dringenden Arbeitsauftrag an die Regierung".


Mission Grüner Wasserstoff

Mit einem gewaltigen Kraftakt verringern die EU-Staaten ihre Abhängigkeit von Putins Regime. Ab heute darf russisches Rohöl nur noch in Ausnahmefällen in die Europäische Union importiert werden. Zeitgleich schippert der erste LNG-Tanker flüssiges Erdgas nach Wilhelmshaven – und Robert Habeck sucht in Namibia nach klimafreundlichen Alternativen: Auf einer mehrtägigen Afrika-Reise will der Wirtschaftsminister Energiekooperationen einfädeln.

Seine Hoffnung: Das südwestafrikanische Land, das mit viel Sonne, Wind und freier Fläche über ideale Bedingungen verfügt, soll bald in großer Menge Grünen Wasserstoff aus Solar- und Windenergie produzieren. Der könnte auch in Deutschland als Brennstoff Erdgas, Öl oder Kohle ersetzen.

Auch für Namibia lohnt sich das Projekt: Die milliardenschwere Wasserstoffmission soll Tausende Arbeitsplätze schaffen, das Land von dreckigen Kohleimporten aus Südafrika befreien und zu einem weiteren afrikanischen Staat mit fast 100 Prozent erneuerbaren Energien machen. Trotz der hochfliegenden Pläne ist Namibia für den grünen Vizekanzler jedoch kein einfaches Terrain: In den Jahren 1904 bis 1908 töteten deutsche Truppen dort Zehntausende Herero und Nama – ein Völkermord. Erst im vergangenen Jahr hat sich die Bundesregierung nach langen Verhandlungen mit Namibia auf ein Aussöhnungsabkommen verständigt.


Terrorprozess in Brüssel

Der 22. März 2016 erschütterte Europa: Drei Selbstmordattentäter des "Islamischen Staats" ermordeten am Brüsseler Flughafen und in einer Metrostation im EU-Viertel 32 Menschen, Hunderte wurden verletzt. Heute beginnt in der belgischen Hauptstadt endlich der Prozess gegen zehn Männer, die an der Organisation der Anschläge beteiligt gewesen sein sollen. Eigentlich war der Verhandlungsauftakt früher geplant, wurde jedoch wegen eines Streits über die Unterbringung der Angeklagten verschoben. Unter den Angeklagten ist auch Salah Abdeslam, der einzige Überlebende des Terrorkommandos vom 13. November 2015 in Paris. Er wurde schon in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilt, soll aber auch an den Brüsseler Terrortaten beteiligt gewesen sein. Für das Verfahren sind mindestens sechs Monate angesetzt.

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Aufruhr im Iran

Das Regime im Iran gerät immer stärker unter Druck. Die angebliche Auflösung der verhassten Sittenpolizei ist aber wohl ein Ablenkungsmanöver. Heute wollen wieder Zehntausende gegen die Mullahs demonstrieren. Die Streiks und Proteste sollen bis Mittwoch dauern.


Absurdität des Tages

Die Bürokratie blockiert in Deutschland seit Jahren viele Entwicklungen. Nun bremst sie auch die wichtigste Anschaffung für die Bundeswehr aus. Nach Putins Angriff hatte Kanzler Olaf Scholz 100 Milliarden Euro für die Landesverteidigung lockergemacht, davon sollten knapp 10 Milliarden in den Kauf moderner Kampfjets fließen. Doch er hat die Rechnung ohne die Umstandskrämer gemacht: Die Lieferung könnte sich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verzögern. Heute Abend treffen sich Bundestagsabgeordnete mit dem Verteidigungsministerium zur Krisensitzung.


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Eigentlich sollte die Prohibition die Amerikaner ausnüchtern. Was geschah, als sie heute vor 89 Jahren endete, erfahren Sie auf unserem Historischen Bild.



Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot behauptet, die Ukraine habe den Krieg mit Russland "stellvertretend für den Westen begonnen". Nun hat ein Professor ihre Thesen entlarvt, wie mein Kollege Julian Seiferth berichtet.



Was amüsiert mich?

Gut, dass nun alles super transparent wird!

Ich wünsche Ihnen einen ersprießlichen Tag. Morgen melde ich mich aus Garissa im Osten Kenias.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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