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Parteiverbot der AfD? Diese Parteien wurden in Deutschland verboten


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Verbotsverfahren gegen AfD?
Diese Parteien zog Karlsruhe aus dem Verkehr


10.10.2024Lesedauer: 7 Min.
Otto Ernst Remer: Der SRP-Politiker war Nazi durch und durch.Vergrößern des Bildes
Otto Ernst Remer: Der SRP-Politiker war Nazi durch und durch. (Quelle: imago stock&people/imago-images-bilder)

Die AfD erstarkt, die Forderungen nach ihrem Verbot werden lauter. Doch erst wenige Male in der Geschichte der Bundesrepublik griffen die Karlsruher Richter zu diesem Mittel. So kam es dazu.

Das "Dritte Reich" endete am 8. Mai 1945, doch der Nationalsozialismus starb nicht mit ihm. "Ich verbitte es mir, mich Nazi zu nennen", verkündete Otto Ernst Remer mit trotzigem Stolz Mitte März 1951 im niedersächsischen Braunschweig: "Ich war, ich bin und bleibe Nationalsozialist.“

Remer genoss landesweit zweifelhafte Popularität: Am 20. Juli 1944 hatte er in Berlin als Kommandant des Wachbataillons "Großdeutschland" den versuchten Umsturz gegen das NS-Regime mit verhindert, in der jungen Bundesrepublik trat er als Großsprecher der Sozialistischen Reichspartei (SRP), auf. Seit ihrem Entstehen 1949 machte die SRP wenig Hehl daraus, in welche historischen Fußstapfen sie trat: die der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, kurz NSDAP.

Als "revolutionäre Methodik dieser Epoche" bezeichnete SRP-Chef Fritz Dorls die Konzentrationslager und Gaskammern des NS-Regimes, Otto Ernst Remer hetzte unentwegt gegen die als "Eidbrecher" verunglimpften Männer und Frauen des 20. Juli 1944. Niemand konnte sich Illusionen machen, wes Geistes Kind die Mitglieder und Anhänger der SRP waren.

"Reichsfront" nannte sich ihre paramilitärische Truppe, die die Sturmabteilung (SA) der NSDAP zum Vorbild hatte, das Parteilied war "Heil Dir Deutschland". Musikalisch frönte die SRP aber noch einer anderen Melodie: Dem "Badenweiler-Marsch", den Adolf Hitler besonders geschätzt hatte. Aus ihren Absichten machte die SRP wenige Jahre nach dem Ende von Weltkrieg und Holocaust keinen Hehl, wie Historiker Josef Foschepoth in seinem Buch "Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg" schreibt: "Fortführung und Vollendung der 'nationalsozialistischen Revolution'".

Rechte Gefahr im Verzug

Die Landtagswahl im Mai 1951 in Niedersachsen zeigte, dass nicht geringe Teile der westdeutschen Bevölkerung weiterhin mit derartigen Zielen sympathisierten: Elf Prozent holte die SRP in ihrer Hochburg, später im Jahr waren es bei der Bremer Bürgerschaftswahl fast acht Prozent. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), eifrig um Reputation bei den westlichen Alliierten bemüht, sah das Problem, war aber eher unwillig, eigene Fehler bei der Eindämmung der Ewiggestrigen zuzugestehen. Dabei hatte doch Adenauer ausgesprochen, dass es mit ihm keine unentwegte "Nazi-Riecherei" geben solle. Dieses Credo des Bundeskanzlers dürfte zur politischen Atmosphäre beigetragen haben, in der die Rechtsextremen Möglichkeiten witterten.

Witterung hatten allerdings auch die westlichen Alliierten wie die internationale Presse über die zunehmende braune Gefahr spätestens nach der Niedersachsenwahl aufgenommen. Amerikaner, Briten und Franzosen, deren Besatzungsstatut über Westdeutschland die Souveränität der Bundesrepublik deutlich beschränkte, lasen Adenauer die Leviten. "Ein solches Abenteuer wie das alte Nazi-Abenteuer in Westdeutschland" dürfe sich nicht erneut abspielen, beschied John McCloy als amerikanischer Hoher Kommissar dem auf den Bonner Petersberg zitierten Adenauer.

"An Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig", bilanziert Forscher Foschepoth die Haltung der Westalliierten. Seinem Bundeskabinett, in dem bei verschiedenen Ministern mehr Duldsamkeit und Verständnis gegenüber der SRP existierte, als gut war, gab der Bundeskanzler die Zielsetzung vor: ein Verbot der Partei. Das Grundgesetz weist diese Kompetenz allerdings einer einzigen Institution zu: dem Bundesverfassungsgericht. Ungünstig, dass dieses Verfassungsorgan gerade erst im Entstehen war, das Gründungsdatum datiert auf den 7. September 1951.

Diesem Problem gesellte sich ein zweites hinzu – ausgerechnet Bundesjustizminister Thomas Dehler gehörte in Adenauers Kabinett zu denjenigen, die keine Befürworter des Verbots waren. Der FDP-Mann ging die Sache verhalten an, zum Frust seines Kollegen aus dem Innenministerium. Robert Lehr von der CDU hatte sich während des Nationalsozialismus dem Widerstand angeschlossen, besonders Remers Hetze gegen den 20. Juli erregte seinen Zorn.

Bei einem Besuch in Niedersachsen hatte sich Lehr bereits zuvor über den Erfolg der SRP in dem Bundesland informiert und war bestürzt. "Nicht monatelang noch tatenlos zusehen, wie von Tag zu Tag steigend das Ansehen der Regierung untergraben und eine staatsfeindliche Organisation nach altem Muster aufgebaut wird", machte er seiner Empörung gegenüber Adenauer Luft, wie der Historiker Norbert Frei in seinem Buch "Vergangenheitspolitik" zitiert.

Lehr war also treibende Kraft bei der Einreichung des SRP-Verbotsantrags, der nach Wochen und Monaten der Verschleppung am 19. November 1951 schließlich das Bundesverfassungsgericht erreichte. Drei Tage später ging allerdings ein weiterer solcher Antrag in Karlsruhe ein – und zwar auf Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).

Damit trat eine geradezu paradoxe Umkehrung der Interessen ein. Während die Westalliierten ein verständliches Interesse an einer tatkräftigen Eindämmung der braunen Umtriebe in Gestalt der erstarkenden SRP hegten, sahen sie ein Verbot der KPD kritisch. SRP und KPD zugleich verbieten? "Von einer derartigen Lösung waren weder die Amerikaner noch die Briten und schon gar nicht die Franzosen begeistert", schreibt Josef Foschepoth.

Fremdgesteuert und fremdfinanziert von der SED aus dem kommunistischen Ostblock stand außer Frage, dass die KPD und ihre Mitglieder der westdeutschen Demokratie feindlich gegenüberstanden. Langfristiger Erfolg war den Kommunisten allerdings nicht beschieden, bei den Wahlen in der jungen Bundesrepublik fuhr sie schließlich Misserfolg auf Misserfolg ein. Das war ein Grund für die alliierten Hohen Kommissare, ein Verbot der KPD kritisch zu sehen, demokratietheoretische Erwägungen spielten ebenso eine Rolle.

"Kein größeres undemokratisches Verhalten"

"Ich kann mir kein größeres undemokratisches Verhalten vorstellen, als die Kommunistische Partei an sich abzuschaffen", äußerte sich John McCloy. Sollten die Kommunisten ihr Werk doch öffentlich errichten, gut beobachtbar und kontrollierbar. Ganz anders sah dies jedoch ein guter Teil von Adenauers Kabinett, der einem Verbot der KPD wesentlich bejahender als dem der SRP gegenüberstand. So mussten sich die Verfassungsrichter in Karlsruhe gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit mit zwei Anträgen auf Verbot von politischen Parteien beschäftigen.

Die SRP wehrte sich nach Kräften und mit reichlich Theatralik. Nachdem der Präsident des Bundesverfassungsgerichts einer Störtaktik der in Karlsruhe zur Verhandlung erschienenen Parteivertreter einen Riegel vorgeschoben hatte, machten sich diese kurzerhand davon. Am 23. Oktober 1952 verkündeten die Karlsruher Richter dann ihre Entscheidung. Auf knapp 100 Seiten führten sie aus, warum sie die SRP als verfassungswidrige Partei nicht nur verboten, sondern gleich auch ihre Mandate in Bundestag und Parlamenten der Bundesländer kassierten. Denn die SRP war der "früheren NSDAP wesensverwandt", so das Bundesverfassungsgericht.

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So sehr die Richter in der Sache richtig lagen, so sind aus heutiger Sicht rechtsstaatliche Fragen in Bezug auf das SRP-Verbot geboten. In der SRP verfügten die Behörden über V-Leute, eine "Quelle" – nach Historiker Norbert Frei – saß direkt beim Vorstand. Ein Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands ließ Karlsruhe Jahrzehnte später eben aus diesem Grund scheitern.

Dem Bundesinnenminister Robert Lehr attestiert Norbert Frei ein "autoritäres Temperament", als er rechtliche Bedenken vor anstehenden Hausdurchsuchungen bei Parlamentariern der SRP seinerzeit kurzerhand beiseite wischte: "Es handelt sich hier um Staatsfeinde, und bei allzu großer Zaghaftigkeit würden wir die Maulwurfsarbeit dieser Staatsfeinde unterstützen."

"Auf Eis"

Nach dem Verbot der SRP hatte Karlsruhe nun noch das Urteil zu fällen, ob auch die KPD verboten werden sollte. Und das dauerte und dauerte. Während im Falle der SRP Klarheit bestand, dass diese neue, alte Nazi-Partei verbotswürdig war, ist das im Falle der KPD keineswegs so. "Nach heutigen rechtsstaatlichen Gesichtspunkten", so zitiert Foschepoth eine Aussage von Jutta Limbach aus dem Jahr 1996, müsste die KPD kein Verbot befürchten. Limbach war zu dieser Zeit Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts.

Wie konnte es also 1956 doch zum Verbot kommen, obwohl das gegen den Willen der Westalliierten war und im Grundgesetz festgelegten Regeln des Rechtsstaats widersprach, die damals wie heute gelten? Nach Josef Foschepoth lag es "weniger an den rechtsstaatlichen Prinzipien als an deren Anwendung bzw. Nichtanwendung durch die Richter des 1. Senats im Verfahren gegen die KPD".

Das Bundesverfassungsgericht, frisch gegründet, unerfahren als Institution, unzureichend ausgestattet und obendrein mit allerlei anderen anstehenden Fragen aus- und überlastet, sah sich tatsächlich im KPD-Verfahren einer ausgesprochenen Übergriffigkeit seitens der Politik ausgesetzt. Adenauer, ein gewiefter Stratege im Inneren wie Äußeren, sorgte für Entschleunigung im Verfahren, wenn es ihm genehm erschien: So als er Verärgerung bei Frankreichs Linken befürchtete oder eine Wählerwanderung von der KPD zur SPD bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, falls die Kommunisten verboten würden.

"KP-Prozess liegt z. Z. aus gesamtpolitischen Gründen auf Eis", vermerkte Adenauers Verkehrsminister Hans-Christoph Seebohm 1954. Adenauers Umfeld sorgte wiederum für denkbar schlechte Ausgangsbedingungen für die Kommunisten. Erwin Stein, seines Zeichens Berichterstatter beim Prozess, attestiert Historiker Foschepoth durch "einseitige Informationen" eine Bevorzugung der Bundesregierung betrieben zu haben, zusätzlich hatte Verfassungsrichter Stein mit einem Dokument Schindluder betrieben zum Nachteil der KPD. Hans Ritter von Lex, Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Antikommunist aus tiefster Seele, betrieb seinerseits heftigste Stimmungsmache gegen die KPD.

Ausgang ungewiss

Politisch sank die KPD bereits an den Wahlurnen der Bedeutungslosigkeit entgegen, aber die Bundesregierung beharrte auf einem Urteil aus Karlsruhe. Adenauer nutzte den verbreiteten Antikommunismus für die Etablierung seiner Westpolitik. Es ist auch nicht undenkbar, dass er in der KPD tatsächlich eine Bedrohung sah. Das Urteil erging 1956. Die KPD wurde verboten.

In der Gegenwart feiert die in Teilen erwiesen rechtsextreme AfD Erfolge bei den Wählern, ein Verbotsantrag ist in der Diskussion. Der Ausgang eines solchen Bemühens ist durchaus ungewiss, denn die Karlsruher Richter legen höchste Anforderungen an diese einschneidendste Maßnahme einer freiheitlichen Demokratie an: Es braucht nicht nur "eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung" einer Partei, sondern auch "konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheint."

Dem demokratischen Wettbewerb zuträglicher wäre es, wenn die demokratischen Parteien der Mitte politische Mittel fänden, die AfD an den Wahlurnen zu besiegen. "Demokratie und Parteien müssen ihre Handlungsfähigkeit demonstrieren", sagt der Humangeograf Daniel Mullis im t-online-Interview. Die historischen Verfahren gegen SRP und KPD sehe das Bundesverfassungsgericht sicher nicht als Blaupause für ein etwaiges AfD-Verfahren an.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Josef Foschepoth: "Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg", 2., aktualisierte Auflage, Göttingen 2021
  • Norbert Frei: "Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit", 1. Auflage in der Beck’schen Reihe, München 2012
  • Andrea Röpke; Andreas Speit (Hrsg.): "Blut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland", Berlin 2013
  • Martin Will: "Ephorale Verfassung. Das Parteiverbot der rechtsextremen SRP von 1952, Thomas Dehlers Rosenburg und die Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland", Tübingen 2018
  • Gideon Botsch: "Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis heute", Darmstadt 2012
  • Zeitgeschichte-online: "Unreife Jugend oder antidemokratische Verfassungstradition?"
  • Bundesministerium des Innern und Sport: "Parteiverbot"
  • Bundesverfassungsgericht: "Parteiverbotsverfahren"
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