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Warschauer Aufstand 1944: Die Deutschen verübten ein Blutbad


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Aufstand in Warschau 1944
"Jede Kugel ein Deutscher"


Aktualisiert am 14.08.2024Lesedauer: 6 Min.
Kämpfer der "Armija Krajowa": Ab dem 1. August 1944 tobten in der polnischen Hauptstadt schwerste Gefechte gegen die deutschen Besatzer.Vergrößern des Bildes
Kämpfer der Armia Krajowa: Ab dem 1. August 1944 tobten in der polnischen Hauptstadt schwerste Gefechte gegen die deutschen Besatzer. (Quelle: Photo12/ullstein-bild)
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Kämpfer der polnischen Heimatarmee wollten vor 80 Jahren Warschau von der Nazi-Herrschaft befreien. Die deutschen Besatzer reagierten mit äußerster Brutalität – und verübten ein Blutbad.

Seit fast fünf Jahren hatte die Wehrmacht Warschau besetzt, damit sollte am 1. August 1944 Schluss sein. Für 17 Uhr dieses Tages hatte General Tadeusz Komorowski, Deckname "Bór", den Befehl zum Aufstand gegen die Besatzer erteilt. Rund 45.000 Mitglieder – Männer und auch Frauen – der Armia Krajowa (AK), der polnischen Heimatarmee im Untergrund, warteten auf den Zeitpunkt zur Attacke.

Schüsse fielen allerdings bereits vor dieser Uhrzeit. Zwischen den deutschen Streifen und den sich sammelnden Kämpfern der AK kam es zu ersten Feuergefechten. Es war der Vorspann zu einem tapferen, zu einem verzweifelten Kampf um die Existenz eines unabhängigen Polens, frei von der Herrschaft seiner aggressiven Nachbarn Deutschland im Westen und der Sowjetunion im Osten.

63 Tage lang kämpften die Männer und Frauen der AK gegen die deutschen Besatzer – unterlegen an Zahl und Ausrüstung, Waffen und Munition. Es war ein Kampf gegen einen Gegner, der keine Gnade zeigte. Weder für die Angehörigen der AK noch für die Zivilbevölkerung, die sich in der umkämpften Hauptstadt aufhielt. In seinem kürzlich erschienenen Buch "Der Warschauer Aufstand 1944" erklärt der Historiker Stephan Lehnstaedt – ausführlich und faktenreich – Genese, Ablauf und Nachwirkung dieses für die polnisch-deutsche Geschichte so bedeutenden Ereignisses.

Warum erhob sich die AK aber im Sommer 1944? Hoffnung und Besorgnis waren gleichermaßen Anlass. Hoffnung, weil das einst schier übermächtig erscheinende Deutschland schwächer geworden war. Im Westen waren am 6. Juni 1944 die westlichen Alliierten am D-Day erfolgreich in der französischen Normandie gelandet, im Osten hatte die Rote Armee am 22. Juni 1944 ihre "Operation Bagration" begonnen, die in der Vernichtung der deutschen Heeresgruppe Mitte enden sollte. Es war die schwerste Niederlage der Wehrmacht überhaupt.

Stalins finstere Pläne

Immer weiter drang die Rote Armee gen Westen vor, Richtung Weichsel, Richtung Warschau. Deswegen kam Besorgnis auf: Die AK, als bewaffneter Arm der polnischen Exilregierung in Großbritannien, sah die Sowjets keineswegs als Befreier nahen. Warum auch, hatten die Diktatoren Adolf Hitler und Josef Stalin doch 1939 Polen unter sich aufgeteilt: Nachdem Deutschland am 1. September Polen überfallen hatte, attackierte die Rote Armee das Land ab dem 17. September. 1944 fürchteten AK und Exilregierung aus gutem Grund, dass Stalin seine ganz eigenen Pläne für das Land hegte.

Was konnte dieses Schicksal von Polen abwenden? Eine Befreiung aus eigener Kraft, so der Gedanke. "Die Rote Armee gewissermaßen als Hausherren willkommen heißen", fasst Stephan Lehnstaedt das Ziel zusammen. Das hätte auch Eindruck bei den westlichen Alliierten gemacht. Wenig Eindruck macht allerdings die Ausrüstung der AK in Warschau unter dem Befehl von Antoni Chruściel, Deckname "Monter": ein paar Hundert Maschinenpistolen, einige wenige Tausend Gewehre, knapp drei Dutzend schwere Maschinengewehre unter anderem. "Katastrophal", bilanziert Historiker Lehnstaedt.

Anfangs gelangen der AK gleichwohl mit Heldenmut gewisse Erfolge unter gewaltigen Verlusten. "Kommandeur Warschau meldet, Lage sehr sehr ernst", hieß es bei den Deutschen einen Tag nach Beginn des Aufstands. "Mehrere lebenswichtige Einrichtungen in Hand der Banditen oder stark bedroht. Einzelne unserer Stützpunkte bereits niedergekämpft." Größere Teile des Zentrums wie die Altstadt kontrollierten die Aufständischen bald, auch vermochte die AK das Prudential-Hochhaus einzunehmen, mit fast 70 Metern Höhe weithin in alle Richtungen sichtbar. Dort oben wehte bald Polens Flagge in den Farben Weiß und Rot über der Hauptstadt.

Und auch ein gefürchtetes Symbol nationalsozialistischer Terrorherrschaft konnten die Kämpfer der AK Anfang August erobern: das Konzentrationslager Warschau. Mithilfe eines deutschen Panzers vom Typ Panther, zuvor erbeutet, erstürmte das AK-Bataillon "Zośka" das KZ, fast 350 jüdische Männer und Frauen brachte "Zośka" die Freiheit. Nicht wenige von ihnen zogen mit der AK in den Kampf gegen die Deutschen.

Massaker in Wola

Die wiederum erholten sich bald von der Heftigkeit des Aufstands der AK – und trafen Gegenmaßnahmen. Aus der Luft flogen deutsche Sturzkampfbomber Angriffe, am Boden traten neue Verbände an, um die AK zu bekämpfen. Heinrich Himmler, Chef der SS, beauftragte mit seinen Untergebenen Erich von dem Bach und Heinz Reinefarth zwei erprobte Massenmörder. Zum Einsatz gegen die Aufständischen kamen unter anderem die berüchtigte SS-Sturmbrigade "Rona" und die SS-Brigade Dirlewanger: Sadisten, Mörder, Vergewaltiger. Himmlers Linie war klar: "Vernichten Sie Zehntausende", zitiert Lehnstaedt eine Anordnung des obersten SS-Führers.

Was das bedeutete, zeigte sich am 5. August im Warschauer Bezirk Wola. Dort richtete die SS-Brigade Dirlewanger ein Massaker unter Zivilisten an. Straßenzug für Straßenzug "säuberten" die SS-Männer, indem sie jeden töteten, den sie dort antrafen. "Allein entlang der Wolska-Straße wurden am 5. August über 10.000 Menschen durch Genickschüsse oder Maschinengewehrsalven getötet", beschreibt Stephan Lehnstaedt den Terror der Deutschen. Feige und hinterhältig trieben die SS-Leute Zivilisten zudem vor sich in Richtung verbarrikadierter AK-Kämpfer her, die nicht auf ihre eigenen Landsleute schossen – und sich zurückziehen mussten.

Vernichtung, darauf waren die Nationalsozialisten aus. Mindestens 150.000 Einwohner Warschaus starben während des Aufstands durch die deutsche Brutalität, weitere 500.000 Menschen zwangen die Deutschen während der Kämpfe aus der Stadt heraus. Damit war das eingetreten, was Kritiker am Vorhaben des Warschauer Aufstands innerhalb der AK zuvor geäußert und befürchtet hatten: Die Warschauer Zivilbevölkerung musste durch das Wüten der Deutschen unfassbares Leid ertragen. Nach deren Vorstellungen sollten Warschau und Polen aus der Geschichte verschwinden.

In der nationalsozialistischen Ideologie galten die Polen als "Untermenschen", die sich nun gegen ihre "Herren" auflehnten. Nur widerwillig zollte SS-Führer Erich von dem Bach dem Gegner von der AK Anfang September 1944 Respekt: "Die Polen kämpfen wie die Helden". "Helden", die die Deutschen bei einer Gefangennahme meist töteten. Erst im September änderte sich die Lage zumindest nominell etwas: Deutschland erkannte die AK-Kämpfer, die bislang als Partisanen galten, als Kombattanten an. Wohl aufgrund der Ankündigung Großbritanniens, künftig gefangengenommene Deutsche sonst ebenfalls nicht mehr als Kriegsgefangene zu betrachten, so Stephan Lehnstaedt.

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Aufstand der Verlorenen

Tag für Tag, Woche für Woche verkleinerte sich das von der AK gehaltene Stadtgebiet. Dort hatte sich Einzigartiges entwickelt, der polnische Staat, der seit der deutschen Besetzung im Untergrund fortexistiert hatte, lebte öffentlich auf. Pfadfinder, bis heute in Polen als Helden verehrt, etablierten ein zuverlässiges Postsystem, Radiosender und andere Medien berichteten über die Geschehnisse. All dieses unter den Bedingungen einer umkämpften Stadt: Feuergefechte und Beschuss, Hunger, Krankheit und Tod waren allgegenwärtig. Den Ernst der Lage verkündeten Plakate mit der Botschaft: Jede Kugel ein Deutscher." Denn Munition war Mangelware.

Besserung hingegen war nicht in Sicht, auch nicht als das Donnern ihrer Artillerie die Ankunft der Roten Armee am anderen Ufer der Weichsel ankündigte. Stalin hatte keinerlei Interesse am Entsatz der nahezu niedergekämpften AK. Ja, Mitte September 1944 genehmigte er Einheiten der ihm hörigen und aus Polen bestehenden sogenannten Berling-Armee eine Überquerung des Flusses. Allerdings waren es zu wenige Männer mit zu wenig Unterstützung. Das Unternehmen scheiterte.

Auch Hilfe aus dem Westen für die kämpfende AK in Warschau hintertrieb der Sowjetdiktator, indem er fast jede Bitte der westlichen Alliierten um Landegenehmigungen für deren Flugzeuge auf sowjetischen Flughäfen ablehnte. Zwar erreichten manche Flieger Warschau, doch es war zu wenig. Am 2. Oktober 1944 endete der Warschauer Aufstand, die AK unter Tadeusz Komorowski kapitulierte, die Überlebenden gingen in Gefangenschaft. Warschau war eine "menschenleere Steinwüste" geworden, schreibt Lehnstaedt. All die Opfer, alle die Toten, für nichts? Es herrschte Enttäuschung und Entsetzen unter den Überlebenden, aber auch Erleichterung nach Ende des Gemetzels.

Warschau blieb bis zum 17. Januar 1945 in deutscher Hand, dann marschierten Stalins Truppen ein. Aus Polen machte der sowjetische Diktator einen Satellitenstaat, in dem der Wille Moskaus entscheidend war – bis 1989 der Eiserne Vorhang fiel. In Polen ist der Warschauer Aufstand von 1944 bis heute unvergessenes Symbol des Selbstbehauptungswillens der Nation.

In Deutschland ist der Aufstand eher unbekannt oder wird mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto von 1943 verwechselt. Diesen Fehler hatte 1994 der frühere Bundespräsident Roman Herzog begangen. "Dieses fehlende Wissen ist nicht nur angesichts von fast 200.000 Toten und einer zerstörten Hauptstadt bedauerlich, sondern auch wegen der zentralen Rolle für das nationale Selbstverständnis unseres Nachbarlandes", schreibt Stephan Lehnstaedt in "Der Warschauer Aufstand 1944". Sein Buch hilft, diese klaffende Lücke in der deutschen historischen Erinnerung zu schließen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Stephan Lehnstaedt: "Der Warschauer Aufstand 1944" (Reihe Kriege der Moderne), Ditzingen 2024
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