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Erdbebenwelle auf Santorini: Deutscher Experte berichtet von vor Ort


Erdbebenwelle auf Santorini
"Das wäre dann eine ganz andere Hausnummer"

Von t-online, dpa, ams

05.02.2025 - 19:41 UhrLesedauer: 4 Min.
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Aufnahmen zeigen, wie Menschen scharenweise die Region verlassen. (Quelle: dpa)
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Seit Tagen erschüttern Erdbeben die beliebte Urlaubsinsel im Mittelmeer. Ein deutscher Experte untersucht die Geschehnisse vor Ort.

Es bebt und bebt und bebt: Alle paar Minuten müssen Menschen auf der griechischen Insel Santorini mit Erdstößen rechnen. Gut 11.000 Santoriner, vor allem Frauen, Kinder und Alte, sind in den vergangenen Tagen aufs Festland geflohen – zwei Drittel der insgesamt rund 16.000 Einwohner. Tagelang waren die Fähren und Flüge ausgebucht, Sonderflüge und zusätzliche Schiffe wurden eingesetzt. Die Bilder des Hafens zeigten die Not: Viele packten ein, soviel sie tragen konnten, auch den Wellensittich im Käfig, die Katze im Korb und den Hund an der Leine.

Dr. Jens Karstens, wissenschaftlicher Mitarbeiter GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, ist dagegen auf die Insel gereist. Er arbeitet im Zuge des wissenschaftlichen Projekts Multi-Marex vor Ort. Klare Ergebnisse aus Messungen herauszuarbeiten, sei derzeit noch schwierig: "Die Situation entwickelt sich derzeit allerdings zu dynamisch, um sie einer bestimmten geologischen Struktur zuordnen zu können", sagt Karstens auf Anfrage von t-online.

Experte hält Risiko für überschaubar

Die Insel, auf der sich Karstens seit Sonntag befindet, sei am Mittwoch schon viel leerer gewesen. "Man trifft kaum noch Touristen und im Gespräch mit den Einheimischen hört man von vielen, dass sie abreisen." Die Einwohner, die noch da sind, wirken auf wenig beeindruckt von der aktuellen Lage: "Große Aufregung oder Angst habe ich persönlich nicht erlebt. Bei stärkeren Beben gehen die Menschen ins Freie, was die richtige Reaktion ist und von Außenstehenden, die nicht an den Umgang mit Erdbeben gewöhnt sind, vielleicht als ängstliche Reaktion missverstanden werden kann", so Karstens.

Er selbst wohnt in einem Ferienapartment. Tagsüber sei er viel mit einem Mietwagen unterwegs, um seine Geräte vorzubereiten, zu installieren oder Kollegen zu unterstützen. "So wie die Einheimischen halte ich mich von den Klippen fern und fahre extra vorsichtig, um auf mögliche Steine auf der Fahrbahn reagieren zu können", sagt Karstens. Derzeit ist der Experte was die Situation angeht gelassen: "Im Moment halte ich das Risiko für überschaubar."

Video | Erdbeben auf Santorini: "Wir bleiben hier"
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Quelle: reuters

Bewohner: "Angst haben alle"

Das Grollen, das tief aus der Erde dringt weckt bei anderen dagegen Ur-Ängste. "Wenn es so dröhnt, dann weißt du, gleich bebt es – aber du weißt nicht, wie stark", sagt Vangelis Beltzenitis. Als ermüdend und nervtötend beschreibt der 55 Jahre alte Fotograf die Situation, Angst hätten alle, sagt er. In der Region der Vulkaninsel Santorini bebt es seit knapp zwei Wochen in kurzen Abständen, manchmal sogar im Minutentakt.

Immerhin ist Beltzenitis selbst ruhiger, seit er seine Frau und seine beiden Kinder zur Familie aufs Festland geschickt hat. "Unser Haus ist erst acht Jahre alt, wir haben es selbst gebaut und sämtliche Erdbebenvorkehrungen getroffen." Dennoch: Was, wenn seinem acht Monate alten Baby auch nur ein Stück Putz auf den Kopf fällt? "In so einer Situation riskiert man nichts."

Nicht jeder hat Familie oder Freunde auf dem Festland, bei denen er unterschlüpfen kann. "Wir gehen ins Hotel, was bleibt uns anderes übrig?", klagt eine Frau auf die Frage hin. "Ich fühle mich wie ein Flüchtling im eigenen Land", sagt eine andere. Er hätte sein Auto mit allem vollgeladen, was hineinpasst, erzählt ein Mann, auch die Lebensmittel aus dem Kühlschrank habe er mitgenommen. Denn sie alle wissen nicht, wann sie zurückkommen können.

So geht es auch der Ehefrau von Vangelis Beltzenitis. Sie ist in die Stadt Larisa zur Familie gereist und wird den achtjährigen Sohn des Paares dort in der Schule anmelden, für den Fall, dass die Erde noch wochen- oder gar monatelang weiter bebt. Auf Santorini und den nahegelegenen Inseln Ios, Anafi und Amorgos bleiben die Schulen bis auf Weiteres geschlossen – niemand will riskieren, dass den Kindern etwas passiert.

Andere jedoch, vor allem Männer, bleiben auf der Insel. "Es ist nicht so, dass man konstant in Panik lebt", erklärt Beltzenitis am Telefon auf die Frage nach seinem aktuellen Alltag. Es sei einfach anstrengend: "Du sitzt abends auf dem Sofa und willst entspannen, schon kommt wieder ein Grollen und es bebt." Doch die Einwohner wollten ihr Hab und Gut nicht alleine lassen. "Wenn wir alle gehen, beginnt es mit den Plünderungen." Schon jetzt patrouilliert die Polizei verstärkt in den leeren Gassen der Ortschaften.

Weil niemand die Dauer des Phänomens oder auch die Stärke eines möglichen Hauptbebens vorhersagen kann, ist die psychische Belastung groß. "Am schlimmsten wäre ein Vulkanausbruch – das wäre dann eine ganz andere Hausnummer", sagt Beltzenitis. Sorgen machen die Menschen sich aber auch um den Tourismus, falls die Beben andauern sollten. In der Hinsicht hat der 55-Jährige Glück: Er fotografiert Hochzeiten, hat aber viele Aufträge aus Italien und Spanien, sodass er nicht zwingend auf den Inselsommer angewiesen ist.

Das Gespräch mit Beltzenitis hat 24 Minuten gedauert. Währenddessen hat es viermal stark gebebt.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Anfrage an Dr. Jens Karstens
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