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Hafenexplosion von Beirut: Eine Lehrstunde in Verantwortungslosigkeit


Hafenexplosion von Beirut
Ein politisches Kartell entzieht sich jeder Verantwortung

MeinungEin Gastbeitrag von Michael Bauer

03.08.2022Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Bei der Explosion im Hafen von Beirut sind 2020 mehr als 200 Menschen getötet und Tausende verletzt worden. (Quelle: Hassan Ammar/dpa)

Zwei Jahre nach der Hafenexplosion von Beirut stockt die Aufarbeitung. Es ist eine libanesische Lehrstunde in Sachen politischer Verantwortungs- und Straflosigkeit. Ein Gastbeitrag

Seit rund drei Jahren befindet sich der Libanon in einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die die Weltbank als eine der schwersten seit Mitte des 19. Jahrhunderts bezeichnet hat. Die Währung hat 90 Prozent ihres Werts verloren, die Inflation beträgt mehrere Hundert Prozent, immer mehr Libanesen leben in Armut.

Michael Bauer
Michael Bauer (Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung)

Der Autor

Michael Bauer ist Leiter des Auslandsbüros Libanon der Konrad-Adenauer-Stiftung. Zuvor arbeitete er als Länderreferent für den Nahen Osten und Nordafrika.

Verantwortlich für diese dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen sind vor allem politische Faktoren: Über die Jahrzehnte seit Ende des Bürgerkrieges im Jahr 1990 hat sich entlang religiöser Proporzlinien eine politische Elite die Macht im Land aufgeteilt. Sie beutet den Libanon aus und hält staatliche Institutionen schwach bzw. baut – wie die Hisbollah als Staat im Staate – ihre eigenen Strukturen im Land auf. Über klientelistische Netzwerke wird Gefolgschaft erkauft und wenn nötig mit Gewalt erzwungen. Von der Übernahme politischer Verantwortung für die Misere und die Durchführung von Reformen, um der sich immer weiter zuspitzenden Krise Herr zu werden, keine Spur.

Politiker ignorierten Gefahr

Symptomatisch für diese Praxis der politischen Verantwortungslosigkeit ist die politisch-juristische Aufarbeitung der Explosion einer gewaltigen Menge von Ammoniumnitrat im Hafen von Beirut, die sich vor genau zwei Jahren am 4. August 2020 ereignete. Über 200 Menschen wurden damals getötet, Tausende verletzt und rund 300.000 verloren zumindest vorübergehend ihre Bleibe.

Die betroffenen Stadtteile sind immer noch von der Explosion gezeichnet, Instandsetzungsarbeiten gehen nur schleppend voran – und werden vor allem von internationalen Gebern oder mit Mitteln der libanesischen Diasporagemeinde finanziert. Der libanesische Staat hält sich weitgehend zurück. Nicht weniger schlimm sind in vielen Fällen die psychischen Nachwirkungen, mit denen viele der Betroffenen zu kämpfen haben.

Libanesische Journalisten und internationale Organisationen wie Human Rights Watch haben die Hintergründe und Verantwortlichkeiten im Kontext der Hafenexplosion sehr detailliert aufgearbeitet. Auch das FBI und die französischen Behörden haben Ermittlungen durchgeführt. Die verschiedenen Untersuchungen ergeben zusammen ein recht gutes Bild, wie es zu dem Unglück kommen konnte. Wie 2.754 Tonnen Ammoniumnitrat, die Beirut mit einem russischen Frachter im Jahr 2013 erreichten, im Herz der libanesischen Hauptstadt eingelagert und damit mit dem Wissen zahlreicher Politiker und Beamter bis in die höchsten Ebenen zu einer tickenden Zeitbombe werden konnten.

Hoffen auf internationale Hilfe

Im Gegensatz dazu geht die juristische Aufarbeitung der Geschehnisse kaum voran. Ein erster Untersuchungsrichter wurde im Frühjahr 2021 von seinem Posten entfernt, als er drei ehemalige Minister und einen Premierminister vor Gericht bringen wollte. Auch die Arbeit seines Nachfolgers, Richter Tarek Bitar, wird behindert, wo immer es geht: Kurz nachdem im September des vergangenen Jahres nach über einem Jahr erstmals wieder eine voll mandatierte Regierung im Amt war, erklärten die schiitischen Parteien Amal und Hisbollah ihren Boykott der Regierungsarbeit, um die Abberufung Bitars zu erzwingen.

Bei Kämpfen am Rande eines Demonstrationszugs gegen die Untersuchung, zu dem die beiden schiitischen Parteien ihre Anhänger aufgerufen hatten, kamen im Oktober sieben Menschen ums Leben. Zahllose fadenscheinige politische und juristische Einsprüche wurden gegen die Fortführung der Untersuchung vorgebracht. Minister und Abgeordnete berufen sich auf ihre Immunität, um sich Befragungen zu entziehen. Seit rund einem halben Jahr stehen die Ermittlungen nun still, da ein Gericht, das über den Einspruch eines von den Untersuchungen betroffenen Politikers entscheiden muss, nicht beschlussfähig ist. Die notwendige Nachbesetzung vakanter Posten wird im Finanzministerium, das wiederum unter der Kontrolle der Amal-Partei steht, blockiert.

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Die meisten Menschen im Libanon setzen längst nicht mehr auf Behörden

Mit derartigen Winkelzügen gelingt es immer wieder, juristische Prozesse zu verzögern bzw. ins Leere laufen zu lassen und sich letztlich politischer Verantwortung zu entziehen. Es ist daher auch kaum davon auszugehen, dass die Gesetzesvorschläge zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz, die derzeit auf Initiative zweier oppositioneller Parlamentarier im Parlament diskutiert werden, Erfolg haben werden.

Die Mehrheit der Menschen im Libanon setzt daher längst nicht mehr auf die libanesischen Behörden, wenn es darum geht, die Kultur der politischen Straf- und Verantwortungslosigkeit zu überwinden. Mit Blick auf die Hafenexplosion richtet sich ihre Hoffnung vielmehr auf die internationale Gemeinschaft, etwa den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, der eigenständige Ermittlungen veranlassen könnte.

Auch der jüngst von der EU verlängerte Sanktionsmechanismus für den Libanon bietet die Möglichkeit, gezielt gegen Personen und Organisationen vorzugehen, die rechtsstaatliche und demokratische Prinzipen brechen. Eine Anwendung derartiger Instrumente wäre nicht nur in der Sache angemessen, sie wäre auch ein wichtiges Signal an diejenigen im Libanon, die sich nicht damit abfinden wollen, dass ihr Land im Griff eines politischen Kartells verbleibt und darin zugrunde geht.

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