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Arian weiterhin verschwunden: Wie gehen Eltern mit solch einer Situation um?


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Vermisste Kinder
"Eltern werden einfach alleingelassen"


30.04.2024Lesedauer: 5 Min.
Arian (6) ist verschwunden: Die Polizei nahm die Suche nach einer Pause wieder auf.Vergrößern des Bildes
Arian (6) ist verschwunden: Die Polizei nahm die Suche nach einer Pause wieder auf. (Quelle: dpa)
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Viele Menschen in Deutschland haben bei den Suchaktionen nach Arian (6) mitgefiebert. Doch der Junge bleibt verschwunden. Wie gehen Eltern damit um? Die "Initiative Vermisste Kinder" berät und hilft in solchen Fällen.

Der verschwundene Arian ist kein Einzelfall: In Deutschland werden jedes Jahr im Schnitt 15.000 Kinder unter 13 Jahren und 60.000 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren als vermisst gemeldet. Dazu gehören verloren gegangene Kinder ebenso wie aktiv ausgerissene Kinder oder Kindesentziehungen. Die meisten Fälle sind allerdings schneller geklärt als der Fall des 6-jährigen autistischen Jungen, und 99 Prozent der Kinder tauchen wohlbehalten wieder auf. Die Initiative Vermisste Kinder e. V. unterstützt Angehörige bei der Suche, aber auch bei der Verarbeitung des Geschehenen. Der Vorsitzende Lars Bruhns kann berichten, was den Eltern vermisster Kinder hilft – und was nicht.

t-online: Es ist der Albtraum aller Eltern: Der 6-jährige Arian ist verschwunden und kann trotz großer Suchbemühungen nicht gefunden werden. Ist Arian ein außergewöhnlicher Fall?

Lars Bruhns: Arian ist ein Fall, der allein durch die Größe der Suchaktion viel Aufmerksamkeit erregt hat. Deshalb empfinden wir jetzt auch eine Art kollektiver Ohnmacht, dass er bisher nicht gefunden werden konnte. Drohnen, Wärmebildkameras, Hunderte Helfer, und dazu kein Hinweis auf ein Verbrechen – und trotzdem ist das Kind nicht zu finden. Das ist für alle kein gutes Gefühl. Es ist aber nicht der erste Fall dieser Art. Erst vor zwei Jahren war der geistig beeinträchtigte Joey in Niedersachsen acht Tage verschwunden, bevor er wohlbehalten wiedergefunden wurde. Es gibt noch Hoffnung.

Wie beurteilen Sie die Suchbemühungen bisher?

Wir fordern schon seit Jahren, dass es bessere und gezieltere Warnsysteme geben müsste, wenn Kinder verschwinden. In der Regel bleiben sie, wenn kein Verbrechen vorliegt, erst mal im Umfeld. Andere Länder sind da weiter als Deutschland. Wir könnten etwa die bestehenden Systeme des Katastrophenschutzes, Nina, Katwarn und die Handy-Funkzellen-Warnung, auch für die Suche nach vermissten Kindern einsetzen: für die Verbreitung gezielter Informationen in den Funkzellen der Umgebung. Denn am wichtigsten ist, dass alle vor Ort sofort informiert werden.

Zur Person

Lars Bruhns (43) ist der ehrenamtliche Vorsitzende der Initiative Vermisste Kinder. Der Verein unterstützt Eltern vermisster Kinder bei der Suche nach vermissten Kindern und bei der Bewältigung des Erlebten. Zudem betreibt er für Deutschland die europaweit einheitliche Hotline für vermisste Kinder unter der Nummer 116000 (24/7 kostenlos aus allen Netzen erreichbar).

Im Fall von Arian haben die Eltern ihn sehr schnell als vermisst gemeldet. Trotzdem hat es mehrere Tage gedauert, bis von Polizeiseite aus bei den Bauern der Umgebung ankam: Mäht bitte Eure Felder nicht. Darin könnte sich ein Kind verstecken. Die Warnung kam per Katwarn, eben gerade jenem Warnmittel, welches sich geradezu ideal für die unmittelbare Ansprache der Bevölkerung vor Ort in akuten Vermisstenfällen anbietet.

Brauchen wir bessere Maßnahmen für die Fälle vermisster Kinder?

Ja, wünschen wir uns bessere Notfall-Fahrpläne für Vermisstenfälle. Wir brauchen polizeiliche Experten, die auch unabhängig von Arbeitszeiten, etwa auch am Wochenende, helfen können. Die beraten können: Welche Schritte sind als Nächstes nötig? Welche Suchmöglichkeiten bieten sich an – Hundestaffel, Tornados, Menschenketten? Und die Polizisten und Angehörige zum Umgang mit Medien schulen können, damit diese nicht Dinge sagen, die sie später bereuen.

Eine spezialisierte Ermittlungsgruppe der Polizei wurde eine Woche nach Arians Verschwinden eingesetzt. Trotz allem soll dies keine Kritik an der Arbeit der Polizei vor Ort oder in diesem konkreten Fall darstellen – jede und jeder der vor Ort befindlichen Einsatzkräfte leistet aktuell Menschenmögliches. Es bedürfte einer grundsätzlichen Anpassung der polizeilichen Bearbeitung in kritischen Vermisstenfällen, um die oftmals extrem knappen Zeiträume effektiv nutzen zu können.

Wie hart ist es für die Eltern, dass die Suche jetzt eingestellt wird?

Die Eltern von Arian, mit denen wir noch keinen direkten Kontakt haben, scheinen in engem Austausch mit der Polizei zu sein. Das ist wichtig. Die Polizei wird ihnen hoffentlich gut vermitteln, dass die Suche eben nicht endet, wenn die Massensuchaktionen eingestellt werden. Es gibt jetzt ein auf Vermisstenfälle spezialisiertes Ermittlerteam der Polizei, das den Spuren nachgehen wird, die sich in den letzten Tagen ergeben haben. Das ist oft zielgerichteter als Massensuchaktionen,

Trotzdem werden die Eltern das Gefühl von Ohnmacht jetzt vielleicht noch stärker empfinden als zuvor. Wichtig ist, dass sie ein Netzwerk, am besten aus vertrauten Personen, haben, die sich um sie kümmern können. Da ist der eigene Hausarzt oder der eigene kirchliche Seelsorger vielleicht besser geeignet als ein Psychologe, den die Familie jetzt erst kennenlernt. Aber es ist wichtig, dass die Familie psychologische Unterstützung und Hilfe erhält. Das unterschätzen Eltern oft erst und denken, sie bräuchten keine Hilfe. Aber die Verarbeitung solcher Fälle wird umso härter, je schlechter die Betreuung zu Anfang ist.

Gibt es staatliche Hilfen für die Eltern vermisster Kinder?

Wenn die Kinder tatsächlich spurlos verschwinden, dann nicht. Das Opferentschädigungsgesetz greift erst, wenn es das Opfer einer Gewalttat ist. Wenn das Kind vermisst wird, sind die Eltern vielleicht trotzdem arbeitsunfähig, erhalten aber keine Hilfen. Sie werden einfach alleingelassen. Sie können höchstens eine Kur bei der Krankenkasse beantragen.

Wie kann das Umfeld der Familie jetzt helfen?

Dafür gibt es kein Patentrezept. Menschen sind unterschiedlich, auch in solchen Belastungssituationen. Ein unterstützendes Netzwerk ist gut, wie auch in Fällen, in denen Eltern trauern, weil sie ein Kind verloren haben. Oft zerbrechen die Familien allerdings, wenn die beteiligten Personen sehr unterschiedlich damit umgehen. Wenn ein Elternteil weiter die Öffentlichkeit sucht, weil es die Suche lebendig halten möchte, das andere aber – etwa für weitere Kinder in der Familie – lieber Frieden mit der Situation schließen möchte, kann es sehr schwierig werden.

Dazu kommen noch die Meinungen von außen. Wir hatten etwa einmal den Fall einer christlichen Familie, die ihren vermissten Sohn zwar immer weiter gesucht hat, aber trotzdem vermeintlich "fröhlich" in Medien aufgetreten ist. Sie waren durch ihren Glauben der Meinung, dass auch eine solche Situation einen Sinn haben muss. Die sind dann von der Öffentlichkeit sehr angefeindet worden. In Großbritannien gibt es dafür ausgebildete Polizisten, die beraten können – hier leider nicht.

Welche Rolle spielen die Medien in Vermisstenfällen?

Arians Eltern werden derzeit sicherlich von Medienanfragen überrannt. Hoffentlich reagieren sie darauf sehr überlegt. Wir haben Fälle gesehen wie etwa bei der verschwundenen Rebecca in Berlin, da saßen Fernsehteams quasi bei der Familie im Wohnzimmer, bis wieder etwas passierte. Das hat die Familie so nicht überblickt, als sie erste Interviews gegeben hat. Manchmal werden die Eltern dann auch in Medien problematisch dargestellt. Die überregionale, große Öffentlichkeit braucht solche Vermisstenfälle eigentlich nicht. Die überregionale Berichterstattung hilft der Suche nicht weiter. Immerhin wissen die Eltern aber dadurch, dass viele mit ihnen mitfiebern. Das spendet vielleicht auch etwas Trost.

Herr Bruhns, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Verwendete Quellen
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