Festnahme am Klavier Flügel durchbricht Polizeikette: Jetzt spricht der Pianist
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bei den Demos gegen das Infektionsschutzgesetz hielten die Absperrungen der Polizisten – fast. Nur ein Pianist und sein Flügel durchbrachen die Polizeikette. Wie piano kann Protest sein im Geschrei und Wasserwerferregen?
Von Klavierspieler Arne Schmitt gibt es einige Bilder, die bleiben vom Geschehen am Brandenburger Tor am Mittwoch. Ein rege geteiltes Video endet damit, dass er in einen Gefangenentransporter geworfen wird: "Das könnt ihr doch nicht machen." Er hatte Klavier gespielt. Der Straßenmusiker war der Störer, um den herum sich Menschen ohne Maske und Abstand gebildet hatten. Schmitt schimpft nicht pauschal auf Polizei oder den Staat.
Der 47-Jährige reist seit 23 Jahren mit Piano durch die Welt. Er hat auch hat bei der großen Querdenken-Demo am 29. August in Berlin gespielt und am 9. November in Leipzig.
Vier Stunden vor der im Video dokumentierten Festnahme hatte die Polizei ihn schon einmal von seinem Hocker gezogen. Arne Schmitt war gerade mit seinem Klavier durch die Polizeiabsperrung zwischen Brandenburger Tor und Reichstag gefahren, die ein Vordringen der Demonstranten Richtung Parlament verhindern sollte. "Das war ein Statement", sagt Arne Schmitt danach zu t-online. "Ein Piano steht nie für Gewalt, es steht für Frieden, und der war stärker."
"Geplant hatte ich das nicht"
Man kann es aber auch darauf reduzieren, dass ein Pulk schiebender Demonstranten auf der einen Seite des 500 Kilo schweren Flügels ein Kräftemessen mit einigen drückenden Beamten auf der anderen Seite gewonnen hat. Vielleicht haben auch die zwei Elektromotoren im fahrbaren Untersatz des Flügels geholfen, steuerbar mit einem Joystick? "Nicht, dass ich wüsste", sagt Schmitt. Der Flügel teilte die Kette für eine kurze Sekunde, ehe die Polizisten wieder Seite an Seite standen und keinen weiteren Demonstranten durchließen.
"Geplant hatte ich das nicht", sagt Schmitt. Eher unfreiwillig war ihm gelungen, was laut Polizei 40 Hooligans erfolglos versucht hatten: Absperrlinien Richtung Reichstag zu durchbrechen. In sozialen Netzwerken machte das sofort Furore: "Klavier durchbricht Polizeikette" war eine Nachricht, die 2020 noch gefehlt hat. Der Dortmunder Journalist David Peters, der die Szene im Bild festhielt: "Du stehst da und denkst, das ist jetzt nicht ernsthaft passiert." Einen Vorteil hätten die Demonstranten dadurch nicht gehabt, keinen Raumgewinn.
Polizisten zogen Schmitt sofort vom Flügel, er lag reglos am Boden, ein Sanitäter wurde gerufen, sein Flügel stand ein paar Meter weiter. "Ich war nicht bewusstlos, ich hatte mich einfach ganz passiv verhalten. Es ging mir gut." Polizisten hätten ihn auch nicht schlecht behandelt, auch ein Arzt der Polizei habe sich noch um ihn gekümmert. "Ich schätze die Polizei auch, die meisten Beamten sind wirklich lieb." Und die Einsatzkräfte hätten nicht mal seine Personalien aufgenommen und ihn gehen lassen, sagt er und fragt. "Können die mir jetzt eigentlich nachträglich noch etwas deswegen?"
"Ich wollte, dass wir gehört werden"
Denn eine Ordnungswidrigkeit habe er ja begangen: Er blieb, als die Kundgebung aufgelöst war und die Menschen gehen sollten. Und er war dann sogar mit seinem Klavier ganz nach vorne an die Absperrung gefahren. Er sprach von seiner erhöhten Position aus zu den Demonstranten. "Ich wollte, dass wir gehört werden, ich wollte, dass wir Energie zeigen: Wir bleiben hier. Aber wir sind friedlich."
Er hatte sein Wohnmobil und den Anhänger für sein Instrument morgens rund einen Kilometer entfernt abgestellt. Ein Polizist habe ihm zwar gesagt, es sei alles abgesagt, er fuhr über einen Radweg dennoch ans Brandenburger Tor: Sein Flügel steht auf einem fahrbaren Untersatz mit zwei Elektromotoren, der Straßenmusiker kann sein Klavier mit einem Joystick steuern.
Er spielte dort, er bot dort aber auch die Plattform für einen Bundestagsabgeordneten, der per Megafon reden wollte. "Ich kannte ihn nicht, er wollte auch keine Parteiwerbung machen", sagt Schmitt. Es war Hansjörg Müller, ein AfD-Hardliner, der Corona für eine Verschwörung von Bill Gates hält und die Maske für ein "Symbol der antidemokratischen Unterdrückung".
So etwas würde Schmitt nicht sagen. Schmitt will über seinen Körper bestimmen und keinen Impfzwang, auch keinen indirekten, erklärt er. Aber er verweigert Masken in Menschenmengen nicht. Und er hat sogar zuletzt seinen 88-jährigen Vater aus Vorsicht nicht umarmt, "für den kann es gefährlich sein". Der Klavierspieler wird auf Facebook von manchen "Querdenkern" als Heuchler beschimpft, weil er Maske trägt.
Rückweg gesperrt: "Also habe ich gespielt"
Schmitt hat auch für sich festgestellt, dass das "Querdenker"-Lager nicht die absolute Wahrheit gepachtet hat. Er hatte einen Beitrag von Bodo Schiffmann geteilt und später gemerkt, dass das Unsinn war. "Ich war auch manchmal zu leichtgläubig mit alternativen Quellen und bin da jetzt vorsichtiger, die Emotionen gehen schnell durch." Aber insgesamt bekämen die kritischen Stimmen zu wenig Aufmerksamkeit, findet er. "Vielleicht irre ich auch. Ich weiß nicht, wer recht hat", sagt Schmitt. Aber Bedenken sollten mehr gehört werden. "Sonst müssten wir ja gar nicht demonstrieren."
Für ihn und seinen Flügel war das Demonstrieren auf der anderen Seite der Polizeikette erst einmal beendet. Weiter konnte er aber auch nicht, der Weg war abgesperrt. "Ich habe dann ein bisschen im Internet gelesen, was im Bundestag passiert ist." Es ist schon dunkel, als er vorbei am Brandenburger Tor und über die Straße des 17. Juni zum Fahrzeug will. Aber auch diese Route ist noch dicht. "Also habe ich mich hingesetzt und gespielt." Ruhige Klänge, beruhigende Musik.
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Als ein Polizist kommt, kann er ihm eine E-Mail des Bezirks Mitte vorweisen, dass Straßenmusik erlaubt ist. "Auf der anderen Straßenseite", habe ihm der Polizist gesagt. Schmitt wechselt, aber der Polizist kommt bald wieder. Die Szenen jetzt sind durch mehrere Videos dokumentiert.
Aus Trotz ein paar Akkorde "Freiheit"
Während zwei Wasserwerfer hinter ihm die Rückfahrt antreten, scharen sich Menschen um ihn, manche mit Kerzen, aber alle zu dicht und wenige mit Maske. Ist das eine Versammlung? Schmitt und sein Flügel sind in jedem Fall Auslöser dafür, dass sich Menschen versammelt haben.
Der Polizist sagt, er müsse aufhören. Schmitt fragt nach dem Grund und will wissen, was die Polizei denn mache, wenn er weiterspielt. Er haut trotzig ein paar Akkorde "Freiheit" in die Tasten, will dann aber mit dem Polizisten das weitere Vorgehen besprechen. "Die Chance haben Sie vertan", entgegnet der Polizist, während Schmitt sein Publikum auffordert, mehr Abstand einzuhalten.
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Kurz nachdem der Polizist nach dem Ausweis für eine Ordnungswidrigkeitenanzeige fragt, kommt es zu der Szene, die Schmitt in einem Facebook-Posting "brutale Festnahme" nennt. Erregt fragt er den Polizisten: "Jetzt wollen Sie mir an die Karre fahren, dass ich Straßenmusik mache?" Der Polizist drehte sich daraufhin zu Kollegen um: "Zwei Mann nehmen den Herren jetzt mit, er ist sehr aufgebracht."
Schmitt wird zum zweiten Mal an diesem Tag vom Klavier gezogen, liegt zum zweiten Mal am Boden. Diesmal bekommt er aber die Hände auf dem Rücken in Handschellen gelegt und wird in das Polizeifahrzeug getragen und hineingeworfen. Auf dem letzten Meter strampelt er mit den Füßen. Sind das Tritte? Der Klavierspieler ist jetzt einer von 365 Festgenommenen an diesem Tag. Im Wagen erfährt er, dass er wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte angezeigt wird, er ist damit Gegenstand eines von 257 Strafermittlungsverfahren an diesem Tag.
Polizeipräsidentin: "Potenzial der Gewalt war immens"
Sein Verfahren dürfte nachträglich den meisten Wirbel auslösen. Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik spricht im "Tagesspiegel" davon, dass "das Potenzial und die Brutalität der Gewalt immens" gewesen seien. Einer Polizistin ohne Helm sei mehrfach gegen den Kopf getreten worden. In "Querdenker"-Kanälen wird dagegen das Video von Schmitts Festnahme empört geteilt. Der Einsatz am Klavier wird instrumentalisiert.
Während Slowik sagt, man habe es "zunehmend mit einem Spektrum von Menschen zu tun, die unser System generell ablehnen und bereit sind, dafür extreme Gewalt anzuwenden", verbreiten "Querdenker" mit dem Video die Botschaft: Seht her, die Staatsmacht nimmt einen harmlosen Klavierspieler aus dem "bunten Publikum" fest. Gefilmt hat ihn eine als antisemitisch aufgefallene Querfront-Aktivistin bekannte Betreiberin einer Seite, die in Herzchen-Form Hetzbotschaften verbreitet.
Schmitt selbst zeigt sich vor allem verärgert: Dass er hartnäckig geblieben sei, habe die Polizei getriggert. Das könne er noch verstehen, auch wenn das Vorgehen unverhältnismäßig gewesen sei. "Aber ich habe nur passiv Widerstand geleistet." Den Vorwurf verstehe er deshalb nicht und plane nun auch eine Anzeige. Nach seiner Festnahme sei die Polizei aber sehr korrekt mit ihm umgegangen.
Die Pressestelle der Berliner Polizei konnte zu dem Fall wegen der Fülle von Vorgängen zunächst nichts sagen.* Später teilte sie mit, dass es um eine Ordnungswidrigkeit nach dem Infektionsschutzgesetz ging: Der Klavierspieler hatte die Menschen angezogen, die dabei die Vorsichtsmaßnahmen ignorierten. Weil Schmitt sich der Identitätsfeststellung widersetzt habe, hätten die Einsatzkräfte unmittelbaren Zwang in Form von körperlicher Gewalt anwenden müssen. Zuvor habe es "deeskalierendes Bemühen der Einsatzkräfte" gegeben, die Situation gewaltfrei zu lösen. Beim Transport ins Polizeifahrzeug habe der Mann "erheblichen Widerstand" geleistet "bzw. die Einsatzkräfte angegriffen". Aus den Videobildern wird das so nicht deulich. Um 18.12 Uhr sei der Klavierspieler nach gut einer Stunde entlassen worden.
Da kam es deshalb zu einer weiteren denkwürdigen Szene: Ein von mehreren Polizeifahrzeugen eskortierter Flügel fährt über die Straße des 17. Juni zum Abstellplatz des Wohnmobils. Der Demo-Tag ist vorbei für Arne Schmitt, und das Klavier ist sogar heil geblieben.
*Der Text wurde nach der Stellungnahme der Polizei aktualisiert.
- Eigene Recherchen
- ZDF: Nahaufnahme: Müllers im Bundestag über Corona
- arne-schmitt.com
- Facebook: Video auf der Seite von Arne Schmitt
- Facebook: Video Lovestorm People
- Tagesspiegel: „Potenzial und Brutalität der Gewalt waren immens“