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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Getöteter Achtjähriger in Frankfurt Unbekannte machen Stimmung mit Foto von falschem Kind
Der mutmaßliche Mord an einem Achtjährigen in Frankfurt bewegt die Menschen weiter. Während eine Spendenkampagne Kreise zieht, versuchen Unbekannte, mit dem Foto eines anderen Kindes Stimmung zu machen.
Nachdem ein Mann in Frankfurt einen achtjährigen Jungen vor einen einfahrenden ICE geschubst hat, ist über das Kind weiter wenig bekannt. Um die Angehörigen und ihre Rechte zu schützen, geben die Behörden nichts heraus. Während ein Frankfurter eine transparente Spendenkampagne für die Familie gestartet hat, haben Unbekannte einfach ein fremdes Bild genutzt, um vermeintlich an den toten Jungen zu erinnern.
Am Mittwochabend kursierten im russischen Netzwerk vk.com und kurz danach auf Facebook erste Postings, die umgehend geteilt wurden. Das Foto wurde offenbar auch genutzt, um von rechtsextremen Akteuren Gedenkveranstaltungen für den Jungen zu bewerben. Das Foto teilten aber auch Menschen, die schlicht um das Kind trauern.
Foto zeigt Teenager aus dem Ausland
Das Foto zeigt jedoch nicht den getöteten Jungen, sondern ein Kind, das nach Recherchen von t-online.de heute bereits ein Teenager ist. Es findet sich eine Version mit Metadaten, die darauf hindeuten, dass das Bild Ende 2012 aufgenommen wurde. Zurückverfolgen konnte t-online.de eine Verwendung bis Anfang 2015, als das Foto in einem russischen Blog auftauchte. Es ist auf diversen internationalen Seiten zu finden, in denen es um Frisurenmode bei Kindern geht. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist das Foto nicht aus Deutschland.
Auch der Text zu dem Bild ist in Teilen eine Lüge. Der verhaftete 40-jährige Eritreer hatte seit 2011 eine Niederlassungsbewilligung in der Schweiz und durfte im Schengenraum frei reisen. Er war 2006 als Geflüchteter in die Schweiz gekommen.
Frankfurter sammelt Spenden für Familie
In der vergangenen Woche war er jedoch laut Kantonspolizei Zürich in der Schweiz zur Fahndung ausgeschrieben worden. Er hatte am Donnerstag eine Nachbarin mit einem Messer bedroht und sie, seine Frau und seine drei Kinder eingesperrt. Zuvor war er lediglich einmal durch ein Verkehrsdelikt aufgefallen und hatte lange als Musterbeispiel für geglückte Integration gegolten. Seit Januar war er krankgeschrieben.
An dem Foto des falschen Jungen meldeten noch in der Nacht Nutzer Zweifel an. Das Unverständnis und der Ärger darüber waren zum Teil groß, dass das Foto eines anderen Kindes missbraucht wurde. Einige Administratoren entschuldigten sich für die Verbreitung. In anderen Gruppen wurde das Bild auch am heutigen Donnerstag noch weiter geteilt.
Zugleich wurde aber noch deutlich reger der Aufruf für eine Spendenkampagne des Frankfurter Maschinenbauingenieurs Michael Kötter (62) geteilt.Sie ist bei der Spendenseite GoFundMe verifiziert und wurde vom Initiator mit der Polizei abgestimmt. Bis zum Donnerstagmittag waren dort fast 30.000 Euro zusammengekommen. "Sobald ich Kontakt habe, bespreche ich mit der Mutter, wofür sie das Geld einsetzen möchte", erklärt der Initiator und dreifache Vater auf der Seite.
Der Junge heißt nach Informationen von t-online.de auch nicht Oskar, wie es in dem Posting mit dem Foto des fremden Kindes behauptet wird. Diesen Namen hatte zunächst Eugen Ciresa, Sprecher des AfD-Kreisverbands Ulm/Alb-Donau, in eine breite Öffentlichkeit gebracht. Am frühen Dienstagabend hatte er gepostet: "Gebt den Opfern einen Namen. Oskar heißt der kleine Junge in Frankfurt."
Die Behörden äußern sich dazu offiziell nicht. Nach Informationen von t-online.de aus Ermittlerkreisen hieß der Junge aber anders. Der AfD-Sprecher antwortete auf Nachfragen in Kommentaren, er habe den Namen "aus dem Netz". So lange er nichts anderes erfahre, heiße der Junge Oskar. Dieser Beitrag war am Donnerstagmorgen bereits mehr als 2.000 Mal geteilt worden. In Kommentaren ist vom "erzwungenen Schweigen der Opfer" die Rede. Medien berichten allerdings bereitwillig über Opfer, wenn Angehörige an die Öffentlichkeit gehen möchten.
Das ist mit einem Risiko verbunden. Denn mit jeder Information, die an die Öffentlichkeit gelangt, wächst die Gefahr, die Kontrolle über die Verwendung zu verlieren. In Chemnitz hatten AfD-Politiker Fotos von Opfern bei einem "Trauermarsch" mit "Pro Chemnitz" und Pegida getragen. Die Familie einer jungen Tramperin, die von einem in Marokko lebenden Fernfahrer getötet wurde, erstattete Anzeige gegen Träger des Plakats mit dem Foto der Frau. Auch Björn Höcke und Lutz Bachmann, die das Bild auf Facebook genutzt hatten, wurden angezeigt. Diese Menschen stehen gegen alles, wofür meine Schwester stand", sagte Andreas Lösche, Bruder der jungen Frau. "Ich will nicht zulassen, dass sie Teil ihrer Erzählung wird." Nach den Strafanzeigen werde das Bild nicht mehr genutzt.
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Das Bild war ein Foto, das die Polizei für die Suche nach der zu diesem Zeitpunkt vermissten Frau freigegeben hatte. Nach dem Auffinden der Leiche durfte das Foto nicht mehr verwendet werden.
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