Verbrechen in Frankfurt Mordverdächtiger Habte A. postete noch ein altes Kinderfoto
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wer ist der Eritreer, der ein Kind vor einen Zug geworfen und so getötet haben soll? Wie der Mann in der Schweiz als Muster für Integration präsentiert wurde – und was es mit seinem letzten Facebook-Kontakt aus Deutschland auf sich hat.
Er setzte Wagen instand bei den Verkehrsbetrieben Zürich, und alles lief so gut: Das Titelfoto und weitere drei Seiten widmete das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH) dem Mann, der jetzt von vielen Menschen gehasst und verachtet wird: Habte A., im Februar 40 geworden, ist der Mann, der in Haft sitzt, weil in Frankfurt ein achtjähriger Junge vor einen Zug geworfen wurde. In der Publikation des SAH war der Mann das Musterbeispiel für gelungene Integration.
Sympathisch habe er gewirkt und glücklich, erinnert sich die SAH-Pressechefin Laetitia Hardegger im "Blick" an das Interview mit dem Mann. "Er hatte sich in der Schweiz erfolgreich ein neues Leben aufgebaut. Deswegen haben wir über ihn ein Porträt gemacht. Er sollte anderen als Vorbild dienen."
Im April 2018 hatte es so ausgesehen, als habe der Afrikaner es endgültig geschafft. Nach der Flucht 2006 in die Schweiz und Jahren mit einem Aushilfsjob bei einem Bauschlosser ein gesicherter Aufenthaltsstatus und nun auch eine Festanstellung bei den Verkehrsbetrieben Zürich. "Es wäre schön, wenn ich in 25 Jahren noch hier bin", sagte er in dem Interview.
Doch schon im Januar 2019 war er nicht mehr dort, wie die Kantonspolizei am Dienstag erklärte. Habte A. war seither krankgeschrieben und in psychiatrischer Behandlung. In der vergangenen Woche soll er plötzlich ausgerastet sein, aufgetreten sein, wie seine Frau und seine Nachbarin ihn "noch nie erlebt hätten", wie ein Schweizer Polizeisprecher sagte. Was dann geschah, führte dazu, dass die Schweizer Polizei ihn suchte und vielleicht zu seiner Reise nach Deutschland. Ein Motiv kennt die Polizei bisher nicht.
Der Mann, von dem seine Beraterin vom Integrationsdienst sagte, er sei zurückhaltend, ein wenig schüchtern gewesen und manchmal niedergeschlagen, griff seine Nachbarin an. Er bedrohte sie mit einem Messer, und sperrte die Frau und seine Ehefrau zusammen mit den drei gemeinsamen Kindern im Alter von ein, drei und vier Jahren ein.
A. hat mindestens zwei Profile in sozialen Netzwerken. Bilder von Kreuzen und Jesus hat er geteilt, Videos von Predigten. Wenig private Fotos sind dort öffentlich zu sehen. Er mit einem Bekannten, er mit Landsleuten in Wädenswil, er steht dort etwas abseits, ist etwas älter als die anderen. Dort, am Bahnhof, haben sie sich manchmal getroffen, um zusammen etwas zu trinken, hat ein Eritreer dem Schweizer "Blick" gesagt. Seit einem halben Jahr habe er aber nichts mehr von ihm gehört.
Am Sonntagmittag tat sich nach langen Wochen wieder etwas im öffentlichen Profil des dreifachen Vaters. Er teilte ein Foto, das er mit dem anderen Account vor anderthalb Jahren schon einmal gepostet hatte. Ein kleiner Junge läuft lachend über eine Straße, er sieht fröhlich und glücklich aus. Sechs Minuten später kommentiert das ein Mann mit afrikanischen Wurzeln, der in einem kleinen Ort im Westerwald lebt: Groß geworden sei der Junge.
20 Stunden später wird Habte A. im Bahnhof von Frankfurt zum mutmaßlichen Mörder. Eine Mutter wird ihren Jungen nie mehr laufen, nie mehr lachen sehen. Und auf Facebook hagelt es ab Dienstagabend auch andere Kommentare unter dem Foto: "Mörder!" "Ich schmeiße dein Kind auch vor einen Zug."
Und der Kommentar des Landsmanns zu dem Jungen verschwindet. Der Eritreer löscht ihn, als er heimkommt vom Fußballtraining im Dorfverein und mit t-online.de telefoniert. Er will nicht selbst zur Zielscheibe werden von Hass, sagt er. Und den Habte A., den kennt er auch eigentlich gar nicht. "Er hat mir vor einem Monat eine Freundschaftsanfrage geschickt. Wir haben nicht einmal gemeinsame Bekannte." Er hatte das fröhliche Foto gesehen am Sonntag, der Name des Jungen stand dabei, er wollte etwas Nettes schreiben, sagt er t-online.de am Telefon.
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Zuvor hatte sich bei ihm schon ein Schweizer Journalist gemeldet und ihm erzählt, dass der Facebook-Freund der Mörder des kleinen Jungen ist. "Ich hatte von der schlimmen Tat gehört, aber das wusste ich nicht."
Wollte der Eritreer aus der Schweiz vielleicht zum Eritreer im Westerwald? "Ich kann mir das nicht denken, er hat nicht gefragt, wir haben ja nie geschrieben." Es ist auch nicht die drängendste Frage bei einem Mann, der ein Kind vor einen fahrenden Zug geworfen hat.
- Eigene Recherchen
- Nachrichtenagentur dpa
- Bericht in der Zeitung "Blick"