Ermittlungen zu Chemnitz Dritter Tatverdächtiger noch immer auf der Flucht
Knapp drei Monate nach der tödlichen Messerattacke in Chemnitz sind die Ermittlungen kurz vor dem Abschluss. Doch viele Fragen rund um die Ereignisse im Spätsommer bleiben offen.
Die Staatsanwaltschaft Chemnitz will Anfang Januar ihre Ermittlungen zur tödlichen Messerattacke am Rande des Chemnitzer Stadtfestes abschließen. Das teilte die Behörde am Dienstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Nach wie vor sind aber viele Fragen offen.
Für den gewaltsamen Tod eines 35 Jahre alten Chemnitzers Ende August sollen Asylbewerber aus Syrien und dem Irak verantwortlich sein. Ein Tatverdächtiger sitzt in Untersuchungshaft, ein zweiter war Mitte September aus dem Gefängnis wieder entlassen worden. Nach einem dritten Mann wird noch immer international gefahndet.
"Wenn er bis Dezember nicht gefunden wird, trennen wir das Verfahren ab", sagte Oberstaatsanwältin Ingrid Burghart. Das wird im Allgemeinen gemacht, damit das Strafverfahren nicht weiter verzögert wird. Derzeit gebe es keine Hinweise auf seinen Aufenthaltsort, sagte die Oberstaatsanwältin.
Dem Tod von Daniel H. folgten Demos und Übergriffe
Der Tod des 35-Jährigen war Auslöser für Demonstrationen und Straftaten in Chemnitz, die sich auch gegen Migranten und ausländische Restaurants richteten. Bei Kundgebungen liefen zahlreiche Rechtsextreme mit. Chemnitz geriet dadurch international in die Schlagzeilen. Die Stadt verwahrte sich dagegen, für Umtriebe von Neonazis unter Generalverdacht gestellt zu werden.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach der tödlichen Messerattacke wegen Totschlags und schwerer Körperverletzung. Bei der Gewalttat waren noch zwei weitere Männer verletzt worden. Nach Angaben von Burghart wird auch jener vermutlich aus dem Irak stammende Mann als Beschuldigter geführt, der die Untersuchungshaft inzwischen verlassen konnte.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Chemnitz ist nach wie vor unklar, wer die Anschläge auf Restaurants verübt hat. Betroffen waren die jüdische Gaststätte Schalom sowie ein persisches und ein türkisches Restaurant. Auf letzteres wurde ein Brandanschlag verübt. Deshalb wird auch wegen versuchten Mordes ermittelt.
112 rechte Straftaten
Nach Angaben der Bundesregierung wurden zwischen dem 26. August – dem Tag der tödlichen Messerattacke – und dem 11. Oktober in Chemnitz nach vorläufigen Zahlen 112 Straftaten Rechter registriert. Dazu zählen unter anderem Beleidigung, Bedrohung, Volksverhetzung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Sachbeschädigung, Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung. Zudem wird wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt.
Ob das die abschließende Zahl ist, konnte die Staatsanwaltschaft am Dienstag nicht sagen. "Die Verfahren sind längst noch nicht alle bei der Polizei abgeschlossen", sagte Oberstaatsanwältin Burghart.
Nach den Ereignissen in Chemnitz spielte ein Video eine wichtige Rolle. Zu sehen ist eine Gruppe, die so aggressiv auf einen jungen Mann in Jeans zugeht, dass dieser wegrennt, dazu sind Parolen wie "Haut ab", "Kanaken" und "nicht willkommen" zu hören.
In der Folge wurde bundesweit diskutiert, ob es "Hetzjagden" rechter Demonstranten gegen Migranten in Chemnitz gab. Der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen bezweifelte dies ebenso wie die Authentizität des Videos. Nachvollziehbare Gründe für seine Zweifel nannte er nicht. Später musste er seinen Hut nehmen.
Neue Diskussion um "Hetzjagd"-Video
Unklar ist, was sich vor den Aufnahmen dieser Szene abgespielt hat. Nun ist in einem Beitrag des Onlinemagazins "Tichys Einblick" die Behauptung aufgestellt worden, dass Migranten Teilnehmer der Demo provoziert und angepöbelt hätten. Der Autor des Beitrags zitiert nach eigenen Angaben die Verfasserin des Videos und deren Ehemann, die allerdings anonym bleiben wollten. Ein Afghane, der in dem Video verfolgt wurde, hatte die Szene indes in Interviews mit seinem Bild und vollem Namen anders dargestellt.
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"Natürlich gehen wir jeglichen Hinweisen nach und tätigen die notwendigen Ermittlungen. Es gehört zur polizeilichen Arbeit, stets in alle Richtungen zu ermitteln", sagte Tom Bernhardt, Sprecher des Landeskriminalamtes Sachsen. Konkreter wollte er bei der Frage zu dem Video nicht werden.
- Nachrichtenagentur dpa