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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Suche nach RAF-Terroristen "Können von Glück sprechen, dass niemand getötet wurde"
Drei RAF-Terroristen sind seit den 1990ern untergetaucht. Eine neue Fahndung soll sie ausfindig machen. Jetzt führte ein Fehlalarm zu großer Aufregung.
Es bahnte sich eine spektakuläre Festnahme am Hauptbahnhof in Wuppertal an: Nach dem Hinweis eines Zeugen vermutete die Polizei den RAF-Terroristen Ernst-Volker Staub in einem Zug. Doch dem war nicht so. Der verhaftete Mann entpuppte sich nicht als Mitglied der untergetauchten Bande, bestehend aus Staub und seinen Mitstreitern Daniela Klette sowie Burkhard Garweg.
Wie es zu dem Großeinsatz der Polizei kam und warum die RAF-Gruppe gerade jetzt wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rückt – t-online gibt einen Überblick.
Wie kam es zu dem Einsatz?
Mit einer Großfahndung der Staatsanwaltschaft Verden und des Landeskriminalamtes Niedersachsen sind die drei RAF-Terroristen wieder auf die Agenda gerückt. Bereits zum dritten Mal nach 2016 und 2020 wird nach ihnen gesucht. Es hätten sich weitere Ermittlungsansätze durch Durchsuchungen und Vernehmungen ergeben, so die Staatsanwaltschaft.
Staub, Garweg und Klette werden nicht nur von deutschen Behörden gesucht: Derzeit stehen alle drei auf der Liste "Europe's Most Wanted Fugitives" (Europas meistgesuchte Flüchtige). Gefahndet wird auf Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch und Arabisch über Europol und Interpol.
Der Aufruf richte sich auch an die Familien, Freunde und Unterstützer der Beteiligten. Es könne sich demnach auch anonym an sie gewendet werden. Ob sich die Flüchtigen derzeit in Deutschland oder im europäischen Ausland aufhalten, ist unklar. Bis 2016 hätten sie in Deutschland gewohnt. Mindestens einer der Beteiligten habe "nachweislich intensive Kontakte nach Deutschland", so die Ermittler. Bei Hausdurchsuchungen im März 2023 bei Eltern und Geschwistern von Burkhard Garweg wurden zwei Briefe sichergestellt, die das belegen sollen, berichtet "Der Spiegel".
Noch mehr Aufmerksamkeit bekam der Fall zuletzt dank der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY... Ungelöst". Nach der jüngsten Folge am vergangenen Mittwoch gingen über 160 Hinweise ein, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Tipps, die zur Ergreifung der Gesuchten führen, lohnen sich: Mindestens 150.000 Euro versprechen die Ermittler. Am Samstag meldete sich ein Augenzeuge, der Ernst-Volker Staub in einem Zug gesehen haben will. Doch das erwies sich als falsch. Der Mann und seine Begleiterin seien nach einer Identitätsfeststellung umgehend entlassen worden.
Was wird ihnen vorgeworfen?
Seit 2015 wird gegen Staub, Klette und Garweg ermittelt. Ihnen werden versuchter Mord und diverse versuchte sowie vollendete schwere Raubüberfälle vorgeworfen. Die Taten wurden im Zeitraum von 1999 bis 2016 unter anderem in Bochum-Wattenscheid (2006), Wolfsburg (2015), Stuhr (2015) und Cremlingen (2016) begangen. Dabei überfielen sie Geldtransporter und Supermärkte. Bei drei Taten fanden Ermittler DNA-Spuren der RAF-Terroristen. Im Gegensatz zum Terror der RAF seien diese Taten wohl nicht politisch motiviert, sagen die Ermittler. Die Gruppe habe sie begangen, um an Geld zu kommen. Das sei im Untergrund schwierig. Auffallend sei, dass sie viele der Überfälle rund um Feiertage begangen hätten, so die Staatsanwaltschaft Verden.
Staub, Klette und Garweg werden der sogenannten dritten RAF-Generation zugeordnet. Vertreter der Gruppe sollen den damaligen Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, und den Treuhand-Chef, Detlev Karsten Rohwedder, umgebracht haben. Seit den 1990ern sind die Gesuchten untergetaucht.
Sie gelten als besonders gefährlich. Zeugen sollen sich den Gesuchten jedenfalls nicht nähern, da sie bewaffnet sein könnten. "Wir können von Glück sprechen, dass bisher niemand getötet wurde", sagte der Verdener Oberstaatsanwalt Koray Freudenberg am Mittwoch im ZDF. Auch er appellierte an die Unterstützenden der Terroristen, sich bei der Staatsanwaltschaft zu melden.
Warum waren die Einsatzkräfte so schwer bewaffnet?
Das könnte eine Lehre aus einem missglückten Einsatz im Jahr 1993 in Bad Kleinen sein. In diesem Ort in Mecklenburg-Vorpommern trafen sich im Juni 1993 mit Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld die führenden Kräfte hinter der dritten RAF-Generation. Der Verfassungsschutz hatte mithilfe eines verdeckten Ermittlers von dem Treffen erfahren und wollte die beiden festnehmen. Der Einsatz von Polizei und GSG9, der Antiterroreinheit der Bundespolizei, endete mit zwei Toten: Grams und ein GSG9-Beamter starben. Hogefeld wird festgenommen. Sie saß bis 2011 im Gefängnis, berichtet der NDR.
Deshalb ging die Polizei in Wuppertal wohl vorsichtig vor. Der Hauptbahnhof wurde komplett gesperrt. Reisenden wurde zunächst mitgeteilt, dass es eine "Sicherheitsstörung im Gleis" gebe. In einem Zug soll laut Medienberichten von einem Sprengsatz die Rede gewesen sein. Das habe die Polizei aber bisher nicht bestätigt, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Außerdem könne nicht ausgeschlossen werden, dass von dem Gesuchten eine Gefahr ausgehe.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- bka.de: "Die Staatsanwaltschaft Verden und das Landeskriminalamt Niedersachsen bitten um Ihre Mithilfe!"
- bka.de: "STAUB, Ernst-Volker"
- spiegel.de: Ermittler starten neue Großfahndung nach RAF-Rentnern
- eumostwanted.eu: "STAUB, Ernst-Volker" (englisch)
- interpol.int: "STAUB, ERNST VOLKER WILHELM" (englisch)
- ndr.de: "Unaufklärbar? Das tödliche Versagen von Bad Kleinen"