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Pläne für Lauterbach-Entführung: So spionierte der Staat die Putsch-Truppe aus


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Lauterbach-Entführung geplant
Polizei organisierte Putsch-Truppe Treffpunkt und Waffen


Aktualisiert am 29.09.2023Lesedauer: 8 Min.
Karl LauterbachVergrößern des Bildes
Karl Lauterbach (Archivbild): "Reichsbürger" wollten den Politiker entführen. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa/dpa)

Seit Mai stehen in Koblenz "Reichsbürger" vor Gericht, die putschen und Karl Lauterbach entführen wollten. Der Prozess offenbart, wie der Staat seinen Feinden auf die Spur kommt.

Schwarzes Jackett, Jeans, schwarze Haare, drahtig, 35 Jahre alt – groß übertragen auf zwei Bildschirme im Oberlandesgericht Koblenz. Als erster Zeuge im Prozess um eine mutmaßliche Putschisten-Gruppe sitzt der Kriminalhauptkommissar im Saal. Der Mann war der Ermittlungsführer vom Landeskriminalamt gegen die mutmaßlichen Terroristen: Er und seine Leute haben die Gruppe auffliegen lassen, die ein Deutschland nach anderen Regeln schaffen und mutmaßlich dabei auch über Leichen gehen wollte. So wird es ihnen jedenfalls vorgeworfen.

Bislang hatten im Prozess nur die Angeklagten gesprochen. Jetzt spricht der Fahnder und gibt Einblick: Wie kommt der Staat seinen Feinden auf die Spur? Anhand der Aussage des Hauptkommissars lässt es sich nachvollziehen. Nicht immer ist klar, wie sicher die Erkenntnisse sind, es gilt die Unschuldsvermutung.

Die Staatsfeinde: Es geht in erster Linie um fünf Angeklagte, die auch als Gruppe "Vereinte Patrioten" bekannt wurden. Im April 2022 wurden die vier Männer – Sven Birkmann, Thomas O., Michael H. und Thomas K. – nach einer Waffenübergabe festgenommen, Monate später auch die einzige Frau der Gruppe, die 75-jährige Pfarrerin Elisabeth R. mit Verbindungen in die europäische Holocaustleugner-Szene. Seit Mai 2023 läuft der Prozess gegen das sehr unterschiedliche Quintett. Einer, der frühere NVA-Soldat Birkmann, hat im Vorfeld umfangreich ausgepackt über die Pläne und deren Stand, die Pfarrerin will von Gewalt als Teil der Pläne nichts gewusst haben. Ziel war, Karl Lauterbach zu entführen, ein neues Parlament einzusetzen und mit einem Blackout die Bevölkerung von Informationen abzuschneiden.

Die Zutaten: Um der Gruppe auf die Schliche zu kommen, nutzte die Polizei diverse Mittel: drei Scheinidentitäten von verdeckten Ermittlern, also Polizeibeamte mit einer Legende, dazu viel Technik. Zum Einsatz kamen Telekommunikationsüberwachung, Verkehrsdatenabfrage, IMSI-Catcher, die ein Mobilfunknetz simulieren, um Handys identifizieren zu können, Innenraumüberwachung von Kraftfahrzeugen, Beschlagnahme und Auswertung von Post, Observationen sowie eine fest installierte Überwachungskamera bei der Pfarrerin. Ein verdeckter Ermittler stellte auch Waffen in Aussicht und besorgte diese. Nach der Übergabe erfolgte der Zugriff.

Die Vorgeschichte: Der erste Hinweis kam vom rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz. Schon im Frühjahr 2021 war die Aufregung in der Öffentlichkeit groß, als sich bei Telegram eine Gruppe namens "Veteranen-Pool" gründete, scheinbar eine Zusammenkunft von Reservisten der Bundeswehr. Das Verteidigungsministerium ging öffentlich auf Distanz zu den vorgeblichen Soldaten und ehemaligen Soldaten, die sich bei Corona-Demos schützend zwischen "Volk" und Polizei stellen wollten. Es entstanden weitere Veteranengruppen, in denen sich Menschen zunehmend radikalisierten. In einer Gruppe "Tag X Deutschland" fiel ein Account besonders auf: @ThomundAnni, auf dem von konkreten Anschlägen oder deren Planung geschrieben wurde.

In seinen Gruppen waren nicht nur Gleichgesinnte, sondern auch ein antifaschistisches Recherchekollektiv, Journalisten – und Behördenmitarbeiter. Über den Account gab es Erkenntnisse: Der Mann heißt mit richtigem Namen Thomas O., er lebt in Rheinland-Pfalz, besitzt eine 70-seitige Bauanleitung für Bomben, suchte nach einem Chemiker und wollte das Stromnetz angreifen. O. hat viele Verbindungen und ist Netzwerker, er hatte sich Monate zuvor schon damit gerühmt, "Corona-Rebellen" aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und den Bundesverband zusammengebracht zu haben. Der Verfassungsschutz schlug bei der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz im Oktober 2021 Alarm.

Der Auftakt: Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz leitete ein Ermittlungsverfahren ein und beauftragte das LKA mit dem Fall. Mehrere Beschlüsse des Amtsgerichts Koblenz machten es zunächst möglich, Thomas O. genauer unter die Lupe zu nehmen. Er wurde observiert, sein Telefon abgehört, darüber lief aber wenig. Also setzten die Spezialisten den sogenannten IMSI-Catcher ein – ein digitales Tool, das herausfindet, ob es im Haushalt weitere Handys gibt. Abfragen bei Onlinehändlern, Zahlungsdienstleistern und Banken sollten zeigen, ob er schon eingekauft hatte für einen gewaltsamen Umsturz – hatte er nicht. Aber O. sprach von Metallverbindungen, die für Sprengkapseln genutzt werden könnten. Die Rückfrage im Fachdezernat für Chemie des LKA ergab, dass O. keinen Unsinn erzählte. Die Chemie-Experten bestätigten auch bei anderen Plänen zu Sprengmitteln, dass sie funktionieren könnten.

Die Tuchfühlung: Auf der Suche nach Mitstreitern für seine Pläne tauschte sich O. auf Telegram mit einem Account aus, den er lose kannte, der aber von einem verdeckten Ermittler übernommen worden war – VE1. VE1 führte VE2 an O. heran, er empfahl dem Möchtegernumstürzler also einen vermeintlich vertrauenswürdigen Mitstreiter. Bei einem ersten Treffen mit VE2 erzählte O. vom Plan, zahlreiche Umspannwerke zu zerstören. VE2 sollte bei einigen folgenden Treffen dabei sein und mit den Mitverantwortlichen des "militärischen Arms" der Gruppe immer wieder Kontakt haben, er wurde aber auch zu deren Helfer.

Die Ausweitung: VE2 genoss bei O. bald so viel Vertrauen, dass er eine weitere Person einführen konnte. Das ist nicht weiter verwunderlich, O. brauchte Mitstreiter und beauftragte auch sein Umfeld, vertrauenswürdige Helfer zu finden. Doch hinter der neuen Person steckte wieder eine Legende, als VE3 trat der Undercover-Polizist auf, der auch mit der Identität von VE1 operierte.

VE3 wurde von O. eingebunden, um ein kleineres Treffen an einer Grillhütte am 11. Dezember 2021 bei Koblenz zu organisieren. Hier konkretisierten sich die Pläne und erschienen als bedrohlich: Auch der Bahnbeschäftigte für Oberleitungsbau, Thomas K. aus Bayern, war dabei, der auf seiner Arbeitsstätte Waffen aufbohrte und bei dem später etliche illegale, scharfe Waffen gefunden wurden. Er soll hier angeboten haben, Thermit zu besorgen.

Bedenken gegen einen großen Blackout habe O. fortgewischt, meldete der verdeckte Ermittler seinen Kollegen. O. habe gesagt, man müsse "Kollateralschäden zwingend in Kauf zu nehmen" und könne "nicht jedes Leben retten". O. wollte schnelles Handeln, bei einem Übungsplatz in der Nähe des Wohnorts von Sven Birkmann, dem Ex-NVA-Mann, könne der Umgang mit Sprengsätzen geübt werden.

Birkmann brachte sich von nun an ein und wurde ab Anfang Januar auch überwacht. VE2 meldete, O. sehe sich als eine Art Oberst und Birkmann als eine Art General. Die Aussage habe der Ermittler O. in den Mund gelegt, sagt Birkmann im Prozess. Die Verteidiger kommen häufiger mit solchen Fragen: Wie treibend waren die Initiativen der Undercover-Polizisten für die Gruppe?

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Die Treffen: Die Polizei war immer dabei, wenn sich mehrere der Verschwörer trafen – aber unterschiedlich dicht dran: Am ersten großen Treffen in einer verlassenen Klinik in Nordhessen am 18. Dezember nahm zwar keiner der verdeckten Ermittler teil, die Polizei hörte nicht, was gesprochen wurde, aber ein Observationsteam hat fotografiert. Den Polizisten entging jedoch auf dem abgelegenen und weitläufigen Gelände, dass auch die Theologin Elisabeth R. teilnahm, die eine enge Vertraute eines "Reichspräsidenten" ist. Erst später erfuhren die Ermittler: Sie und der Alleinunterhalter Michael H. haben dort Pläne für ein neues Parlament vorgestellt nach dem Vorbild von 1871, erklärt, dass es dafür Männer mit nachgewiesenen deutschen Wurzeln bis 1913 brauche. Birkmann sollte den Schutz der ersten Versammlung des neuen Parlaments organisieren.

Das Umfeld: Die Ermittler bekamen mit, dass sich Thomas O. kurz nach Weihnachten 2021 mit dem Leiter der "Corona-Rebellen Rheinland-Pfalz" an der Autobahnraststätte Nahetal traf. Der "Corona-Rebell" sprach von ähnlichen Plänen wie O.: Man stehe in Verbindung mit "Anonymous"-Hackern, man wolle digital angreifen, und das schon im Januar. Die Zeit dränge, notieren die Ermittler seine Ansicht. Impfpflicht werde bald vom Militär umgesetzt. Thomas O. erklärte, er sei gegen eine Einzelaktion, es brauche den großen Paukenschlag. Wenn alles gelinge, sei ganz Deutschland betroffen, vielleicht auch Frankreich. Er behauptete, über eine vierstellige Anzahl an Helfern zu verfügen – eine kühne Behauptung. Ab da wurde auch der "Corona-Rebell" abgehört.

Die Ermittler observierten, als sich Birkmann mit dem früheren AfD-Politiker Christian W. aus dem sächsischen Olbernhau und dem Survival-Trainer Peter Wörner, einem ehemaligen Elitesoldaten, traf. Die Ermittler stellten im Nachgang nur noch "einzelne Kontakte" fest. Eine angedachte Zusammenarbeit kam nicht zustande – Christian W. und Wörner planten in anderer Besetzung. Sie wurden am 7. Dezember 2022 festgenommen, als bei der größten Razzia in der Geschichte der Bundesrepublik die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß hochgenommen wird.

Die Ermittler bekamen unterdessen mit, dass O. nach einem Treffen am Rhein-Neckar-Kreis berichtete, die "Weinheimer Gruppe" mit 120 Mann warte nur auf einen Einsatzbefehl.

Die Waffen: Immer wieder wurde in den Gesprächen deutlich, dass die Gruppe noch Waffen suchte. Ein Neonazi aus Bayern, den anderen bekannt als "Landser", stellte O. bei einem Treffen im Februar 2022 in Aussicht, er könne aus Ex-Jugoslawien "10 Tonnen Bohnen mit Löffeln" besorgen, eine Umschreibung für Handgranaten. "Landser" wurde fortan auch überwacht. Als O. vorschlug, statt Umspannwerken Masten an sieben Haupttrassen zu zerstören und dafür Handgranaten zu nutzen, brachte sich VE2 ins Gespräch. Er habe VE3 mal eine Waffe besorgt und gesehen, dass sein Kontakt auch Handgranaten habe. Bei dem Polizisten mit falscher Identität gingen dauafhin Bestellwünsche ein: Kontaktminen, Sprengschnüre, Kurz- und Langwaffen, Bazookas. Es gehe um 16 "Spielplätze", 12 Sprengorte im Westen und vier im Osten.

Die Finanzen: Tatsächlich war es um die Mittel nicht so gut bestellt. Ins Spiel kam "Money Coach" David W., ein Bekannter des angeklagten Alleinunterhalters Michael H. Der Mann zierte schon die Titelseite der Investment-Zeitschrift "Sachwert Magazin", und er sicherte Mittel zu. Eine erste per SMS mit Birkmann besprochene Übergabe eines "Päckchens" am 7. März platzte, aber die Polizei ermittelte gegen den Finanzberater da bereits wegen Terrorfinanzierung. Bis heute wird er gesucht, nachdem er sich am 10. April 2022 nach Dubai abgesetzt hatte. Am Tag vor der Ausreise brachte er zu einem Treffen bei Birkmann Goldplättchen und Silbermünzen für den Kauf von Waffen im Wert von 10.500 Euro mit. Birkmann gab das Edelmetall mit einer weiteren Münze Thomas O., der händigte es am 12. April dem heimlichen Polizisten VE2 für Waffen aus.

Der Showdown: Während O. erklärte, man habe 55.000 bis 60.000 Euro zur Verfügung, blieb er nach der Anzahlung bei VE2 den Rest schuldig und bat um Aufschub. Vereinbart wurde, dass er für die Teilzahlung schon eine Teillieferung bekomme: vier Kurz-, zwei Langwaffen. Diese Waffen, zwei Kalaschnikows und vier Pistolen, sollten in einer Holzkiste in einem Auto liegen, das VE3 am 13. April zum vereinbarten Treffpunkt auf einem Globus-Parkplatz in Neustadt an der Weinstraße brachte. O. habe nicht mal in die Kiste geschaut, sondern das Auto übernommen. Unmittelbar danach schlug das wartende SEK zu und nahm den überrumpelten Rädelsführer fest. 20 Objekte in neun Bundesländern wurden anschließend durchsucht.

Die weiteren Ermittlungen: Bei den Durchsuchungen wurden neben einer SS-Uniform, Waffen und Munition Leitfäden zum Verhalten am Tag X gefunden, dazu wurden Urkunden, Schreiben, Datenträger und Smartphones beschlagnahmt. Auswertungen dieser Daten werden im jetzt laufenden Prozess immer noch nachgereicht. Die Ermittler sahen Tage nach den Festnahmen bereits "zureichende Anhaltspunkte", dass die Beschuldigten eine terroristische Vereinigung gegründet oder sich als Mitglieder betätigt haben könnten. Deshalb zog am 26. April 2022 die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe den Fall von den rheinland-pfälzischen Behörden an sich.

Die Befragungen liefen weiter, einer packte früh aus: Sven Birkmann. Bereits im Mai 2022 meldete er sich über seinen Anwalt. Nachdem er Akteneinsicht hatte, packte er im Juli 2022 aus: Es ist Bestätigung für vieles, was die Ermittlungen bereits ergeben hatten, und für manches, was sie erst später zeigten.

"Hilfreich" war das, sagt der Ermittlungsführer im Zeugenstand. Über manches könne er aber noch nicht reden: Es habe durch die Aussagen zu verschiedenen Personen neue Erkenntnisse gegeben. "Aber da kann ich derzeit noch keine Angaben machen wegen weiterer Ermittlungsverfahren."

Verwendete Quellen
  • Teilnahme am Prozess am OLG Koblenz
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