Mordverdacht nach Tod von 14-Jähriger Staatsanwaltschaft erlässt Haftbefehl gegen Verdächtigen
Eine kleine Gemeinde in Baden-Württemberg trauert: Zwei Mädchen wurden attackiert, eines starb. Der Landesinnenminister schließt ein politisches Motiv aus.
Nach dem Angriff auf zwei Schülerinnen in Illerkirchberg nahe Ulm (Baden-Württemberg) hat die Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen den 27-jährigen Tatverdächtigen erlassen. Es gehe um Mord und versuchten Mord, gab die Polizei am Dienstagnachmittag bekannt. Da der Mann nach der Tat verletzt aufgefunden und zwischenzeitlich operiert worden war, befindet er sich den Angaben zufolge nun in einem Justizvollzugskrankenhaus in Untersuchungshaft. Auch gegenüber der Richterin habe er sich nicht geäußert.
Zuvor hatten Ermittler den Verdächtigen vernommen. Angaben zur Sache habe er aber nicht gemacht, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Der Mann sei den Behörden bislang nicht durch Gewaltdelikte aufgefallen. Er sei lediglich einmal als Schwarzfahrer erwischt worden und sonst nicht polizeibekannt, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Ulm der Deutschen Presse-Agentur.
Der Verdächtige sei im Krankenhaus zuvor stundenlang operiert worden. Ein Polizeisprecher hatte gesagt, er habe sich vermutlich mit einem Messer verletzt.
Embed
14-Jährige starb nach Wiederbelebung in Klinik
Der Mann aus Eritrea hatte nach bisherigen Erkenntnissen zwei Schülerinnen auf der Straße vermutlich mit einem Messer angegriffen, als sie am Montag gegen 7.30 Uhr auf dem Weg zur Schule waren. Eine 14-Jährige musste noch am Tatort wiederbelebt werden, bevor sie in eine Klinik gebracht wurde. Dort starb sie Stunden später. Es handelt es sich laut Polizei um eine Deutsche mit Migrationshintergrund.
Das zweite angegriffene Mädchen habe seines Wissens nach die Nacht im Krankenhaus verbracht und sei medizinisch so weit versorgt, sagte der Sprecher weiter. Die 13-Jährige, ebenfalls deutsche Staatsangehörige, sei so schwer verletzt worden, dass in ihrem Fall gegebenenfalls auch der Verdacht des versuchten Mordes im Raum stehe.
"Diese Tat rührt uns zutiefst"
"Wir werden diese schlimme Tat restlos aufklären", kündigte der baden-württembergische Innenminister und Vizeregierungschef Thomas Strobl (CDU) an. "Diese Tat rührt uns zutiefst, wenn das Leben eines unschuldigen Kindes so brutal ausgelöscht wird", teilte er mit.
Strobl erklärte bei seinem Besuch des Tatorts am Dienstag, es gebe bisher keine Hinweise auf ein politisches oder religiöses Motiv. Die genauen Hintergründe der Tat, insbesondere die Motivlage, seien bis zur Stunde unklar. "Ich möchte an dieser Stelle freilich sehr deutlich sagen: Wir haben keinerlei Erkenntnisse auf eine politische oder religiöse Motivation dieser Straftat", so der Landesinnenminister.
Strobl rief zugleich zu Besonnenheit auf. "Dieses Ereignis darf kein Anlass und keine Rechtfertigung für Hass und Hetze sein." Die Straftat müsse mit aller Konsequenz aufgeklärt werden. Weiter sagte der CDU-Politiker: "Der Täter muss mit aller Konsequenz bestraft werden." Das geschehe auch so.
Türkischer Botschafter fordert lückenlose Aufklärung
Aufgrund des türkischen Migrationshintergrundes der getöteten 14-Jährigen kam Strobl in Begleitung des türkischen Botschafters Ahmet Başar Şen. Die beiden nahmen an einer Gedenkminute am Tatort teil und legten Blumen nieder.
Der Botschafter forderte eine lückenlose Aufklärung des Angriffs. Die Tat habe die türkische Gemeinschaft stark verunsichert, sagte Şen beim Besuch des Tatorts. "Wer ist das? Wer hat das gemacht? Wird es aufgeklärt?" Diese Fragen müssten nun alle geklärt werden. Er sicherte seine Unterstützung bei den Ermittlungen zu.
Der Botschafter hatte zuvor die Familie des getöteten Mädchens besucht. Er habe den Eltern die Anteilnahme der türkischen Gemeinschaft ausgesprochen, sagte Şen. Der Angriff sei ein Schock für alle.
"Ich gehe davon aus, dass es eine Einzeltat war"
Ersten Ermittlungen zufolge kam der Angreifer aus einer benachbarten Flüchtlingsunterkunft, wohin er nach der Tat wieder flüchtete. Die Polizei traf dort auf drei Männer aus Eritrea, Bewohner des Hauses und Asylbewerber. Zwei wurden auf die Dienststelle mitgenommen, ein Dritter, der 27-jährige Tatverdächtige, musste aufgrund von Verletzungen behandelt werden. Bei ihm fand die Polizei ein Messer, welches die Tatwaffe sein könnte.
Ulms Polizeipräsident Bernhard Weber sagte der "Bild", der Verdächtige habe einen Aufenthaltstitel und halte sich berechtigt in Deutschland auf. Es bestehe kein Grund, sich zu fürchten und Kinder nicht in die Schule zu schicken. "Ich gehe davon aus, dass es eine Einzeltat war, eine Ad-hoc-Tat", so Weber.
Polizei fand Messer bei Tatverdächtigem
Die beiden anderen Männer wurden nach ersten Ermittlungen wieder freigelassen. Der Verdacht gegen sie habe sich nicht erhärtet, sodass man sie wieder auf freien Fuß habe setzen können, sagte ein Polizeisprecher am Dienstag. Nun wird ermittelt, weshalb es zum Angriff auf die beiden Jugendlichen kam und ob der Tatverdächtige und die beiden Mädchen sich vorher kannten.
Der Fall könnte eine politische Dimension bekommen, weil es sich bei dem Tatverdächtigen um einen Asylbewerber handelt. Mehrere AfD-Politiker gingen darauf schon am Montag ein. In Illerkirchberg hatten sich am Montagabend Trauernde am Tatort versammelt. Es gab auch vereinzelte Proteste.
"Kein Generalverdacht gegen Fremde"
Die Polizei appellierte an Bürgerinnen und Bürger, "keinen Generalverdacht gegen Fremde, Schutzsuchende oder Asylbewerber allgemein zu hegen oder solchem Verdacht Vorschub oder Unterstützung zu leisten". Ihr sei bewusst, "dass Ereignisse dieser Art Ängste und Emotionen schüren".
Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann warnte vor voreiligen Schlüssen. "Ich kann nur warnen, irgendwelche Zusammenhänge aufzustellen, bevor überhaupt die Tat aufgeklärt ist", sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart. Über die Motive sei noch nichts bekannt. Teils bewusst geschürte Stimmungen nehme die Landesregierung ernst.
Einen Zusammenhang mit dem anstehenden Flüchtlingsgipfel in Baden-Württemberg wollte Kretschmann nicht sehen. Zunächst einmal sei es eine schreckliche Tat im Leben der Schülerinnen. "Wir fühlen da ganz besonders mit den Angehörigen." Die überlebende Schülerin sei geschockt und wohl für ihr ganzes Leben beeinträchtigt.
"Die furchtbaren Nachrichten aus Illerkirchberg erschüttern mich"
Bundesinnenministerin Nancy Faeser bekundete ebenfalls ihr Beileid. "Die furchtbaren Nachrichten aus Illerkirchberg erschüttern mich", schrieb die SPD-Politikerin auf Twitter. Sie trauere um das getötete Mädchen und hoffe, dass das verletzte Mädchen gesund werde.
Der SWR zitierte Bürgermeister Markus Häußler, die Gemeinde stehe unter Schock. Man werde den betroffenen Familien zur Seite stehen. "Es ist furchtbar", so Häußler.
Illerkirchberg hat etwa 5.000 Einwohner und liegt rund zehn Kilometer von Ulm entfernt. Es ist nicht das erste Mal, dass sich in der Gemeinde eine Gewalttat an einem 14-jährigen Mädchen ereignet hat. In der Halloween-Nacht 2019 war eine Jugendliche von mehreren Männern vergewaltigt worden. Hier lesen Sie mehr dazu.
- Telefonat mit Polizei Ulm
- presseportal.de: "POL-UL: (UL) Illerkirchberg - Staatsanwaltschaft Ulm und Polizei teilen mit: Mädchen nach Angriff gestorben"
- presseportal.de: "POL-UL: (UL) Illerkirchberg - Staatsanwaltschaft Ulm und Polizei teilen mit: 27-Jähriger in Untersuchungshaft /"
- bild.de: "Das sagt der Polizeipräsident über den Mädchenmörder"
- swr.de: "Getötete Schülerin in Illerkirchberg: Hintergründe unklar"
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- twitter.com: Beitrag von @NancyFaeser